Wie bei den kreditgebenden Banken die Zweifel an Wirecard zunahmen
Seit 2003 hat die Commerzbank mit dem inzwischen insolventen Finanzdienstleister Wirecard eine geschäftliche Beziehung unterhalten, berichtete Dr. Markus Chromik, Chief Risk Officer der Commerzbank AG, am Donnerstag, 14. Januar 2021, in der öffentlichen Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses („Wirecard“) unter Vorsitz von Kay Gottschalk (AfD). Am Ende sei die Commerzbank „Opfer eines in seiner Dimension unvorstellbaren Betrugs geworden“. Zur Sitzung als Zeugen geladen waren Vertreter der Banken, die Wirecard Geld geliehen hatten.
„Damals war der Kredit voll gerechtfertigt“
Zweifel an der durch die Wirtschaftsprüfer testierten Bilanz habe man viele Jahre nicht gehabt. Angesichts der vorgelegten Zahlen habe man im Rahmen des Konsortiums der Kreditgeber Kredite von knapp 200 Millionen Euro ausgereicht, sagte Chromik: „Damals war der Kredit voll gerechtfertigt.“
Angesichts der anhaltend negativen Presse habe man allerdings das interne Monitoring sowie die Gespräche mit dem Management von Wirecard verstärkt. Die Bemühungen bei der Kreditprüfung seien weit über das hinaus gegangen, was normalerweise üblich sei. Man habe bei Wirecard „100 Prozent mehr Aufwand“ betrieben als bei anderen Krediten.
„Vorwürfe gefährdeten nicht die Rückzahlung des Kredits“
Die Commerzbank sei dann zu dem Schluss gekommen, dass die gegen Wirecard erhobenen Vorwürfe die Rückzahlung des Kredits nicht gefährdeten. „Es gab zu keinem Zeitpunkt Anlass davon auszugehen, dass die Kreditmaterialität gefährdet war“, sagte Martin Zielke, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Commerzbank AG.
Außerdem hätten immer wieder ordentlich zertifizierte Abschlüsse der Wirtschaftsprüfer vorgelegen. Das sei eine wesentliche Voraussetzung für die Kreditvergabe. „Darauf verlassen wir uns bei unserer Arbeit“, betonten Chromik wie Zielke.
„Seltsame Vehikel, die nicht mehr plausibel erschienen“
Schließlich habe es Gespräche mit dem Kunden Wirecard gegeben, die uns „das Gefühl einer kontinuierlichen Verbesserung“ gegeben hätten, so Chromik. Dass es bei Wirecard Unregelmäßigkeiten geben könnte, sei ihm erstmals im Frühjahr 2018 bei einer Sitzung des Kreditkomitees zu Ohren gekommen. Mit weiteren internen Prüfungen sei die Commerzbank den durch die Zeitung „Financial Times“ erhobenen Vorwürfen nachgegangen.
Bald habe sich der Verdacht erhärtet, „dass da etwas anders dargestellt wurde“ als es gewesen sei, dass es in Südostasien, wo sich das Unternehmen mit Zukäufen engagierte, „seltsame Vehikel gibt, die nicht mehr plausibel erschienen“.
„Wie kommen wir aus der Geschäftsbeziehung raus?“
Die Bank habe sich schließlich entschieden, das Engagement bei Wirecard innerhalb eines Jahres, bis Frühjahr 2019, zu beenden. Ausschlaggebend für diesen „soft exit“ seien die sich verdichtenden Hinweise auf Geldwäsche gewesen. Rechtlich habe dies kein Einzelkündigungsrecht des Kreditvertrags eröffnet, erläuterte Zielke. Die Frage sei gewesen: „Wie kommen wir aus der Geschäftsbeziehung raus, wenn es keine rechtliche Handhabe gibt?“
Man sei dann mit dem Management von Wirecard übereingekommen, dass anstelle der Commerzbank ein anderer Konsortialpartner gesucht werden müsse. Schneller als die Ablösung des Kredits durch eine andere Bank sei aber im Juni 2020 dann die Insolvenz gekommen.
„Eine sehr große Abschreibung“
Wie hoch denn jetzt der Schaden für den Steuerzahler und die Commerzbank sei, an der der deutsche Staat infolge der Finanzkrise noch zu 15 Prozent beteiligt ist, wollten die Ausschussmitglieder wissen. Man habe den Kredit weiterhin in den Büchern, jedoch um etwa 187 Millionen Euro wertberichtigt. „Eine sehr große Abschreibung“ sei dies, meinte Chromik.
