Bundestag will den Schienenverkehr in Europa stärken
Die Bahnpolitik stand am Donnerstag, 15. April 2021, im Mittelpunkt einer halbstündigen Debatte. Angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen hat der Bundestag einen Antrag von CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Die Schiene europaweit stärken – Das Jahr der Schiene erfolgreich nutzen“ (19/28465). Die Fraktion Die Linke enthielt sich, alle anderen Oppositionsfraktionen stimmten dagegen.
Angenommener Antrag der Koalition
Mit der Annahme des Koalitionsantrags (19/28465) spricht sich der Bundestag dafür aus, die Schiene europaweit zu stärken. Die Bundesregierung wird unter anderem aufgefordert, für den europäischen Schienenverkehr als nachhaltigen und umweltfreundlichen Verkehrsträger zu werben sowie die Übereinkommen mit den europäischen Nachbarländern zum Ausbau der grenzüberschreitenden Verbindung ohne Verzögerung umzusetzen.
Zur Begründung heißt es: Nur mit einer Stärkung der Schiene in Europa lasse sich das Ziel der Europäischen Union, bis 2050 klimaneutral zu werden, erreichen. Den Antragstellern zufolge erzeugt der Verkehrssektor derzeit etwa ein Fünftel der Treibhausgasemissionen in Deutschland und in Europa. Um die Emissionen des europäischen Verkehrs nachhaltig zu senken, komme es deshalb entscheidend darauf an, die Rolle des Schienenverkehrs in Europa zu stärken.
Anträge der Oppositionsfraktionen
Drei FDP-Anträge zur Aufarbeitung der Rheintal-Streckensperrung 2017 von Rastatt (19/1839), zur Entlastung des Mittelrheintals (19/7984) und zur Verbesserung der Qualität des Schienennetzes (19/11110) wurden abgelehnt. Ersterer mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition. Bei den letzten beiden Anträgen enthielt sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Den Abstimmungen lagen Beschlussempfehlungen des Verkehrsausschusses (19/3800, 19/9000, 19/15522 Buchstabe b) zugrunde.
Ebenfalls abgelehnt wurde ein Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Investitionsoffensive in den öffentlichen Nahverkehr – Für eine echte Verkehrswende“ (19/22490). Für den Antrag stimmten Grüne und Linke, alle anderen Fraktionen waren dagegen. Auch dazu lag eine Beschlussempfehlung des Verkehrsausschusses vor (19/24596).
Darüber hinaus hat die AfD-Fraktion einen Antrag mit dem Titel „Verfügbarkeit der Eisenbahninfrastruktur in Deutschland bei schwierigen Wetterverhältnissen“ (19/28460) eingebracht, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Antrag „Die deutsche Bahnpolitik in eine europäische Verkehrswende einbetten“ (19/28441) und die FDP den Antrag „Für ein modernes und wettbewerbliches Bahnsystem in Europa“ (19/28435). Alle drei Vorlagen wurden zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur überwiesen.
Erster abgelehnter Antrag der FDP
Die Havarie an der Tunnelbaustelle der Deutschen Bahn AG (DB AG) bei Rastatt-Niederbühl im August 2017 infolge einer Gleisabsenkung thematisierte die FDP-Fraktion in ihrem ersten abgelehnten Antrag (19/1839). Die Bestandsstrecke der Rheintalbahn Karlsruhe-Offenburg sackte aufgrund der Havarie ab, was zu einer mehrwöchigen Streckensperrung führte. Die Abgeordneten forderten in ihrem Antrag sowohl eine Aufarbeitung des Unglücks als auch die Entwicklung eines Notfallmanagements.
Zusammen mit der DB AG müsse die Bundesregierung im Bundestag zeitnah mündlich und schriftlich darstellen, wie es vor und am 12. August 2017 zu der Tunnelhavarie bei Rastatt-Niederbühl kommen konnte, hieß es in der Vorlage. Außerdem sollten Bundesregierung und Bahnverantwortliche darüber berichten, wie am 12. August 2017 und danach die Folgen der Streckensperrung gemanagt wurden und welche Probleme es dabei gab.
Die Liberalen forderten zudem von der Bundesregierung, einen Plan für betriebsbereite Ausweichstrecken für Güterzüge im gesamten Bundesgebiet vorzulegen. Der Plan solle insbesondere die Optimierung von Bestandsstrecken berücksichtigen, die durch die Reaktivierung von abgebauten Überholgleisen, zusätzlichen Bahnkurven und Brückenbauwerken kurz- und mittelfristig als Ausweichstrecken zur Verfügung stehen könnten, hieß es in dem Antrag.
Zweiter abgelehnter Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion forderte verkehrliche Entlastungen für das Mittelrheintal. In ihrem zweiten abgelehnten Antrag (19/7984) verwiesen die Abgeordneten darauf, dass das Obere Mittelrheintal zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Dennoch verlaufe durch das Tal eine der meist befahrenen Güterzugstrecken Europas (Genua-Rotterdam). Täglich würden hier bis zu 400 Personen- und Güterzüge verkehren, schrieben die Liberalen. „Die Trassen stoßen somit schon heute an ihre Kapazitätsgrenze“, warnten die Abgeordneten.
