Dobrindt: Maut wurde mit unterschiedlicher Leidenschaft vorangetrieben
Die Pläne für die Pkw-Maut sind nach Angaben des ehemaligen Bundesverkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU) innerhalb der Großen Koalition „mit unterschiedlicher Leidenschaft“ vorangetrieben worden. Die Parteivorsitzenden von CDU und SPD hätten sich aber hinter das in der Koalitionsvereinbarung von 2013 festgelegte Ziel gestellt, eine Pkw-Maut einzuführen, die keinen deutschen Autohalter zusätzlich belasten sollte. Dies sagte Dobrindt in seiner Vernehmung im 2. Untersuchungsausschuss („Pkw-Maut“), die in den frühen Morgenstunden am Freitag, 15. Januar 2021, stattfand. Dobrindt war von 2013 bis 2017 Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur und ist jetzt Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
„Dass es eine Reihe von Hürden gibt, war allen bekannt“
Schon 2014 habe die Diskussion mit der Europäischen Kommission begonnen, wie man die Maut europarechtskonform gestalten könne, führte Dobrindt aus. „Dass es eine Reihe von Hürden gibt, war allen bekannt“, sagte er. Schon bei seinem ersten Treffen mit dem damaligen EU-Verkehrskommissar Siim Kallas in Brüssel sei der Grundsatz „No linkage between tax and toll“ (keine Kopplung zwischen Steuer und Maut) Thema gewesen. Diese Forderung habe die Bundesrepublik ernstgenommen und umgesetzt.
Auf die Frage, ob er als CSU-Landesgruppenchef Minister Scheuer aufgefordert habe, die Pkw-Maut umzusetzen, erklärte Dobrindt, es habe ein Gesetz gegeben und damit einen Umsetzungsauftrag für den zuständigen Bundesminister. In seiner Funktion als Landesgruppenchef habe er keine Detailgespräche mit Minister Scheuer geführt. Auch seien die ersten Eckpunkte für die Pkw-Maut 2014 im Bundesverkehrsministerium und nicht, wie gelegentlich behauptet, in der bayerischen Staatskanzlei formuliert worden.
Konfrontativer Austausch mit EU-Kommissarin Violeta Bulc
Den Austausch mit der ab 2014 amtierenden EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc bezeichnete Dobrindt als „etwas konfrontativ“. Grund dafür sei gewesen, dass die Kommission lange keine begründete Stellungnahme zur deutschen Pkw-Maut abgegeben habe. Dobrindt bat deshalb Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker um einen Termin. Juncker und sein Kabinettchef Martin Selmayr hätten den Prozess „sehr positiv“ begleitet. Tatsächlich stellte die Kommission dann 2017 ihr Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik ein.
In einem Punkt widersprach Dobrindt jedoch der Darstellung, die Selmayr im Ausschuss gegeben hatte. Selmayr zufolge setzte der Bund den mit der Kommission gefundenen Kompromiss nicht so um, wie sich das die Kommission vorgestellt hatte. Dies habe maßgeblich zum Scheitern Deutschlands vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) beigetragen. „Es hat keine Signale für eine Enttäuschung der Kommission gegeben“, sagte hingegen Dobrindt.
„Ein solches Angebot von Herrn Schulenberg hat es nicht gegeben“
Zuvor hatte der ehemalige Staatssekretär Dr. Gerhard Schulz ausgeschlossen, dass die Bieter für die Erhebung der Pkw-Maut angeboten haben, mit der Vertragsunterzeichnung bis nach dem Urteil des EuGH zu warten.
„Ich bin aus meiner heutigen Sicht überzeugt, dass es ein solches Angebot von Herrn Schulenberg nicht gegeben hat“, sagte Schulz als Zeuge vor dem Ausschuss. Damit bekräftigte er die Aussage, die er in seiner ersten Vernehmung im Ausschuss am 1. Oktober 2020 getätigt hatte.
Schulz widerspricht Chefs der Konsortiumsfirmen
Schulz war bis Februar 2019 beamteter Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und ist seither Vorsitzender der Geschäftsführung der bundeseigenen Toll Collect GmbH. Mit seinen Äußerungen widersprach er der Darstellung, die Klaus-Peter Schulenberg und Georg Kapsch, die Chefs der beiden am Bieterkonsortium beteiligten Firmen CTS Eventim und Kapsch TrafficCom, im Ausschuss gegeben hatten.
Demnach bot Schulenberg am 29. November 2018 in einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer und Staatssekretär Schulz an, mit der Unterzeichnung des Betreibervertrags zuzuwarten.
