3. Untersuchungsausschuss

Fakten-Nachlese mit der BaFin-Spitze

Schriftzug auf einer Hauswand von Wirecard.

Wie der Fall Wirecard bei der Aufsichtsbehörde BaFin gehandhabt wurde, interessierte die Abgeordneten. (© picture alliance/SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON)

Zu einer Fakten-Nachlese wurden zwei Exekutivdirektoren sowie der scheidende Chef der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am Dienstag, 13. April 2021, noch einmal in den Zeugenstand des 3. Untersuchungsausschusses („Wirecard“) gerufen. 

Nachdem der Ausschuss unter dem Vorsitz von  Kay Gottschalk (AfD) in den vergangenen Wochen durch die Aufnahme neuer Beweismittel und weitere Zeugenbefragungen seinen Wissensstand rund um den Fall des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard ausgebaut hatte, wollte das Gremium die BaFin-Spitze noch einmal mit Nachfragen konfrontieren.

Die Rolle der BaFin bei der Beaufsichtigung 

Um Aufklärung des Untersuchungsgegenstandes bemüht, erschien als erster Zeuge des Verhandlungstages Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht bei der BaFin. Die Ausschussmitglieder gingen in vier Fragerunden noch einmal auf sämtliche Aspekte rund um die Rolle der BaFin bei der Beaufsichtigung der Wirecard AG und der Wirecard Bank ein – etwa auf eingespielte Prozeduren bei der BaFin, deren Zusammenarbeit mit Bundesbank, Deutscher Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) und Europäischer Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) oder auf die Arbeit an der Schnittstelle von nationalen Vorschriften und Europarecht.

Aber auch der Umgang mit der kritischen Medienberichterstattung, die Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft München, das im Februar 2019 verhängte Leerverkaufsverbot oder das Umhängen der Bank in die AG im Rahmen des sogenannten Inhaberkontrollverfahrens kamen in den Fragerunden zur Sprache.

„Wir hätten Wirecard gerne zur Finanzholding erklärt“

„Die Entscheidung der BaFin, die Wirecard AG nicht als Finanzholding einzustufen, hat den Betrug massiv mit begünstigt“, sagte Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU). Und auch weitere Mitglieder des Untersuchungsausschusses konfrontierten Röseler nochmals mit der Frage, warum die BaFin nicht energischer darauf hingearbeitet habe, Wirecard zügig als Finanzholding einzustufen, um den ganzen Konzern der Kontrolle seines Hauses unterstellen zu können. 

Röseler erläuterte anhand eines Kriterienkatalogs noch einmal, dass die Frage, ob die Wirecard AG als Finanzholding einzustufen sei, wofür die BaFin zu keinem Zeitpunkt eine Grundlage sah, sehr wohl eine Ermessensentscheidung gewesen sei. Die Entscheidung dagegen habe man 2020 auch nochmals geprüft. Dabei habe man aktuellere Zahlen herangezogen und Tochtergesellschaften der Wirecard einbezogen.

Am Ende sei man zu demselben Ergebnis gekommen. „Wir hätten die Wirecard AG gerne zur Finanzholding erklärt“, um die Holding in ihrer Gesamtheit prüfen zu können und nicht nur die Wirecard Bank, sagte er. Die Kriterien hätten dies jedoch nicht hergegeben. Man hätte sich zunächst noch zahlreiche Daten aus sämtlichen Unternehmensteilen ansehen müssen, was einen längeren Prozess nach sich gezogen hätte. 

„Zutiefst unheimlich“

Röseler gestand, seit den Anfang 2019 von der Financial Times formulierten Vorwürfen „war uns die Wirecard AG zutiefst unheimlich. Dass die AG als wesentlicher Bürge für hohe konzerninterne Kredite auftrat, war uns unheimlich“.

Dabei habe es für Wirecard zu dieser Zeit ja noch immer weiterhin große Vorschusslorbeeren, und weiterhin testierte Jahresabschlüsse gegeben. Das Unternehmen sei in den Deutschen Aktienindex aufgestiegen, „die Ratings waren top“, die Wirecard-Vorstände Braun und Marsalek nicht vorbestraft. „Wir dachten: Da muss sich die Financial Times schon sehr sicher sein.“ 

Nach diesen Vorwürfen der Presse „hatten wir Bauchschmerzen“ – aber „nichts in der Hand“. Und kein Mensch habe sich einen solchen Betrug damals vorstellen können. Bei Wirecard habe vieles komisch ausgesehen, „aber Sie müssen auf Basis von Fakten handeln. Die Polizei verhaftet ja auch niemanden, nur weil der komisch aussieh..“

