Parlament

Ein Parlamentsjahr im Zeichen der Corona-Pandemie

Blick in den vollen Plenarsaal des Bundestages mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rednerpult.

Die Corona-Pandemie war das beherrschende Thema im Deutschen Bundestag im Parlamentsjahr 2020. (DBT/Melde)

Die Corona-Pandemie hat im zu Ende gehenden Jahr nicht nur die Debatten, sondern auch die gesetzgeberische Arbeit des Bundestages dominiert. Noch in der Aussprache zum Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung am 30. Januar 2020 spielte das Thema Corona keine Rolle. Das änderte sich am 12. Februar, als CDU/CSU und SPD eine Aktuelle Stunde mit dem Titel „Strategie zur Vorbereitung gegen das Corona-Virus in Deutschland“ beantragten.

„Wir tagen unter außergewöhnlichen Umständen“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, das Robert-Koch-Institut schätze die Gefahren für die Gesundheit in Deutschland weiterhin als gering ein. Es gebe 16 Infizierte in Deutschland, die isoliert worden seien und behandelt würden. Der Minister räumte ein, es sei nicht ausgeschlossen, dass sich aus der Epidemie in China eine globale Pandemie entwickle. In den Redebeiträgen der Abgeordneten hieß es übereinstimmend, Grund für übertriebene Sorge oder gar Panik bestehe nicht. In der Regierungsbefragung am 11. März sagte Spahn: „Wir müssen dem Virus alle Chancen nehmen, sich schnell auszubreiten.“
Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble rief am 12. März dazu auf, die Handlungsfähigkeit des Parlaments zu erhalten. Bereits einen Tag später drückte der Bundestag aufs Tempo: Ein Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD zur befristeten krisenbedingten Verbesserung der Regelungen für das Kurzarbeitergeld (19/17893, 19/17901) wurde an einem Tag in erster, zweiter und dritter Lesung beraten und beschlossen. Die nächste Eskalationsstufe folgte in der Sitzungswoche Ende März, die auf einen Sitzungstag am Mittwoch, 25. März, komprimiert wurde. Wolfgang Schäuble zu Beginn: „Wir tagen unter außergewöhnlichen Umständen.“

Umfassendes Hilfspaket beschlossen

In seltener Einmütigkeit befürworteten die Fraktionen in einer Vereinbarten Debatte das milliardenschwere Hilfspaket im Kampf gegen die Folgen der Corona-Pandemie. Redner aller Fraktionen machten deutlich, dass Wirtschaft und Arbeitnehmer in dieser kritischen Phase umfangreiche Unterstützung benötigten. Zugleich müsse alles getan werden, um die bestmögliche medizinische Versorgung der Bevölkerung bei Ärzten und in Kliniken sicherzustellen. 
Verabschiedet wurde unter anderem das erste von drei Bevölkerungsschutzgesetzen (19/18111, 18/18156, 19/18158), mit denen vor allem das Infektionsschutzgesetz geändert wurde. Das zweite Bevölkerungsschutzgesetz beschloss der Bundestag am 14. Mai (19/18967, 19/19216, 19/19217), das dritte am 18. November (19/23944, 19/24334, 19/24350). Eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen muss danach vom Deutschen Bundestag festgestellt werden. Der Bundestag beschloss am 25. März einen ersten Nachtrag zum Haushalt 2020 über 122,49 Milliarden Euro (19/18100, 19/18132) und setzte die grundgesetzliche Schuldenbremse aus (19/18108, 19/18131).

„Die Fallzahlen stagnieren auf zu hohem Niveau“

Einen zweiten Nachtrag zum Haushalt 2020 (19/20000, 19/20600, 19/20601) über 24,04 Milliarden Euro verabschiedete das Parlament am 2. Juli. Damit kann der Bund insgesamt 508,53 Milliarden Euro ausgeben. Die Nettokreditaufnahme stieg gegenüber dem ersten Nachtrag um weitere 61,79 Milliarden Euro auf 217,77 Milliarden Euro. Der am 11. Dezember verabschiedete Haushalt für 2021 umfasst Ausgaben von 498,62 Milliarden Euro und eine Neuverschuldung von 179,82 Milliarden Euro. Erneut wurde die Schuldenbremse ausgesetzt (19/22887, 19/24940).
Am 5. Oktober ordnete der Bundestagspräsident eine umfassende Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in den Gebäuden des Bundestages an. In ihrer zweiten Regierungserklärung zu Corona betonte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) am 26. November, es gebe kein geeigneteres Mittel gegen die Pandemie als die Kontaktreduzierung. Es gebe deshalb zwar erste Erfolge, aber noch keine Trendumkehr: „Die Fallzahlen stagnieren auf zu hohem Niveau.“

Deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 verlieh der Bundestag eine „parlamentarische Dimension“. Die Kanzlerin hatte in einer Regierungserklärung dazu am 18. Juni angekündigt, sie wolle die Bewältigung der Corona-Pandemie in den Mittelpunkt stellen und die Krise zugleich für wichtige Reformen in der Europäischen Union nutzen. 
In einer Vereinbarten Debatte zur EU-Ratspräsidentschaft unterzog das Parlament die Vorhaben der Regierung am 1. Juli einer kritischen Prüfung.

Rede des israelischen Staatspräsidenten im Bundestag

Erster Höhepunkt des parlamentarischen Jahres war am 29. Januar die Rede des israelischen Staatspräsidenten Reuven Rivlin in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalismus aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz. „Heute begreifen wir leider, dass der Antisemitismus nicht ausgerottet ist“, sagte Rivlin. Dagegen habe er kein Patentrezept, doch kämpften Israel und Deutschland gemeinsam „mit unseren Werten“ dagegen an.
Am 12. Februar legte der israelische Parlamentspräsident Yuli-Yoel Edelstein gemeinsam mit Bundestagspräsident Schäuble einen Kranz am Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin nieder. Eine Woche später fielen die Schüsse in Hanau: für den Bundestag Anlass, in einer Vereinbarten Debatte am 5. März „Konsequenzen aus den rechtsterroristischen Morden“ zu erörtern. Aus Anlass des Anschlags hatte Schäuble eingangs Aufrichtigkeit, Selbstkritik und entschlossenes Handeln eingefordert.

Bedrängung von Abgeordneten verurteilt

„Keine Toleranz für die Feinde der Demokratie: Extremismus bekämpfen, Polizei und Justiz stärken“ lautete der Titel einer von den Koalitionsfraktionen anberaumten Aktuellen Stunde am 10. September. Zuvor hatten Teilnehmer einer Corona-Demonstration am 29. August die Absperrung am Reichstagsgebäude durchbrochen und auf der Treppe vor dem Westportal Reichsfahnen geschwenkt.
In einer Aktuellen Stunde mit dem Titel „Bedrängung von Abgeordneten verurteilen –  Die parlamentarische Demokratie schützen“ verurteilten Vertreter der übrigen Fraktionen am 20. November das Verhalten von Gästen einzelner AfD-Abgeordneter in Bundestagsgebäuden während der Debatte über das Infektionsschutzgesetz am 18. November.

Erinnerungsstätten beschlossen

Vier Wochen später, am 9. Oktober, beschloss der Bundestag die Errichtung einer Dokumentations-, Bildungs- und Erinnerungsstätte zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft. Das Zentrum soll die historischen Zusammenhänge vermitteln, über das geschehene Leid in Europa und Deutschland aufklären und den Nachkommen der Opfer Raum für Gedenken und Erinnerung geben.
Auf Antrag von Union, SPD, FDP und Grünen forderte der Bundestag die Bundesregierung am 30. Oktober auf, an prominenter Stelle in Berlin einen Ort zu schaffen, der den polnischen Opfern des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Besatzung Polens gewidmet und ein Ort der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Geschichte ist. Er soll Deutsche und Polen zusammenbringen und damit zur Vertiefung der Beziehungen, zu Verständigung und Freundschaft sowie zum Abbau von Vorurteilen beitragen.

Rede des UN-Generalsekretärs im Bundestag

Zum 75-jährigen Bestehen der Vereinten Nationen (UN) sprach UN-Generalsekretär António Guterres am 18. Dezember zu den Abgeordneten. Im Beisein des Bundespräsidenten, des Bundesratspräsidenten, der Bundeskanzlerin und des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts ging der Gast vor allem auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie, die Förderung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit sowie auf das Vorgehen gegen den Klimawandel ein.

