3. Untersuchungsausschuss

Die schwierige Koopera­tion der Prüfer von BaFin und DPR bei Wirecard

Hauswand mit Schriftzug von Wirecard

Firmenzentrale des umstrittenen Finanzdienstleisters Wirecard in Aschheim bei München (picture alliance/SvenSimon | Frank Hoermann/SVEN SIMON)

Strukturelle Fragen und Prozesse bei der Wertpapieraufsicht standen im Mittelpunkt der öffentlichen Zeugenvernehmung des 3. Untersuchungsausschusses („Wirecard“) am Montag, 12. April 2021, bei der das Gremium unter Vorsitz von Kay Gottschalk (AfD) Zeugen aus der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) befragte. 

„Keine Anhaltspunkte für gesetzwidrige Transaktionen“

Hätte die BaFin in dem zweistufigen Bilanzprüfungsverfahren zwischen ihr als Bundesaufsichtsbehörde und der privatrechtlichen Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) den Fall des inzwischen insolventen Finanzdienstleisters Wirecard an sich ziehen müssen? „Keine Anhaltspunkte für gesetzwidrige Transaktionen“ gebe es „und keine fehlerhafte Rechnungslegung“, zitierte Dr. Hannelore Lausch, bei der BaFin im Untersuchungszeitraum zuständige Abteilungspräsidentin für Grundsatzfragen der Wertpapieraufsicht, aus einem Bericht der DPR.

Die Antworten der DPR auf Nachfragen ihres Hauses hätten der BaFin keinen Anlass gegeben, das Verfahren im Fall der Wirecard AG an sich zu ziehen. „Wir haben mehrere schriftliche Anfragen zur Prüfung der DPR gestellt. Die Antworten haben uns nicht an einem ordnungsgemäßen Verfahren zweifeln lassen. Die haben mehrere Prüfungsdurchgänge gemacht. Die Prüfstelle hat gearbeitet. Wie in jedem anderen Fall auch.“ Das könne durchaus mal zwölf Monate dauern.

Zweistufiges Prüfverfahren zwischen BaFin und DPR

Die Mitglieder das Untersuchungsausschusses beleuchteten vor allem die Schnittstellen zwischen der ministeriellen Ebene, Bundesministerium der Finanzen (BMF) und Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), und den am Prüfverfahren beteiligten Institutionen (BaFin und DPR) sowie zwischen diesen beiden Prüfeinrichtungen. Ob die gesetzliche Regelung eine Fehlkonstruktion ist und unter welchen Voraussetzungen der rechtliche Rahmen vielleicht doch zulässt, dass die BaFin ein Prüfverfahren der DPR an sich zieht, interessierte die Abgeordneten.

Lausch schilderte die Unzufriedenheit der BaFin mit dem zweistufigen Verfahren. „Das zweistufige Verfahren ist ineffizient und erzeugt Probleme in der praktischen Handhabung. Das haben wir BMF und BMJV von Anfang an geschildert. Aber die Ministerien wollten das zweistufige Verfahren so, und wir haben dann das Beste daraus gemacht.“

„Zusammenarbeit mit der Prüfstelle war anstrengend“

Die Zusammenarbeit mit der Prüfstelle „war anstrengend“, so Lausch, geprägt von Kompetenz-Rangeleien und Vorwürfen. „Man musste um seine Rechte kämpfen, hatte von Beginn an Probleme, angeforderte Akten zu bekommen, um bei Zweifeln in einem Fall auch mal tätig zu werden.“ Das habe sich im Lauf der Jahre verbessert. „Wir haben uns dann mit diesem Verfahren arrangiert.“

Lediglich in einer Handvoll anderer Fälle habe man in der Vergangenheit seitens der BaFin Fehler am Prüfverfahren bei der DPR festgestellt. „Die waren natürlich brüskiert und sind sofort zum Ministerium gelaufen.“

Mehrere Stichprobenprüfungen bei Wirecard

Die Zeugin schilderte, wie die BaFin 2019 und 2020 auf den Prüfbericht der DPR und auch auf das von Wirecard selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Bilanzprüfer der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG gewartet habe. Im Vorstand der BaFin habe man Anfang 2020 den Verdacht gehegt, dass die DPR im Fall Wirecard seit einem Jahr nicht gearbeitet habe, wusste der Ausschuss aus einer E-Mail. Daraufhin habe man ja das Auskunftsersuchen an die DPR gestellt, so Lausch: Was macht ihr? Wann können wir mit Ergebnissen rechnen? Im November 2019 habe sie außerdem „mitbekommen, dass die DPR erst das KPMG-Gutachten abwarten wolle“.