Aber der endgültige Schaden, wirtschaftlich wie rechtlich, könne noch nicht beziffert werden. Am Markt gebe es weiterhin Interessenten, etwa Hedgefonds, die Forderungen zu übernehmen: „Wir warten mal ab, wie sich das entwickelt.“ Vielleicht komme man nach einiger Zeit besser aus der Sache heraus, sagte der Zeuge. Bei den Resten von Wirecard laufe im Übrigen eine „Recovery“.
„Wirecard hat sich technologisch eine Nische erarbeitet“
Als erster Zeuge hatte Marcus Kramer, Mitglied des Vorstands der BayernLB, berichtet, wie er und sein Haus zwischen 2016 und 2018 zu der Überzeugung gelangten, sich nach zwei Jahren aus dem kreditgebenden Konsortium zurückzuziehen.
Man sei zunächst froh gewesen, ein schnell wachsendes Unternehmen in einem wachsenden Markt zu unterstützen. Wirecard habe sich im bargeldlosen Zahlungsverkehr technologisch eine Nische erarbeitet. Wenn man sich online von zu Hause aus per Kreditkarte Schuhe kaufe, stecke hinter den Zahlungsflüssen vom Kunden zum Verkäufer eine Menge Technik. Wirecard habe auf diesem Gebiet etwas vorzuweisen gehabt, das damals „State of the art“ gewesen sei.
„Mit der Zeit nahmen die Ungereimtheiten zu“
Mit dem kleinsten Anteil von zunächst 45 und schließlich 60 Millionen Euro sei man Teil eines Konsortiums international renommierter Banken gewesen, sagte Kramer. Aber mit der Zeit hätten die Ungereimtheiten rund um Wirecard zugenommen, die Zweifel bei der BayernLB seien gewachsen.
2018 sei seine Bank dann nicht mehr bereit gewesen, ein Folgeengagement über 150 Millionen Euro einzugehen. Das Geschäftsmodell von Wirecard habe zu viele Fragen aufgeworfen, und mit den Konditionen des neuen Vertrags sei man nicht mehr einverstanden gewesen. Bei einem Geschäftskunden, den man gerade erst einmal zwei Jahre kenne, sei das Risiko einfach zu hoch gewesen.
„Jahrelang nicht von kriminellen Machenschaften ausgegangen“
Man sei allerdings trotz der jahrelangen negativen Presse gegenüber Wirecard jahrelang nicht davon ausgegangen, dass in dem Unternehmen kriminelle Energien am Werk seien. In einem schnell wachsenden Unternehmen laufe oft am Anfang nicht alles perfekt, da gehe es zunächst um Wachstum, und man ziehe die internen Strukturen dann nach.
Außerdem habe es sich um ein im Deutschen Aktienindex gelistetes Unternehmen gehandelt. „Wir sind einfach davon ausgegangen, dass es bei einem börsennotierten Unternehmen keine kriminellen Machenschaften gibt.“ Und den von den Wirtschaftsprüfern zertifizierten Berichten habe man vertraut. „Wenn wir einen Erstbericht sehen, haben wir überhaupt keine Zweifel, dass das, was darin steht, nicht stimmt.“
„Unplausibilitäten konnten nicht geklärt werden“
Kramer weiter: „Wir dachten, wir würden das Geschäftsmodell über die Zeitschiene besser verstehen.“ Aber es habe immer mehr Fragen und immer weniger überzeugende Antworten gegeben: „Unplausibilitäten konnten nicht geklärt werden.“
Wann ihm denn erste Zweifel gekommen seien, dass die Geschäfte von Wirecard auf kriminellen Machenschaften beruhten, wollten die Ausschussmitglieder wissen. Dies sei der Fall gewesen, als sich im Zuge der Veröffentlichung des Berichts der Wirtschaftsprüfer von KPMG der Vorstand im Juni 2020 vor der Presse als Opfer dargestellt habe: „Da habe ich gedacht: An den Vorwürfen ist was dran“, sagte der Zeuge.
Auftrag des Untersuchungsausschusses
Der Bundestag hat am 1. Oktober 2020 auf Antrag der Fraktionen der FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen die Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses mit den Stimmen der Oppositionsfraktionen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen beschlossen. Der neunköpfige Ausschuss soll das Verhalten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um den inzwischen insolventen Finanzdienstleister Wirecard untersuchen. (ll/15.01.2021)
Liste der geladenen Zeugen
- Marcus Kramer, Mitglied des Vorstands der BayernLB
- Dr. Markus Chromik, Chief Risk Officer der Commerzbank AG
- Martin Zielke, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Commerzbank AG
- Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bank AG
- Rainer Neske, Vorsitzender des Vorstands der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW)