Kinderkommission

Sachverständige: Umwelt­krise ist Krise der Kinder­rechte

Was steckt hinter dem Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt? Und wie kann es umgesetzt werden? Mit diesen Fragen hat sich die Kinderkommission des Deutschen Bundestages (KiKo) am Mittwoch, 14. April 2021, in einem öffentlichen Fachgespräch unter der Leitung der Vorsitzenden Charlotte Schneidewind-Hartnagel (Bündnis 90/Die Grünen) beschäftigt. Zu Gast waren Expertinnen und Experten von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. 

Kinder sind besonders verwundbar

Eine von ihnen war Lydia Berneburg vom Kinderhilfswerk Unicef. Sie sagte: „Die Umweltkrise ist eine Krise der Kinderrechte.“ Mehr als ein Viertel der Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren könnte verhindert werden, wenn Umweltrisiken adressiert würden, so die Expertin. Auch werde erwartet, dass bis 2040 jedes vierte Kind keinen ausreichenden Zugang zu Wasser haben werde. 

Dabei seien Kinder besonders verwundbar, erklärte Berneburg. Etwa weil sie mehr Giftstoffe aufnähmen als Erwachsene. In allen Phasen ihres Lebens seien sie von Umweltrisiken betroffen, von der Schwangerschaft bis zum Jugendalter. Unicef mache sich deshalb dafür stark, dass das Kinderrecht auf eine gesunde Umwelt international anerkannt und umgesetzt würde. Zu den Kernbereichen, die das Hilfswerk adressiere, gehörten zum Beispiel die Förderung von reaktions- und anpassungsfähiger medizinischer Grundversorgung sowie die Integration einer gesunden Umwelt in Schulprogrammen.

Anknüpfend an die UN-Kinderrechtskonvention, dem 1989 von den Vereinten Nationen beschlossenen Regelwerk zum Schutz der Kinder weltweit, sowie die ebenfalls von der UN verabschiedete sogenannte Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung fordere Unicef die Bundesregierung dazu auf, Kinder vor Umweltbelastungen und den Folgen des Klimawandels zu schützen sowie Kinderrechte umfassend in der Umwelt- und Klimapolitik zu berücksichtigen und die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen zu stärken. 

Klimakrise und Umweltgifte

Auch Juliane Kippenberg, stellvertretende Leiterin der Abteilung Kinderrechte bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, sieht dringenden Handlungsbedarf. Neben Kinderrechtsverletzungen, die aus der Klimakrise resultierten wie zum Beispiel Wasserknappheit und Waldbrände, seien Umweltgifte ein zentrales Problem. Dazu zählt die Kinderrechtsexpertin schädliche Schwermetalle wie Quecksilber, aber auch den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft sowie giftige Stoffe in der Leder- und Textilproduktion.

Die NGO fordere deshalb, Kinderrechte in die nationale wie internationale Umweltpolitik zu verankern, so Kippenberg. Vor allem mache sich Human Rights Watch für eine Anerkennung des Menschenrechts auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt durch die Vereinten Nationen stark. Dies solle Kinderrechte explizit einschließen. Es brauche eine Klimapolitik, die der Dramatik der Lage gerecht würde und die Rechte von Kindern und zukünftigen Generationen im Blick habe. Darüber hinaus fordere Unicef ein robustes Lieferkettengesetz, um Umweltschäden mit Folgen für Kinderrechte in globalen Lieferketten zu vermeiden. „Da muss deutlich nachgebessert werden“, sagte Kippenberg. 

Umweltschutz und Kinderrechtsschutz

Eine Stärkung des Kinderrechts auf eine gesunde Umwelt forderte auch Jonas Schubert, Kinderrechtsexperte beim Hilfswerk Terre des Hommes. Zwar gebe es durchaus eine große Schnittmenge zwischen den beiden Politikbereichen Umwelt- und Kinderrechtsschutz, doch würde diese häufig nicht ausreichend berücksichtigt. 

