3. Untersuchungsausschuss

Zeuge: BaFin hat sich auf die Prüfung der Wirecard Bank konzentriert

Logo der Wirecard AG an einem Bürogebäude. Herbstbäume.

Der Untersuchungsausschuss hat am 26. Februar drei weitere Zeugen befragt. (picture alliance/SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON)

War die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den 2010er-Jahren „zu nett“ zu dem insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard? Warum hat die Aufsichtsbehörde nicht stärker das Gesamtkonstrukt Wirecard in den Blick genommen, statt sich nur auf die Prüfung der Wirecard Bank zu konzentrieren? Und warum hat es nicht den Argwohn der Prüfer geweckt, dass Wirecard offenbar große Teile des Unternehmensgeflechts aus einer Prüfung heraushalten wollte? 

Das wollten die Mitglieder des 3. Untersuchungsausschusses („Wirecard“) von Jochem Damberg vom Bereich Bankenaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wissen. Damberg war der erste Zeuge, den der Ausschuss in seiner öffentlichen Sitzung unter der Leitung von Kay Gottschalk (AfD) am Freitagvormittag, 26. Februar 2021, befragt hat. 

Damberg: Das ist Spekulation

Nein, zu nett sei man nicht gewesen, so der Zeuge. Warum habe man nicht mit Nachdruck auf eine eingeleitete Umstrukturierung des Konzerns bestanden, die sich dann hinzog und schließlich nicht mehr zustande kam? „Wir haben nach Recht und Gesetz gehandelt“, „alle nötigen Maßnahme ergriffen“. Die BaFin habe sich gemäß ihrer Zuständigkeit strikt auf die Prüfung der Bank konzentriert. „Die Wirecard AG“ dagegen „wurde von uns nicht beaufsichtigt“. 

Warum er nicht darauf gekommen sei, dass da mehr dahinterstecken könnte? War nicht die Wirecard Bank der Schlüssel zum Märchen Wirecard und dem betrügerischen Modell der Wirecard AG, das den Skandal erst hervorrufen konnte? Dieses Bild habe sich nach Befragung anderer Zeugen am Vortag ergeben, so der Ausschuss. Ein Konglomerat von 58 Gesellschaften plus eine relativ kleine Bank – war das nicht auffällig? „Das ist Spekulation“, verteidigte sich Damberg. In dem Duktus verlief die Befragung im ersten Teil der Sitzung. Der Zeuge beriet sich immer wieder mit seinem Anwalt, gab Gedächtnislücken zu, erschien aber ansonsten bemüht, zur Aufklärung beizutragen. 

Scheute die BaFin den Konflikt mit Wirecard?

Die Ausschussmitglieder wollten vor allem wissen, warum die Umstrukturierung – in deren Zuge Wirecard eine wichtige Frist verstreichen ließ, um Verlängerung bat und ein zweites Inhaberkontrollverfahren ausgelöst werden musste – so lange in der Luft hing. Warum habe es kein energisches Nachhaken seitens der BaFin gegeben? Weil es sich um laufende Verfahren handelte. „Hat die BaFin den Konflikt mit Wirecard gescheut? Ist die BaFin ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen? Hat die BaFin versagt?“

Diese Vorwürfe weise er von sich, so Damberg. Ein Konzernumbau bei Wirecard mit einer „Neuaufhängung“ der Bank in den Strukturen oder die Einbeziehung der Gesellschaft „Wirecard Acquiring & Issuing GmbH“ in die Prüfung hätte für die BaFin-Prüfer keinen Erkenntnisgewinn gebracht, sagte er. 

Über eigenen Prüfbereich hinausgehende Informationen weitergeleitet 

Nicht nur durch Medienberichte, sondern auch durch Gespräche mit führenden Mitarbeitern wie dem Vorstand Burkhard Ley, der einen Doppelhut bei der Wirecard Bank und der Wirecard AG aufhatte, habe die BaFin doch direkten Zugang zu dem Geschehen bei Wirecard insgesamt gehabt, beharrten die Abgeordneten.

Die Befassung mit der Wirecard AG als Ganzem habe aber nicht in seinem und dem Aufgabenbereich der BaFin gelegen, stellte Damberg klar. Informationen, die über seinen Prüfbereich hinausgingen, habe er an die Wertpapieraufsicht und an das Geldwäschereferat weitergeleitet. 