Für den Bau einer alternativen Neubaustrecke sehe das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) jedoch erst dann Handlungsspielraum, „wenn sich das wirtschaftliche Aufkommen auf der Schiene im Mittelrheintal über die bislang prognostizierten Zahlen hinaus bis 2039 verzehnfachen beziehungsweise sich das Verkehrsaufkommen verdoppeln würde“, kritisierte die FDP-Fraktion. Das würde ihrer Ansicht nach auf eine Zahl von 1.000 bis 1.200 Personen- und Güterzügen auf der Strecke pro Tag hinauslaufen.
Ob eine solche Erhöhung der Zugzahlen oder eine Erhöhung der erbrachten Tonnen-Kilometer zum Erreichen des Wirtschaftlichkeitszieles von der alten Infrastruktur getragen werden kann, erscheine aber auch vor dem Hintergrund zweifelhaft, „da die parallel verlaufenden Strecken an den beiden Ufern des Rheins bereits aus dem 19. Jahrhundert stammen und auch unklar ist, ob die Zulaufwege diese Leistung erbringen können“.
Dritter abgelehnter Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion stellte in ihrem dritten abgelehnten Antrag (19/11110) mehrere Forderungen an die Bundesregierung im Zusammenhang mit den aktuellen Verhandlungen zur dritten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen Deutscher Bahn AG (DB AG) und Bund über Zahlungen des Bundes für Ersatzinvestitionen in das Bestandsnetz der Bahn. Darin wurde die Bundesregierung aufgefordert, die sanktionsbewehrten Qualitätskennzeichen durch das vom Bundesrechnungshof (BRH) geforderte Kriterium Gleislage und zusätzliche Kriterien weiterzuentwickeln und im Vertrag so umzusetzen, dass sie einen umfassenden und detaillierten Zustandsbericht der gesamten Eisenbahninfrastruktur des Bundes wiedergeben, inklusive des nachholenden Bedarfs für Ersatzinvestitionen.
Außerdem verlangten die Liberalen, die im Bundesverkehrswegeplan identifizierten Knotenpunkte aufgrund ihrer überproportionalen Inanspruchnahme als Sanierungsgegenstand explizit in die Vereinbarung mit aufzunehmen. Zudem müsse die Durchführung regelmäßiger Kontrollen der eingesetzten Bundesmittel auf ihre Wirtschaftlichkeit während der Laufzeit der LuFV III vereinbart werden. Die Finanzierungslasten bei Instandsetzung und Ersatzinvestitionen müssen aus Sicht der FDP-Fraktion so gestaltet werden, „dass die Fehlanreize zur Vernachlässigung der Instandsetzung beendet werden“. Damit die Motivation des Vertragspartners zum effektiven Einsatz der Bundesmittel erhöht wird, müssten des Weiteren effektive Sanktionen implementiert werden.
Abgelehnter Antrag der Linken
Die Linke setzte sich in ihrem abgelehnten Antrag (19/22490) für eine „echte Verkehrswende“ ein. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, einen Fahrplan zu erarbeiten, der die Verdoppelung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPN) und die Stärkung des Umweltverbundes zum Ziel hat, um deutlich mehr Bürgerinnen und Bürgern den Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Nahverkehr zu ermöglichen. Ein Schritt dabei müsse die Einberufung eines Gipfels für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) noch in diesem Jahr zum Start einer Verkehrswende für den Klimaschutz sein.
Die entscheidenden Akteure aus Kommunen, Ländern, Bund, Gewerkschaften, Unternehmen und Umweltverbänden müssten „an einen Tisch kommen“, verlangte die Linksfraktion. Die Abgeordneten sprachen sich zudem für die Revision der Verkehrswegeplanung mit dem Ziel aus, „Mittel aus dem Fernstraßenneubau zugunsten des Umweltverbundes umzuwidmen“.
Neue Anträge der Opposition
Zur weiteren Beratung überwiesen wurde ein Antrag der AfD (19/28460), in dem sich die Fraktion unter anderem dafür ausspricht, dass die verkehrssichere Verfügbarkeit der Eisenbahninfrastruktur auch bei schwierigen Witterungsbedingungen für möglichst alle Verkehre oberste Priorität habe. Darauf solle der Bund als hundertprozentiger Eigentümer des Unternehmens Deutsche Bahn AG hinwirken, so die Antragsteller.
Die FDP verlangt in ihrem Antrag mit dem Titel „Für ein modernes und wettbewerbliches Bahnsystem in Europa“ (19/28435) mehr Tempo beim Ausbau der grenzüberschreitenden Schieneninfrastruktur. Unter anderem fordert sie, weitere Maßnahmen zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren auf den Weg zu bringen sowie die von deutscher Seite zugesagten Schienenanbindungen an das internationale Netz fertigzustellen.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag (19/28441) den Aufbau eines „multimodalen Verkehrssystems“, anstatt einer Fokussierung auf Pkw-Verkehr und Straßenbau. Außerdem gelte es, so die Antragsteller, faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern zu schaffen und die Investitionen in den Aus- und Neubau sowie die Modernisierung der Eisenbahninfrastruktur „massiv“ zu erhöhen. (hau/irs/15.04.2021)