„Von einer Vertragsunterzeichnung weit entfernt gewesen“
In seinem rund 70-minütigen Eingangsstatement begründete Schulz detailliert, warum er überzeugt sei, dass es ein solches Angebot nicht gegeben haben könne. Man sei zu diesem Zeitpunkt von einer Vertragsunterzeichnung weit entfernt gewesen, da noch gar kein zuschlagsfähiges Angebot auf dem Tisch gelegen habe. Zudem finde sich in den Unterlagen des Verkehrsministeriums nicht der geringste Hinweis auf ein solches Angebot.
Dies sei bemerkenswert, da er, Schulz, ein solches Angebot auf jeden Fall an die Arbeitsebene weitergeleitet hätte. Hinzu komme, dass die Chefs des Bieterkonsortiums zuvor die lange Dauer des Vergabeverfahrens kritisiert hätten. An einer weiteren Verschiebung hätten sie keinerlei wirtschaftliches Interesse gehabt.
„Auswirkungen auf das persönliche Vermögen beider Zeugen“
Es spreche für sich, dass ein Vermerk der Betreiberseite über das angebliche Angebot zur Verschiebung erst wenige Tage vor seiner Vernehmung am 1. Oktober 2020 angefertigt worden sei, sagte der Zeuge weiter. In diesem Zusammenhang griff Schulz die Frage auf, was Schulenberg und Kapsch zu ihrer Aussage veranlasst haben könnte.
Dabei verwies er auf das laufende Schiedsverfahren und erklärte, dass sich dessen Ergebnis direkt auf das persönliche Vermögen der beiden Zeugen auswirke. Außerdem werde in Verhandlungen nicht selten die Schwächung des Spitzenpersonals der Gegenseite „gezielt herbeigeführt“.
Spitzentreffen am 3. Oktober 2018
Ausführlich schilderte Schulz auch ein vorangegangenes Spitzentreffen am 3. Oktober 2018. Daran teil nahmen neben Schulz Minister Scheuer sowie Georg Kapsch und Volker Schneble von den Bietern. Das zu diesem Zeitpunkt noch laufende Verfahren zur Erhebung der Infrastrukturabgabe (Pkw-Maut) sei ausdrücklich nicht Thema dieses Gesprächs gewesen, betonte der Zeuge. Vielmehr habe der Minister Kapsch kennenlernen wollen.
Zudem habe er sich erhofft, über den einflussreichen österreichischen Unternehmer einen Gesprächsfaden zur österreichischen Regierung aufzunehmen, die vor dem EuGH Klage gegen die deutsche Pkw-Maut erhoben hatte.
„Eingang eines Arvato-Angebots für möglich gehalten“
Zu diesem Zeitpunkt sei nicht klar gewesen, dass zum Ende der Bieterfrist am 17. Oktober 2018 nur ein einziges Angebot eingehen würde, führte Schulz weiter aus. Zwar hätten die drei anderen ursprünglichen Bieterkonsortien zuvor mitgeteilt, kein Angebot abgeben zu wollen. Sie seien aber alle informiert worden, dass die Angebotsfrist verlängert und die Startvergütung von 60 auf 100 Millionen Euro angehoben werde.
Der Bieter Arvato habe daraufhin mitgeteilt, die Änderungen mit großem Interesse aufgenommen zu haben. Obwohl man der Bitte von Arvato um ein Gespräch aus vergaberechtlichen Gründen nicht nachgekommen sei, habe das Ministerium den Eingang eines Angebots von Arvato für möglich gehalten.
„Ziemlich sauer und extrem ungehalten“
Thematisiert wurde auch die Frage, wann Schulz Kenntnis davon erhielt, dass das finale Angebot von CTS Eventim und Kapsch TrafficCom deutlich über dem haushaltsrechtlichen Rahmen lag und damit unwirtschaftlich war. Schulz bestätigte die Darstellung früherer Zeugen, dass das erst am 14. November 2018 und damit vier Wochen nach Eingang des Angebots der Fall war.
Er habe allerdings bereits am 18. Oktober erfahren, dass das Angebot eingegangen sei, und eine Mitarbeiterin aus dem Ministerium gefragt, ob die Summe in Ordnung sei. Dies habe die Mitarbeiterin bejaht. Als er am 14. November erfuhr, dass das Angebot nicht wirtschaftlich war, sei er „ziemlich sauer“ und „extrem ungehalten“ gewesen, berichtete der Zeuge.
Überlegungen zur Beendigung der Kooperation mit den Betreibern
Laut einem führenden Rechtsberater des Bundesverkehrsministeriums gab es bereits deutlich vor dem EuGH-Urteil am 18. Juni 2019 Überlegungen, die Zusammenarbeit mit dem Betreiberkonsortium zu beenden. Der Bund habe sich schon in der ersten Hälfte des Jahres 2019 „alle rechtlichen Möglichkeiten vorbehalten“, hatte zuvor der Rechtsanwalt Dr. Burkhard Frisch als Zeuge ausgesagt.
