3. Untersuchungsausschuss

Leistung der Wirtschafts­prüfer im Fall Wirecard hinterfragt

Anhörungssaal steht auf einer Tür.

Befragt wurden Zeugen von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. (Deutscher Bundestag/Marc-Steffen Unger)

Hätte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) nicht bereits früher, vor dem Jahr 2020, den angeblich auf Treuhandkonten in Asien geparkten 1,9 Milliarden Euro des insolventen Münchner Zahlungsdienstleisters Wirecard nachspüren müssen? Mit dieser Frage konfrontierten die Mitglieder des 3. Untersuchungsausschusses („Wirecard“) in der öffentlichen Sitzung am Freitag, 19. März 2021, unter Leitung von Kay Gottschalk (AfD) den Zeugen Dr. Christian Orth, Professional Practice Director bei EY, dem Unternehmen, das die Jahresabschlüsse der Wirecard AG prüfte.

Testüberweisungen führen ins Leere

Sich Bankbelege der Treuhänder vorlegen zu lassen sei eine absolut ungewöhnliche Prüfungshandlung, erläuterte Orth. Dennoch seien die Prüfer seines Hauses diesen Weg gegangen. Nachdem eine renommierte Bank in Singapur 2019 das Treuhandkonto für Wirecard nicht mehr habe führen wolle und Wirecard sich im September desselben Jahres einem neuen Treuhänder auf den Philippinen anvertraute: „Da ging bei uns der Feueralarm an. Das war für mich der Wendepunkt“, so Orth. In einem gemeinsamen Meeting mit Kollegen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die im Auftrag der Wirecard AG eine Sonderprüfung durchführte, habe er davon am 29. Januar 2020 erfahren.

Umgehend habe man die neuen Treuhänderverträge angefordert, am 4. März 2020 sei man nach Manila geflogen und habe die neuen Banken vor Ort besucht. Mit Testüberweisungen hätten die Wirtschaftsprüfer schließlich Mitte Mai 2020 herausfinden wollen, ob die Wirecard-Milliarden existieren und wie schnell die als liquide Mittel deklarierten Gelder, um kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, tatsächlich zur Verfügung stehen würden. Von vier angeforderten Testüberweisungen von jeweils 410 Millionen Euro sei keine einzige ausgeführt worden. Weil es diese Gelder gar nicht gegeben habe.

Auf dem Weg zum seriösen DAX-Unternehmen

Der Zeuge bemühte sich deutlich zu machen, wie sich Verdachtsmomente gegenüber den Geschäftspraktiken und Strukturen von Wirecard erst sehr spät erhärtet hätten. Dann aber habe man, über die gesetzlichen und berufsständischen Vorgaben hinaus, reagiert und nachgefragt.

In den 2010er-Jahren sei von Wirecard weithin das Bild eines Unternehmens gezeichnet worden, das sich von einem erfolgreichen Start-up zu einem großen und seriösen DAX-Unternehmen hin bewege. Dieses hätten sowohl die eigenen Einblicke seines Hauses als Prüfer, als auch die Analysen von Banken und Ratingagenturen, sowie das Verhalten der Bundesbehörden, und der Staatsanwaltschaft München unterstützt. „Wir haben Wirecard weiter positiv gesehen.“ Man habe die Jahresabschlüsse auch 2018 und 2019 zertifiziert. Und sowohl von den Treuhändern als auch von den Banken sei die Existenz der Treuhandkonten bestätigt worden.

Kritische Berichterstattung trübt das Bild

Getrübt worden sei dieses Bild lediglich durch die kritische und investigative Berichterstattung beispielsweise seitens der Financial Times und belastende Materialien von Whistleblowern. Zwei weitere Kleinigkeiten hätten ihn dann stutzig macht, so Orth: In einem der Geschäftsberichte der kontoführenden asiatischen Banken seien die Fremdwährungsrisiken der in Euro lautenden Konten nicht aufgeführt gewesen. Dies und die immer wieder ausbleibenden Testtransaktionen hätten seine Zweifel an der Existenz der Euro-Konten ausgelöst.

Dass man bis dato ungültige Kontoauszüge in Händen gehalten habe, sei schließlich bei einem Gespräch mit den Bankvorständen am 16. Juni 2020 herausgekommen. „Wir haben Konteneinsicht angefordert – und erhielten dann die Bestätigung, dass diese Konten nicht existieren.“ 

Zeuge: Wirtschaftsprüfer sind keine Kriminologen

„Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist“, sagte Hubert Barth, scheidender Vorsitzender der Geschäftsführung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young Deutschland (EY), im weiteren Verlauf der Zeugenvernehmung. Er und seine Mitarbeiter seien jedoch fest entschlossen, zur Aufklärung des bislang größten und „einmaligen“ Betrugsskandals der bundesrepublikanischen Wirtschaftsgeschichte beizutragen. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Februar 2021 von ihrer Schweigepflicht als Wirtschaftsprüfer entbunden, durften Mitarbeiter von EY nun dem parlamentarischen Gremium Rede und Antwort stehen, nachdem sie bislang ihr Aussageverweigerungsrecht geltend gemacht hatten.

Seine Prüfer hätten sich keine Formfehler zuschulden kommen lassen, sondern die Prüfung der Wirecard-Bilanzen im Untersuchungszeitraum „nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt“, erklärte Barth. Bei einem Fall wie dem von Wirecard gelange sein Berufsstand an seine Grenzen. „Für die Prüfer ist es unglaublich schwer zu erkennen, ob ein Geschäft existiert oder nicht. Und vorsätzlicher Betrug ist nicht immer zu erkennen.“ Wirtschaftsprüfer seien keine Kriminologen.