Hin- und Herschieben von Verantwortung

Den Ausschuss interessierte außerdem die Zusammenarbeit zwischen der BaFin, der Bundesbank und anderen Aufsichtsbehörden, aber auch die Kontakte Dambergs zur Staatsanwaltschaft München I. Für die Abgeordneten ergab sich immer wieder der Eindruck eines Hin- und Herschiebens von Verantwortung zwischen verschiedenen Stellen. 

Der Ausschuss konnte am Freitagvormittag in mühsamer Kleinarbeit sein Wissen über den Fall Wirecard vervollständigen. Viele Puzzleteile liegen aber weiter ungeordnet umher. 

„Die Präventionssysteme gegen Geldwäsche haben funktioniert“

Im weiteren Verlauf der Sitzung berichtete Dr. Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor Abwicklung bei der BaFin, wie seine Abteilung nach dem Wechsel der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young (EY)zu KPMG, und nach dem Erscheinen des KPMG-Berichts im Frühjahr 2020 die Wirecard Bank unter verschärfte Prüfung gestellt habe. „Bereits Ende 2019 haben wir uns die Bank intensiver angeschaut.“

Aufgrund der Berichte von EY, die nicht nur die Wirecard AG, sondern parallel auch die Wirecard Bank geprüft hatten, habe es in den Jahren 2011 bis 2018 so ausgesehen, als sei alles in Ordnung gewesen. Auf die Wirtschaftsprüfer habe man sich stets komplett verlassen. Alle Parameter hätten dafür gesprochen, dass bei der Wirecard Bank die Präventionssysteme gegen Geldwäsche in diesem Zeitraum funktioniert hätten.

„Alles war im grünen Bereich“

„Alles war im grünen Bereich.“ Diese Einschätzung habe sich dann schlagartig nach dem Wechsel der Prüfer geändert. „Alles war plötzlich gelb und rot“ eingefärbt. „Das kam für uns sehr überraschend.“ Man habe dann sofort alle Beteiligten „streng angeschrieben“. Auch die Wirtschaftsprüfer.

Die Ausschussmitglieder wollten von Pötzsch außerdem wissen, wie die Aufgabenteilung zwischen der bayerischen Aufsichtsbehörde und der Bundesaufsicht BaFin funktioniert. Zunächst einmal sei das vollkommen Ländersache, so der Zeuge, der mit einer Reihe von E-Mails und Telefonaten konfrontiert wurde, um herauszufinden, wie beide Behörden die Frage der Zuständigkeit untereinander geklärt hätten.

„Landesbehörden keine Aufgaben zuweisen oder entziehen“

Die Überprüfung eines international tätigen Konzerns sei doch für eine kleine Landesaufsichtsbehörde in Niederbayern „mit sechs, sieben Vollzeitprüfern“ eine Nummer zu groß, bemerkte Matthias Hauer (CDU/CSU). Gab es nicht den Gedanken, das auf Bundesebene zu machen?

Seitens der BaFin habe man „zur Kenntnis genommen, dass die Bayern gesagt haben: Wir sind zuständig“, so der Zeuge. Die bayerische Behörde wollte aber lediglich genau das nicht festgestellt, sondern in einem Telefonat angefragt haben. Keinesfalls aber habe seine Behörde die Kompetenz, den Landesbehörden Aufgaben zuzuweisen oder zu entziehen, erläuterte Pötzsch.

„Geldwäschebekämpfung auf die europäische Ebene heben“

Der Fall Wirecard sei gerade für die BaFin eine bittere Erfahrung gewesen, so Pötzsch, „aus der wir lernen müssen“. Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden müsse sich bessern, man brauche einen besseren Informationsaustausch, müsse  schlagkräftiger werden, den „Aufsichtsfokus“ über Unternehmen erweitern.

Den Bereich der Geldwäschebekämpfung solle man am besten auf die europäische Ebene heben, entsprechend dem Bereich der Bankenaufsicht und Bankenabwicklung. Nicht nur der Gesetzgeber sei gefordert, die BaFin fange bei sich „als lernende Behörde“ an, aus den Fehlern von Wirecard zu lernen.

„Man muss die Bankenaufsicht neu aufstellen“

Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), gab zu, dass die bisherige Praxis der Bankenaufsicht im Fall Wirecard versagt habe, und erläuterte die Arbeitsteilung zwischen BaFin und Bundesbank, „vergleichbar mit den meisten Aufsichtsbehörden der Welt.“

Wirecard hat deutlich gemacht, dass die klassische Aufsicht nicht ausreicht“, um  die tatsächlichen Risiken eines Instituts zu beurteilen. Man müsse die Bankenaufsicht, zusammen mit den anderen Aufsichtsbereichen neu aufstellen.

„Bis heute wissen wir nicht genau, was passiert ist“

Der Fall Wirecard sei der größte Betrugsfall in der deutschen Finanzwelt der Nachkriegsgeschichte. Diesem gigantischen, und mit einem Maximum an krimineller Energie aufgetürmten Lügengebilde sei auch die Finanzaufsicht auf den Leim gegangen. „Bis heute wissen wir nicht genau, was passiert ist“, warum und wohin 1,9 Milliarden Euro bei Wirecard einfach verschwinden konnten.

Bis 2018 habe man immer die einwandfreien Jahresabschlüsse von EY gehabt und die Eigentümer von Wirecard als zuverlässig erachtet. Dann aber habe es ab Februar 2020 die Presseberichte, die konkreten Vorwürfe der Financial Times gegeben, die es auf einen Prozess mit Wirecard habe ankommen lassen. Wirecard klagte. Da habe man sich gedacht: Da muss irgendetwas dran sein. „Die Pressberichte gaben uns zu denken.“ Auf der anderen Seite habe die Wirecard Bank damals glaubhaft versichern können, nicht betroffen zu sein.

„Am Geschäftsgebaren der Wirecard Bank kaum etwas Verwerfliches“

Da Wirecard nicht als Finanzholding klassifiziert gewesen sei, habe sich die Aufsicht der BaFin auch auf die Wirecard Bank beschränkt, die letztlich „zur Unterstützung des gigantischen Betrugs bei Wirecard missbraucht“ worden sei. An dem Geschäftsgebaren der Bank sei an sich kaum etwas Verwerfliches gewesen, auch deren Kreditvergabe an Tochtergesellschaften des Konzerns sei nicht per se verwerflich.

Hätte eine frühere Einstufung der Wirecard AG als Ganzes als Finanzholding, inklusive der Wirecard Bank, nicht alles ein bisschen früher auffliegen lassen und Schlimmeres verhindern können? Diese Frage stellten die Angeordneten auch dem Exekutivdirektor Bankenaufsicht.

Umstrittene Einstufung von Wirecard als Finanzholding

Unter den Fachkollegen sei dies immer wieder erörtert worden, so Röseler, aber sowohl 2017 als auch 2020, bei einer rückwirkenden Prüfung, habe Einigkeit bestanden, Wirecard nicht als Finanzholding zu klassifizieren. Man sei sich einig gewesen, dass das Schlüsselkriterium der Vermögensgegenstände, angewendet auf den Zahlungsdienstleister Wirecard, ungeeignet sei. Außerdem gebe der gesetzliche Rahmen einen Ermessensspielraum bei der Klassifizierung. Es gebe somit keinen Automatismus.

Bereits 2017 sei doch die Frage aufgekommen, warum die BaFin nicht die gesamte Wirecard AG zum Gegenstand ihrer Prüfung machen solle, wussten die Abgeordneten.  Auch der Präsident der BaFin, Felix Hufeld, also der Dienstherr Röselers, sei doch bereits davon ausgegangen, dass Wirecard insgesamt als Finanzholding einzustufen sei. Aber das sei offenbar nicht die einheitliche Meinung des Hauses gewesen. Auch rückblickend sei die damalige Einstufung richtig gewesen, bekräftigte Röseler. „2020 sind wir immer noch zu der gleichen Entscheidung gekommen.“

Task Force wurde vom Lauf der Ereignisse überholt

Nach dem KPMG-Report im April 2020 „haben wir dann gesagt, wir müssen das ganze Thema neu bewerten und neu prüfen“. Die BaFin habe zu der Frage eine Task Force eingerichtet, die dann allerdings vom Lauf der Ereignisse überholt und überflüssig gemacht wurde: der Insolvenz der Wirecard AG.

Von da an habe sich die BaFin einfach wieder auf die Prüfung der Bank konzentrieren können, die weiterhin bestehe. (ll/01.03.2021)

Liste der geladenen Zeugen

  • Jochem Damberg, Bereich Bankenaufsicht, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
  • Dr. Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor Abwicklung, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
  • Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)

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