Zeuge: Alles unauffällig vor dem Zusammensturz

Der Zeuge schilderte noch einmal die verschiedenen Kontrollen, die dann erfolgten, im Zusammenspiel mit anderen Institutionen. Die Wirtschaftsprüfer prüften die Jahresabschlüsse, bei der KPMG wurde ein Sondergutachten in Auftrag gegeben, ebenso wurde die DPR mit einem Prüfauftrag betraut. 2019 habe zudem die BaFin sich die konzerninterne Kreditvergabe angeschaut und 13 Proben gezogen: „Neun Kredite entsprachen dabei der höchsten Risikoklasse, vier der zweithöchsten.“ 

Gab es damals schon Argumente und Momente, wo er sich gesagt habe: Das überzeugt mich nicht, fragte Fabio de Masi, Obmann der Linken, den Zeugen noch einmal. „Als das ganze Wirecard-Konstrukt im Sommer 2020 zusammenstürzte, da haben wir genau geschaut: Wer von uns hat im Vorfeld was genau gemacht?“, so Röseler. Vorher aber sei rund um dieses Unternehmen eigentlich alles sehr unauffällig verlaufen. 

„Ich wollte da tiefer reinschauen“

Bundesbank und BaFin hätten ihre arbeitsteilige Kontrolle ausgeführt. Als Wirecard dann erkennbar in Schieflage geriet, sei auch bei der BaFin alles etwas in Chaos, Hektik und Überforderung gemündet. „Wir haben in diesen Wochen 16 Stunden am Tag gearbeitet.“

Dass die Aufsicht über Wirecard zwischen Bundesbank und BaFin verteilt gewesen sei, „war in diesem Fall falsch“, sagte der Zeuge. Röseler zeigte sich die gesamte Sitzung über bemüht, auf die Lessons Learned des Falles für die Finanzaufsicht hinzuweisen. Ja, man hätte die strategischen Kredite von Wirecard genauer anschauen müssen. Man hätte das Kontrollverfahren bei der DPR nicht abwarten dürfen. „Das war mir zu wenig“, so der Zeuge, und wies damit auch auf Differenzen im eigenen Haus hin.

„Mir ging es um das Risiko, was in dieser Bank drin war. Ich wollte da tiefer reinschauen.“ Im Mai 2020 sei man damit dann schon zu spät gewesen. „Hier hätten wir auch aktiver sein müssen.“ Insgesamt habe man dieses Institut als nicht riskant und wenig relevant eingestuft. 

Ideen für bessere Kontrollen

Nun komme es aber in der BaFin und in der Finanzaufsicht insgesamt zu einem Kulturwandel. Man müsse künftig stärker auf die Rotation von Mitarbeitern setzen, auch zwischen Aufgabenbereichen. Da hätten manche in der Vergangenheit sicher „die kritische Distanz verloren“.

Auch Dr. Danyal Bayaz (Bündnis 90/Die Grünen) forderte Röseler zu einem Blick voraus auf. „Wie kriegen wir das denn künftig hin?“ Ein Schlüssel sei die „Fokus-Aufsicht“ und „dass nicht ein einzelner immer nur für eine einzelne Bank zuständig ist“. Stattdessen müsse mehr im Team gearbeitet werden. Dann müsse man viel intensiver an der Bank dran sein. Im Team müsse man die Mitarbeiter zudem dazu bringen, mehr Mut zu zeigen und vermehrt aktiv zu werden. Gepaart mit der Rotation werde dies zu einer automatischen Kontrollfunktion führen, erklärte Röseler.

Ex-Präsident der BaFin erneut Zeuge

Auch Felix Hufeld, bis zum 1. April 2021 Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), zeigte bei seiner zweiten Befragung was für ein Einschnitt der Fall Wirecard für die Finanzaufsicht gewesen sei und welche Lehren seine Behörde daraus gezogen habe. 

Es gehöre zu den Herausforderungen für die Zukunft, dass künftig eine risikoorientiertere Aufsicht Probleme bei einem Institut wie der Wirecard Bank erkenne und hoffentlich besser in den Griff bekomme. „Wegen ihrer relativen Kleinheit“ sei die Wirecard Bank bei den Prüfern schlicht „nach dem Schema F durchgelaufen“. Zu einer Einstufung und Kontrolle der gesamten Wirecard AG als Finanzholding aber habe man sich nicht entschließen können.