Guterres plädierte für einen vernetzten Multilateralismus im 21. Jahrhundert, „der Resultate liefert“. Er müsse über Regierungen hinausgehen und die Rolle der Zivilgesellschaft, der Regionen und Städte, der Wirtschaft und der akademischen Institutionen anerkennen: „Mit der Unterstützung Deutschlands sind wir auf dem richtigen Weg.“

Organspenden, Grundrente, Kohleausstieg

Nach jahrelangen Diskussionen über die Organspendenpraxis und vor dem Hintergrund des eklatanten Mangels an Spenderorganen änderte der Bundestag am 16. Januar die gesetzliche Grundlage. 
In einer fraktionsoffenen namentlichen Abstimmung stimmten 432 Abgeordnete in dritter Beratung für die sogenannte Entscheidungslösung, die eine Gruppe von 194 Abgeordneten um Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Karin Maag (CDU/CSU) vorgeschlagen hatte (19/11087).

Ein lange diskutiertes Projekt brachte die Koalition am 2. Juli zum Abschluss: Der Bundestag beschloss die Einführung einer Grundrente zum 1. Januar 2021 (19/18473, 19/20711, 19/20728). Die Renten von rund 1,3 Millionen langjährig Rentenversicherten mit kleinen Bezügen sollen damit aufgebessert werden. Nach monatelangen Verhandlungen hatten sich CDU/CSU und SPD auf einen Kompromiss verständigen können. Die Union setzte eine Einkommensprüfung durch. AfD und FDP votierten gegen das Gesetz, Linke und Grüne enthielten sich.

Am 3. Juli billigte das Parlament den seit Jahren geplanten Kohleausstieg. Mit 314 Ja- gegen 237 Nein-Stimmen wurde das „Kohleausstiegsgesetz“ (19/17342, 19/18472) angenommen. Der Wirtschaftsausschuss hatte den Regierungsentwurf dazu sowie zum „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ (19/13398, 19/14523) noch geändert (19/20714 neu). 
Konkret bedeute dies, dass die Kohleverstromung schrittweise verringert und bis spätestens Ende 2038 beendet wird. Das Strukturstärkungsgesetz ermöglicht finanzielle Hilfe für die betroffenen Regionen, um den Strukturwandel abzufedern.

Wirecard-Untersuchungsausschuss eingesetzt

Nach dem NSU- und dem Pkw-Maut-Untersuchungsausschuss konstituierte sich am 8. Oktober der 3. Untersuchungsausschuss in dieser Wahlperiode.
Er soll im Wesentlichen das Verhalten der Finanzaufsicht im Zusammenhang mit dem inzwischen insolventen Finanzdienstleister Wirecard aufklären. Vorsitzender ist der AfD-Abgeordnete Kay Gottschalk.

Eva Högl zur neuen Wehrbeauftragten gewählt

Der Bundestag wählte am 7. Mai die Berliner SPD-Abgeordnete Dr. Eva Högl zur neuen Wehrbeauftragten des Bundestages. Ihr Vorgänger Dr. Hans-Peter Bartels hatte dem Bundestagspräsidenten am 28. Januar seinen letzten Wehrbericht überreicht (19/16500).
Das Parlamentarische Kontrollgremium, das die Nachrichtendienste des Bundes kontrolliert, wählte am 25. November den CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter zum neuen Vorsitzenden, nachdem Kiesewetters Fraktionskollege Armin Schuster Amt und Mandat niedergelegt hatte, um Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zu werden.

Trauer um Vizepräsident Thomas Oppermann

Der Bundestag würdigte seinen am 25. Oktober plötzlich verstorbenen Vizepräsidenten Thomas Oppermann in einer Trauerfeier. Bundestagspräsident Schäuble betonte die Verdienste Oppermanns für Parlamentarismus und Demokratie, der SPD-Fraktionschef Dr. Rolf Mützenich sagte: „Er war ein Stratege, ein Gestalter, ein Energiebündel, ein feiner Kerl. Er wird uns fehlen.“ Zu Oppermanns Nachfolgerin wählte der Bundestag am 26. November die brandenburgische SPD-Abgeordnete Dagmar Ziegler.
In Schweigeminuten gedachte der Bundestag seines am 11. März im Alter von 89 Jahren verstorbenen früheren Vizepräsidenten Dr. Dr. h. c. Burkhard Hirsch (FDP), des am 23. April im Alter von 84 Jahren verstorbenen früheren CDU-Abgeordneten und langjährigen Arbeits- und Sozialministers Dr. Norbert Blüm und des am 26. Juli im Alter von 94 Jahren verstorbenen SPD-Abgeordneten und langjährigen Fraktionsvorsitzenden Dr. Hans-Jochen Vogel. (vom/18.12.2020)

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