Grund dafür sei gewesen, dass die Betreiber die sogenannte Feinplanungsdokumentation weder zum ursprünglichen Termin am 1. April 2019 noch innerhalb der Nachfrist bis Mitte Mai 2019 in freigabefähiger Form eingereicht hätten.
Berater: Wesentliche Pflichten von Betreibern nicht erfüllt
Frisch beriet von Februar 2017 bis Sommer 2019 als Partner der Kanzlei KPMG Law das Bundesverkehrsministerium beim Projekt Pkw-Maut, wobei sein Schwerpunkt auf der Vorbereitung der Vergabeverfahren für die unterschiedlichen Leistungen lag. Seit August 2019 arbeitet Frisch in der Kanzlei Greenberg Traurig, die das Ministerium bei der Pkw-Maut ebenfalls mit juristischer Beratung unterstützte.
Darüber, dass Schlechtleistungen vonseiten der Betreiber vorgelegen hätten, habe es im Beraterkreis keine widerstreitenden Meinungen gegeben, erklärte der Jurist in der vom Ausschussvorsitzenden Udo Schiefner (SPD) geleiteten Sitzung. Wesentliche Pflichten seien von den Betreibern nicht erfüllt worden. Deshalb sei der Eindruck falsch, das Bundesverkehrsministerium und seine Berater hätten erst nach dem für Deutschland negativen Urteil des EuGH nach einem zusätzlichen Kündigungsgrund gesucht.
Vorgaben des Urteils schränken Möglichkeiten ein
Unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils am 18. Juni 2019 habe man „intensiv erwogen“, welche Möglichkeiten es gebe, um die Pkw-Maut doch noch zu realisieren, sagte der Zeuge weiter. Um den Vorgaben des Urteils gerecht zu werden, hätte der Bund aber entweder von einem zeit- zu einem streckenbezogenen Modell wechseln oder aber das Kompensationsmodell aufgeben müssen, erklärte Frisch. Das Kompensationsmodell sah vor, dass inländische Fahrzeughalter eine Ermäßigung der Kfz-Steuer in Höhe der Pkw-Maut erhalten sollten. Beide Varianten, so der Zeuge, hätten eine Neuausschreibung des Verfahrens erforderlich gemacht.
Bereits zu einem früheren Zeitpunkt hatte sich der Zeuge über das Vorgehen der Bietergemeinschaft aus CTS Eventim und Kapsch TrafficCom gewundert: Er war nach eigenen Angaben sehr überrascht, dass die Angebotssumme des am 17. Oktober 2018 eingegangenen finalen Angebots höher war als die des zuvor eingereichten Erstangebots. Denn der Bund sei den Bietern bei den Haftungsobergrenzen und dem Vertragsstrafenkatalog weit entgegenkommen, sodass die Angebotssumme eigentlich hätte sinken müssen, erläuterte Frisch. In der Folge habe man sich in Aufklärungsgesprächen bemüht, die „Missverständnisse“ aus dem Weg zu räumen, die zu dieser hohen Angebotssumme geführt hätten.
Auftrag des Untersuchungsausschusses
Der Bundestag hat den 2. Untersuchungsausschuss dieser Wahlperiode am 28. November 2019, mit den Stimmen der Oppositionsfraktionen der AfD, der FDP, der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD eingesetzt. Er besteht aus neun ordentlichen und neun stellvertretenden Mitgliedern und soll das Verhalten der Bundesregierung, insbesondere des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und seiner nachgeordneten Behörden, seit Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD für die vorhergehende Wahlperiode im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Einführung der Infrastrukturabgabe (Pkw-Maut) umfassend aufklären.
Dabei sind das Vergabeverfahren, die Kündigung der Verträge zur Erhebung und Kontrolle und die daraus resultierenden Folgen inklusive der Prozesse zur Abwicklung des Projekts ebenso Gegenstand der Untersuchung wie die persönlichen und politischen Verantwortlichkeiten und die Aufklärungs- und Informationspraxis der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag zu diesen Vorgängen. Der Ausschuss soll zudem prüfen und Empfehlungen geben, welche Schlussfolgerungen zu ziehen und welche Konsequenzen aus seinen gewonnenen Erkenntnissen zu ergreifen sind. (chb/14.01.2021)
Liste der geladenen Zeugen
- Stefanie Schmidt, Bundeskanzleramt (ehemals Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur)
- Dr. Burkhard Frisch, ehemals KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
- Dr. Gerhard Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Toll Collect GmbH
- Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur a. D.