Gut so, sei man dazu bei der BaFin übereingekommen. Es mache keinen Sinn, parallele Prüfungen zu eröffnen, wenn dieses große, global tätige Unternehmen mit all seinen Möglichkeiten an dem Fall dran sei: „Das wollten wir abwarten.“ Presseberichte über Manipulationen rund um Wirecard habe die BaFin der DPR für deren laufendes Verfahren stets weitergeleitet. Man sei so seiner Verpflichtung zur Zusammenarbeit nachgekommen. Die DPR habe mehrere Stichprobenprüfungen bei Wirecard vorgenommen und bis auf 2020 stets festgestellt, dass es sich um ordnungsgemäße Abschlüsse handelte.

„Forensisch können die da gar nichts machen“

In der Sitzung entstand – durch die Fragen der Ausschussmitglieder und die Antworten der Zeugin von der BaFin – von der DPR das Bild einer sehr selbstbewussten und wenig kooperativen Institution, die von wenig konkreten ministeriellen Regelungen zur Zusammenarbeit profitiere, sich den Prüfungsprozeduren der zu beaufsichtigenden Unternehmen anschließe und  vielfach die Herausgabe von Informationen unter Berufung auf Geheimhaltungsvorbehalte versage, und der die BaFin schließlich etwas zutraute, für das die DPR keine Mittel hatte.

Die BaFin habe ja im Schriftverkehr mit der DPR unterstellt, dass Wirecard möglicherweise Umsatzerlöse mit gefälschten Unterlagen belegt habe, so Matthias Hauer (CDU/CSU). Gefälschte Unterlagen aber könne die DPR, die ja nach den Worten von Lausch Buchhaltungsprüfung am Schreibtisch mache, gar nicht erkennen, da sie nicht forensisch tätig werde. Es passe nicht zusammen, dass die BaFin von der DPR verlange, über die Rechnungsprüfung für den Abschluss 30. Juni 2018 hinaus strafbare Handlungen aufzudecken, „obwohl man wusste: Forensisch können die da gar nichts machen“.

Lausch sagte dazu: „Es ging mit der DPR stets darum: Wann kriegen wir das Prüfergebnis? Die Antwort war immer: Wir werden das schnellstmöglich vorlegen.“ Im Juni 2020, lange nach Veröffentlichung des KPMG-Gutachtens, sei die DPR dann zu dem Ergebnis gekommen: Die untersuchte Wirecard-Bilanz ist fehlerhaft.

Handelsverhalten von BaFin-Mitarbeitern

Mehr als 500 Transaktionen mit Wirecard-Aktien von Mitarbeitern hat die BaFin im Rahmen der internen Meldepflichten zwischen Januar 2018 und September 2020 registriert, erklärte die Exekutivdirektorin Innere Verwaltung und Recht der BaFin, Béatrice Freiwald, im weiteren Verlauf der Zeugenvernehmung.

Bei der Befragung der zweiten Zeugin des Verhandlungstages stand das Handelsverhalten von BaFin-Mitarbeitern im Mittelpunkt. Freiwald erläuterte die Bemühungen ihres Hauses, Interessenkonflikte der Beschäftigten zwischen ihrer beruflichen Aufgabe der Wertpapieraufsicht und privaten Wertpapiergeschäften auszuschließen. Gegen Verstöße werde ermittelt.

Entstehung von Compliance-Regeln in Deutschland

Die Zeugin und die Mitglieder des Ausschusses streiften bei ihren Ausführungen und Fragen die Entstehung von Compliance-Regeln in Deutschland in öffentlichen Einrichtungen wie der BaFin und der Deutschen Bundesbank, deren Weiterentwicklung, die Mitwirkungsrechte der Personalräte, die Einsprüche von Mitarbeitern und das Warten auf Gerichtsurteile, die Kontrolle auf europäischer Ebene durch die Europäische Zentralbank und die Rolle des Deutschen Bundestages bei der Weiterentwicklung gesetzlicher Regelungen statt lediglich betrieblicher Vorgaben.

Gesetzliche Regelungen seien betrieblichen Vereinbarungen gegenüber ausdrücklich zu befürworten, betonte Freiwald, sei doch die Abwägung von Eingriffen in die Grundrechte beim Gesetzgeber besser aufgehoben als im innerbetrieblichen Disput zwischen Dienstherren und Beschäftigten. „Je klarer eine gesetzliche Vorgabe ist, desto besser.“ Die gesamte Fragerunde drehte sich sowohl um die Nachverfolgung vermeintlicher Verfehlungen als auch um die Lehren, die man im Untersuchungszeitraum und teils darüber hinaus aus dem größten Finanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte ziehe.

Wirecard-Fall als Anstoß für Veränderungen

Die BaFin-Managerin unterstrich, wie sehr ihre Behörde den Wirecard-Fall als Anstoß für Veränderungen begreife. „Wirecard war ein Einschnitt, der uns zum Nachdenken gebracht hat. Über das, was Aufseher leisten müssen und wie sie ihre Aufsichtstätigkeit wahrnehmen.“ Noch im Vorgriff auf eine künftige gesetzliche Verschärfung und Präzisierung aktualisiere man die eigenen Vorschriften und schaue auf andere vergleichbare Einrichtungen.