Schubert zufolge ist die UN-Kinderrechtskonvention eine gute normative Grundlage für den Umweltschutz. Eine gesunde und intakte Umwelt sei die Voraussetzung für die Umsetzung einer breiten Palette von Kinderrechten, so der Experte. Die Verwirklichung der Kinderrechte wiederum sei eine Voraussetzung für gute Umweltpolitik. Schubert sagte: „Alle Kategorien von Kinderrechten können eine Umweltdimension haben: Schutz-, Beteiligungs- und Gewährleistungsrechte.“ 

„Deutschland könnte aktivere Rolle spielen“

Die Kernforderung laute, Kinderrechte müssten angemessen in nationaler und internationaler Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik berücksichtigt werden. Für Deutschland bedeute dies etwa, die Bundesregierung sei verpflichtet, internationale Vereinbarungen zu treffen, die dem Kinderrechts- und Umweltschutz dienten, so Schubert. Und sie müsse diese Vereinbarung umsetzen. Als langfristiges Ziel fordere Terre des Hommes zum Beispiel die Verabschiedung eines Zusatzprotokolls zur Kinderrechtskonvention, so Schubert. 

Dabei sei Deutschland bei dem Thema ein eher passiver Akteur, kritisierte der Kinderrechtsexperte. Entwicklungen würden zwar aufgenommen, doch es brauche eine „proaktivere“ Einstellung. Schubert sagte: „Deutschland könnte eine aktivere Rolle spielen.“ 

„Klimawandel ist Kinderrechtskrise“

Auch Raina Ivanova ist überzeugt: Kinderrechte würden durch den Klimawandel verletzt. Die 17-Jährige ist Teil des Unicef-Juniorbeirats. Gemeinsam mit Jugendlichen aus zwölf Ländern, darunter die schwedische Aktivistin Greta Thunberg, hat Ivanova 2019 bei den Vereinten Nationen eine Kinderrechtsbeschwerde eingereicht. „Stellvertretend für unsere Generation und die nachfolgenden Generationen“, so die Jugendliche. Die Beschwerde richte sich gegen die Länder Argentinien, Brasilien, Frankreich, Türkei und Deutschland. Diese hielten die Klage jedoch für unzulässig, sagte Ivanova. Im Mai werde nun der Kinderrechtsausschuss eine Entscheidung treffen. 

„Deutschland ist eines der Länder, die für die Folgen des Klimawandels mitverantwortlich sind“, kritisierte Ivanova. Die Bemühungen reichten nicht aus, um eine sichere Zukunft für ihre Generation zu gewährleisten. Es sei ersichtlich, dass sich die Bundesrepublik „weder an nationale Klimaziele noch an internationale Abkommen halten kann, was die Einschränkung und Verletzung von Kinderrechten zur Folge hat“. Durch die Beschwerde forderten die Jugendlichen unter anderem die Feststellung, dass der Klimawandel eine Kinderrechtskrise sei und die fünf Länder durch ihren „wissentlichen Beitrag zum Klimawandel“ Kinderrechte verletzten. 

Von aktivem Austausch profitieren

Denn es sei ihre Generation, die von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen sei, so die 17-Jährige. Deshalb würden es viele Jugendliche in ihrer Verantwortung sehen, für Klimaschutz zu kämpfen. „Ein ganz entscheidender Teil hiervon ist Jugendpartizipation“, sagte Ivanova. Junge Menschen sollten die Möglichkeit haben, mitzuentscheiden, wenn es um ihre Zukunft gehe. Doch weil Kinder und Jugendliche nicht wählen könnten, seien ihre Meinungen bei Entscheidungen oftmals unterrepräsentiert.

Von einem aktiven Austausch, meinte Ivanova, könnten beide Seiten profitieren. Die 17-Jährige ist überzeugt, das Recht auf eine gesunde Umwelt sei für ihre wie auch für zukünftige Generationen unverzichtbar. „Weil nur in einer gesunden Umwelt all die Kinderrechte verwirklich werden können.“ (irs/14.04.2021)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Jonas Schubert, Terre des Hommes – Referat Programme und Politik
  • Juliane Kippenberg, Human Rights WatchAssociate Director, Child Rights
  • Lydia Berneburg, UNICEF
  • Raina Ivanova, UNICEF-JuniorBeirat

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