Auswärtiges

Vergangenheits- und Ver­söhnungs­arbeit als Teil der Krisen­prävention

„Sich mit der Vergangenheits- und Versöhnungsarbeit auseinanderzusetzen ist immer ein sehr wichtiger Bestandteil der zivilen Krisenprävention“, sagte Ottmar von Holtz (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ im öffentlichen Fachgespräch des Gremiums zum Thema „Vergangenheitsarbeit und Versöhnung als Beitrag zur zivilen Krisenprävention“ am Montagabend, 25. Januar 2021.

Austausch über Fortschritte und Perspektiven

Viele Nichtregierungsorganisationen beschäftigten sich mit dem Thema. Im Kosovo und Serbien habe sich der Unterausschuss angesehen, welche Bedeutung Versöhnungsprojekte haben können, und die Bundesregierung habe zu dem Thema im Juni 2019 eine ressortgemeinsame Strategie („transitional justice“-Strategie) veröffentlicht.

Um sich über Fortschritte und Perspektiven in dem Bereich auszutauschen, hatte der Unterausschuss Vertreterinnen und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen sowie Mitarbeiter der Bundesregierung eingeladen. Auswärtiges Amt sowie die Ministerien des Innern, der Justiz, Verteidigung und der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung zählen zu den an der Strategie beteiligten Häusern, erläuterte Dr. Martin Schuldes, Leiter des Referats Frieden und Sicherheit sowie Katastrophenrisikomanagement im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und gab einen Überblick über den Stand der Kooperation zwischen den Ministerien.

Transitional-justice-Strategie als Handlungsgrundlage 

Im Zusammenhang mit der Pandemie gewinne das Thema „transitional justice“ nochmals an Bedeutung, denn der Gesundheitsnotstand „drohe aktuelle und vergangene Konfliktlinien zu verschärfen“. Bei der „wichtigen Verbindung von Vergangenheitsarbeit und Prävention setzt eines der prioritären Maßnahmenfelder der ressortgemeinsamen Transitional-justice-Strategie an“, sagte Schuldes.

Zusammen mit dem Praxisleitfaden zur Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung, den Leitlinien der Bundesregierung („Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ ) und dem Konzept der „Gemeinsamen Analyse und abgestimmten Planung“ bilde die Strategie die Grundlage für ressortgemeinsames Handeln in dem Themenfeld.

„Plattform als Lern- und Austauschformat geplant“

Hinzu komme eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe. In dieser wolle man die Themenfelder Rechtsstaatsförderung, Sicherheitssektorreform und Vergangenheitsarbeit gemeinsam vorantreiben, Analysen, Leitfragen, Handlungsoptionen und ein gemeinsames Verständnis von Länderkontexten erarbeiten. Eine Plattform als „Lern- und Austauschformat“ sei geplant. Tunesien könne „ein denkbarer interessanter Landeskontext sein“, auf den man sich demnächst konzentrieren werde.

Durch seine Erfahrung mit der Aufarbeitung der NS-Diktatur und des SED-Regimes bringe Deutschland international eine besondere Expertise ein und sei ein „besonders glaubwürdiger Akteur“. Die Bundesregierung bemühe sich international um eine bessere Verankerung und Wahrnehmung des Themas Vergangenheits- und Versöhnungsarbeit.

„Jede Konfliktpartei hat eigene Vorstellungen“

Ob Bosnien, Irak, Syrien oder Ruanda – Natascha Zupan, Leiterin der „Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung“, unterstrich, wie anspruchsvoll die Lösung von Konflikten in von Krieg und Gewalt heimgesuchten Gesellschaften sei.