Prüfer fanden keine Anhaltspunkte für Täuschung

Obwohl man Unregelmäßigkeiten wie beispielsweise die um den Wirecard-Geschäftszweig in Singapur festgestellt habe, habe man die Bilanz der Wirecard AG im Jahr 2018 noch testiert, „weil die Unregelmäßigkeiten nicht unmittelbar die Rechnungslegung betrafen“. Warum aber hat man den Betrug dieser unvorstellbaren Größenordnung nicht früher aufdecken können, wollte der Ausschuss wissen. Das Zahlenwerk, dem man schließlich 2019 sein Testat verweigert habe, sei sicher auch bereits 2018 nicht in Ordnung gewesen. Hätten die Prüfer „nicht viel früher viel tiefer graben müssen?“

„Wir haben die Täuschung in Betracht gezogen und über das normale Maß hinaus nachgeforscht. Aber es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben“, erklärte Barth. Sehr lange habe zudem alle Welt Wirecard positiv gegenübergestanden. Dennoch „haben wir es im Juni 2020 geschafft, den Betrug nachzuweisen und keine Sekunde gezögert, Alarm zu schlagen“, hielt sich Barth zugute. „Alle bei EY wünschen sich, dass wir die Taten bei Wirecard früher entdeckt hätten.“ Nun unterstütze sein Haus den Deutschen Bundestag, indem man dem 3. Untersuchungsausschuss alle möglichen relevanten Materialien zur Verfügung gestellt habe, damit das Gremium seinen Auftrag erfüllen könne.

„Dreht jeden Stein um“

Von der Interpretation der rechtlichen Rahmenbedingungen, ihrem Berufsverständnis als Wirtschaftsprüfer und den Strukturen und Arbeitsabläufen bei EY, über die Vorhaltung und Bewertung von Beweismitteln wie E-Mails und Telefonaten bis hin zu der Fachdebatte über den richtigen Umgang mit Treuhandkonten bei der Bilanzprüfung: Die Abgeordneten komplettierten am Freitagnachmittag ihr Bild von den Vorgängen bei Wirecard und der Rolle der Wirtschaftsprüfer.

„Wir sind mit der Prüfung fertig, wenn wir fertig sind“, sei die Devise in seinem Haus 2019 gewesen, unterstrich Barth. Nach der kritischen Berichterstattung durch die Financial Times und einem „Whistleblower-Paket an mich“ habe er seinen Prüfern gesagt: „Dreht jeden Stein um.“ Die Prüfer-Teams seien personell aufgestockt, das Wirecard-Mandat auf „high risk hochgestuft“ worden. Und auch parallel zu den Untersuchungen der Wirtschaftsprüfer von KPMG und darüber hinaus arbeite man den Fall Wirecard intern weiter auf. Dabei tauchen immer noch neue Dokumente auf.

Untersuchungsausschuss erhält neues Dokument

Erst heute sei dem Ausschuss ein neues, noch als geheim eingestuftes Papier zugekommen, das neue „Fragen aufwerfe“, aber vermutlich auch entscheidende fehlende Antworten geben, ja der Schlüssel zur Aufarbeitung des Falls sein könne, sagte der Vorsitzende Kay Gottschalk über EY-Prüfungsunterlagen vom März 2016. Demnach hätten die EY-Prüfer bereits damals aus irgendeinem Grund Zweifel gehegt, ob das vielbejubelte Geschäftsmodell von Wirecard überhaupt funktionieren könne.

Bis 2019 sei man den betrügerischen Luftbuchungen aufgesessen. Aber in dem Dokument von 2016 „ist, abstrakt formuliert, alles erkannt“, was man sich in den letzten Monaten im Ausschuss erarbeitet habe. „2016 sind Sie falsch abgebogen“, so Gottschalk zum Zeugen. Das sei „grob fahrlässig“ und „das Dramatische“ am Fall Wirecard, dass die Betrüger noch so lange ungestört weiter ihr Unwesen hätten treiben können. Er empfahl Barth das Dokument, das diesem zur Verfügung gestellt wurde, um es zu einem späteren Zeitpunkt zu kommentieren, explizit nicht als Wochenendlektüre, sondern, sich dies für Montag aufzuheben.

Auftrag des Untersuchungsausschusses

Der Bundestag hat am 1. Oktober 2020 auf Antrag der Fraktionen der FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen die Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses mit den Stimmen der Oppositionsfraktionen bei Enthaltung der Koalitionsfraktionen beschlossen. Der neunköpfige Ausschuss soll das Verhalten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um den inzwischen insolventen Finanzdienstleister Wirecard untersuchen.

Insbesondere für die nachrichtendienstlichen Aspekte des Untersuchungsauftrags hat der Ausschuss den ehemaligen Berliner Justizsenator und Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wieland als Ermittlungsbeauftragten nach Paragraf 10 des Untersuchungsausschussgesetzes eingesetzt. Darüber hinaus steht er mit Blick auf den gesamten Untersuchungsauftrag potenziellen Hinweisgebern als Ansprechpartner zur Verfügung (ermittlungsbeauftragter.pa30@bundestag.de). (ll/19.03.2021)

Liste der geladenen Zeugen

  • Dr. Christian Orth, Professional Practice Director bei EY
  • Hubert Barth, ehemaliger Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland
  • Sven Hauke, Leader Banking & Capital Markets, PricewaterhouseCoopers International 


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