Argumente gegen die Einstufung als Holding

Warum er denn nicht einen Hinweis des Wirecard-Aufsichtsrates Eichelmann aufgegriffen habe, dass doch die Tatsache, dass der Bereich Treasury der Wirecard Bank organisatorisch innerhalb der AG angesiedelt sei, ein gewichtiges Argument für eine Einstufung darstelle, wollten die Ausschussmitglieder wissen. 

Eichelmann habe plausible Argumente geliefert, so Hufeld. Und als Aufseher habe er das ohnehin „als wünschenswert erachtet, die Wirecard AG insgesamt als Finanzholding einzustufen“. Er habe sein Haus angewiesen, das zu prüfen. Aber es sei ein ganzer Katalog an Kriterien zu beachten, quantitative, organisatorische Aspekte, man habe das gesamte Bild, die Gesamtstruktur von Wirecard umfassend prüfen müssen. 

„Ich habe es für erstrebenswert gehalten dass wir endlich zu einer Einstufung kommen.“ Aber er habe das keinesfalls von oben anordnen können. Es habe geprüft werden müssen. Aber das habe am Ende einfach zu lange gedauert. „Ich war mit dem langsamen Vorgehen nicht glücklich. Ich wollte, dass das akut nach vorne angepackt wird.“

„Wir sind durch den ganzen Gemüsegarten marschiert“

Nach dem Zusammenbruch der Wirecard AG im Sommer 2020 habe man dann sofort auch andere Unternehmen näher untersucht. „Wir sind dann durch den ganzen Gemüsegarten marschiert.“ Generell seien aber die Unternehmen verpflichtet, eine Veränderung ihrer Struktur, die zu einer veränderten Einstufung führen könnte, anzuzeigen. 

Der Untersuchungsausschuss stellte Hufeld zudem Nachfragen zu den Arbeitsbeziehungen zwischen der BaFin und dem Bundesministerium der Finanzen, dem die Behörde unterstellt ist, zur Zusammenarbeit mit nationalen und europäischen Behörden, zur Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft München sowie zur Aufarbeitung von Mitarbeitergeschäften und der Reform der Compliance-Regeln.

Das Leerverkaufsverbot vom 18. Februar 2019

Übereinstimmungen und Widersprüche mit den Aussagen seiner zuvor befragten Mitarbeiter wurden festgestellt. Hufeld trug, soweit es seine Position als Präsident zuließ, zur Aufklärung auch der operativen Prozesse auf der Fachebene seines Hauses bei und gab sich reformbewusst. Der Zeuge verwies dabei mehrfach auf seine Aussagen vor dem Gremium am 26. März. 

Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) brachte noch einmal die berühmteste Entscheidung der BaFin, nämlich das für die Wirecard AG am 18. Februar 2019 erlassene Leerverkaufsverbot, zur Sprache. Er sei daran zwar operativ nicht beteiligt gewesen, so Hufeld, aber im Nachhinein sei ihm das Handeln seines Hauses in allen Schritten nachvollziehbar erschienen, vom Eingang des Hinweises der Staatsanwaltschaft am Freitagnachmittag über die eigenen Prüfschritte und die Kommunikation mit der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA, der Bundesbank, dem Ministerium bis hin zur Textarbeit an der Begründung. Alle beteiligten Kollegen standen im Dialog zueinander und mit der ESMA und hätten sämtliche Aspekte einer „Tatbestandlichkeit“ abgeprüft.

„Unglückliche Pressekommunikation“

Lediglich die Pressekommunikation sei unglücklich verlaufen. Da hätte man einfach noch mehr pädagogische Mühe investieren müssen, um die Entscheidung für das Leerverkaufsverbot zu erklären, meinte er. „Das musste präzisiert werden. Das haben wir am Ende nicht gut hingekriegt“, gab sich Hufeld selbstkritisch. 

Ab Montag habe man daher den Sachverhalt und die Ratio hinter dem Schritt in unzähligen Gesprächen mit Journalisten nachbereiten und verdeutlichen müssen: Nein, die BaFin habe keinesfalls in erster Linie die Wirecard AG schützen wollen. Vielmehr habe die Gewährleistung des Marktvertrauens und der Anlegerschutz für seine Behörde im Mittelpunkt gestanden. (ll/13.04.2021)

Liste der geladenen Zeugen

  • Raimund Röseler, Exekutivdirektor Bankenaufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
  • Elisabeth Roegele, bis 1. Mai 2021 Exekutivdirektorin Wertpapieraufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
  • Felix Hufeld, bis 1. April 2021 Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)


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