Die Suche nach Gerechtigkeit und Wahrheit könne für diese Länder Teil einer Lösung sein, aber sich ebenso sehr auch zu einem Teil des Problems entwickeln. Jede Konfliktpartei hat eigene Vorstellungen davon, wer Verantwortung trägt, wer schuld ist, was Wahrheit sein kann und was Gerechtigkeit bedeutet.„

“Strategie sollte in unserer eigenen Gesellschaft Anwendung finden„

In dem ergebnisorientierten politischen Diskurs sei es “von zentraler Bedeutung, dass die ressortgemeinsame Strategie nicht von schnellen Lösungen spricht„, sondern vor allem deutlich mache, “wo die Dilemmata und Herausforderungen liegen„ und Handlungsfelder definiere, auf denen man aktiv werden könne. Damit unterstreiche die Bundesregierung ihre “Verantwortung für langfristige Ansätze zur Prävention von Gewalt und zur Friedensförderung in komplexen Kontexten„.

Dass die Strategie auch die eigenen, deutschen Erfahrung als integralen Bestandteil begreife, verleihe ihr international eine umso größere Glaubwürdigkeit. Es gelte jetzt, das Potenzial zu nutzen, das in der Strategie stecke und die Kompetenzen der vielen Akteure, die in Deutschland an dem Thema arbeiteten, zu bündeln. Die Strategie sei dabei nicht nur für die Außen- und Entwicklungspolitik relevant, sondern sollte genauso in unserer eigenen Gesellschaft Anwendung finden“, sagte Zupan.

„Wir bringen die Leute in Gruppen dazu, über ihr Elend zu sprechen“

Der Therapeut Salah Ahmad, Gründer und Vorsitzender der „Jiyan Foundation for Human Rights, berichtete über die Versöhnungsarbeit seiner Organisation im Irak, die sich dort in zwölf vom Auswärtigen Amt geförderten Einrichtungen um Folteropfer kümmert und die Verständigung zwischen den Religionsgemeinschaften fördert.

Bei den Treffen zwischen Muslimen, Christen, Jesiden und anderen habe sich gezeigt: Die Menschen dieser Gruppen wüssten fast nichts voneinander, stattdessen existierten vor allem Vorurteile. „Wir bringen die Leute in Gruppen dazu, über ihr Elend zu sprechen, und bringen sie so einander näher.“ Das Zusammenkommen in Gruppen, die Überwindung des Fremden, die selbstkritische Reflexion, führten zu gegenseitiger Akzeptanz und eröffneten Wege zum Frieden.

Ein Schwerpunkt der Arbeit seien Jugendgruppen. Nach deutschen Regeln ausgebildete Therapeutinnen würden außerdem traumatisierten jesidischen Frauen helfen.

„Befremdlich, dass Strategie nicht auf deutsche Kolonialzeit verweist“

Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel, geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Konfliktforschung der Philipp-Universität Marburg, lobte, wie umfassend und behutsam die Strategie der Bundesregierung das Thema transitional justice angehe. Das Papier sage erfreulicherweise nicht, dass das ein einfacher Weg sei, sondern betone stattdessen die Herausforderungen und Widersprüche in dem Prozess. Es werde auch nicht verschwiegen, dass der Ansatz ein Element sei, das noch zur Komplexität eines Konfliktes beitragen könne.

Die Strategie zeichne sich zudem durch eine „klare Positionierung im Blick auf herrschende Normen und die Anerkennung von Prinzipien“ aus. Damit bekenne sich die Bundesregierung zu einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik. Die Konfliktforscherin warb dafür, der Wissenschaft, die über viel Länderexpertise verfüge, genügend Raum bei der Umsetzung der Strategie zuzugestehen. Man wolle sich da einbringen.

Angesichts der Tatsache, dass die meisten gewaltsamen Konflikte in ehemaligen Kolonien stattfänden, sei es befremdlich, dass die Strategie nicht auf die deutsche Kolonialzeit und die daraus resultierende Verantwortung verweise. Die Vergangenheitsarbeit und Versöhnung als Beitrag zur zivilen Krisenprävention müsse man auch in den Kontext des Kolonialismus stellen. (ll/26.01.21)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Salah Ahmad, Jiyan Foundation for Human Rights
  • Prof. Dr. Susanne Buckley-Zistel, Universität Marburg
  • Natascha Zupan, Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt)

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