Über ein Regelwerk verfüge die BaFin seit ihrer Gründung im Jahr 2002, das immer weiter ausgebaut werde. Man habe eine auf 10.000 Euro gesenkte Bagatellgrenze für nachzuweisende Mitarbeitergeschäfte. Seit vergangenem Oktober gelte ein Handelsverbot für Papiere von Banken und Versicherungen, die die Bafin gerade beaufsichtige. Es gebe die unmittelbare Anzeigepflicht sowie die jährlichen Kontrollen. Die mögliche Nicht-Meldung anzeigepflichtiger Geschäfte „versuchen wir durch Stichproben herauszufinden.“

Sonderauswertungen von Mitarbeitergeschäften

Parallel liefen mehrere Sonderauswertungen von Mitarbeitergeschäften, intern und auf parlamentarische Anfragen hin. „Wir haben uns bemüht, immer nach bestem Wissen und Gewissen“ alles zusammenzutragen, beteuerte Freiwald. „Unser System ist nicht perfekt. Aber ich kenne keine Institution, die Ihnen Auskünfte geben kann über die privaten Geschäfte ihrer Mitarbeiter.“ Man greife alle Hinweise auf die dazu dienten, „wie wir unser Compliance-System stärken können“.

Ihr Haus werde noch einen zusätzlichen Bericht vorlegen „über alle Mitarbeiter, die im Untersuchungszeitraum zum Wirecard-Fall Insider-Wissen hatten“. Durch die Untersuchungen und die verschärften Regeln sei die Zahl der angezeigten Fälle im vergangenen Jahr auf das Doppelte gestiegen, auf etwa 17.000 bis 18.000 Transaktionen. Es werde einfach mehr erfasst.

Fragen zur abwartenden Haltung der Behörde 

Und dennoch, wollte Frank Schäffler (FDP) wissen: „Warum haben Sie für Mitarbeitergeschäfte in der Vergangenheit nicht engagierter ein System eingeführt? Warum sind Sie das Thema nicht energischer angegangen?“ Warum beispielsweise gelte bei der BaFin, die an alle Finanzmarktteilnehmer strengste Maßstäbe anlege, nicht selbst das gängige Zweitschriftverfahren? Und: „Sie machen das für Ihre eigenen Mitarbeiter sehr langsam als eine Behörde, die anderen Marktteilnehmern umfassende Verhaltensregeln auferlegt.“

„Wir waren in den Jahren 2017, 18, 19 in einer Änderungsphase des Regelwerkes“, erläuterte die Zeugin. Das sei ein langer Prozess. Nach umfassenden Verhandlungen mit dem Personalrat habe man sich neu aufgestellt. Eine verschärfte Stichprobenprüfung sei 2019 auf den Weg gebracht worden. Man habe außerdem mit Spannung auf ein Gerichtsurteil zu den neuen Regeln innerhalb der Bundesbank im Mai 2020 gewartet. Das gebe nun Rechtssicherheit für die eigene Regelung.

Die jüngste Prüfung der EZB „ergab, dass unsere Regelungen den Anforderungen entsprechen.“ Und als man im Frühjahr vermehrt Geschäfte von Mitarbeitern mit Wirecard-Aktien registriert habe „haben wir schnell reagiert und eine Sonderermittlung angestoßen, da wir uns in einem Aufsichtsverfahren gegenüber ebendiesem Unternehmen befanden“. Die Verbote zu verschärfen sei das eine. „Aber es ist schwierig, ein vollständig wirksames Kontrollverfahren aufzustellen, das alle Fehler aufgreifen kann.“

„Schärfere Kontrollmechanismen sind eigentlich schon furchtbar“

Man müsse versuchen, „ausbalancierte Kontrollen aufzusetzen“. „Schärfe Kontrollmechanismen“ seien „eigentlich schon furchtbar“. Sie setze lieber darauf, „dass die Leute sich von sich aus regelkonform verhalten“. Das sei doch eine Selbstverständlichkeit, eine volle Kontrolle jedoch nicht.

Die Zeugenvernehmung wurde am Abend fortgeführt mit zwei Referatsleitern des Bundesministeriums der Finanzen: Christof Harzer, Leiter des Referats „Kreditanstalt für Wiederaufbau; Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“ und Dr. Dominik Böllhoff, der das Referat „Institutionelle Aufsicht über die BaFin“ leitet. (ll/12.04.2021)

Lister der geladenen Zeugen

  • Dr. Hannelore Lausch, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Abteilungsleiterin Grundsatzfragen, Transparenz und Ordnungswidrigkeitenverfahren
  • Béatrice Freiwald, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Exekutivdirektorin Innere Verwaltung und Recht
  • Christof Harzer, Bundesministerium der Finanzen, Referatsleiter Kreditanstalt für Wiederaufbau; Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung
  • Dr. Dominik Böllhoff, Bundesministerium der Finanzen, Referatsleiter Institutionelle Aufsicht über die BaFin

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