Familie

Gemischte Botschaft zur Lage des freiwilligen Enga­ge­ments in Deutschland

Knapp 29 Millionen Menschen engagierten sich 2019 in Deutschland freiwillig, das ist eine Zunahme von sieben Millionen gegenüber 1999, so der aktuelle fünfte Deutsche Freiwilligensurvey, dessen im März veröffentlichten Kurzbericht der Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement in einem öffentlichen Fachgespräch am Dienstag, 20. April 2021, unter Leitung von Alexander Hoffmann (CDU/CSU) diskutierte.

„Hürden für freiwilliges Engagement immer noch zu hoch“

Eine gemischte Botschaft, mit positiven und weniger guten Nachrichten, gehe von dem vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) erstellten Zahlenwerk aus, sagte Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer, Leiter des DZA, der die wichtigsten Ergebnisse des Kurzberichts vorstellte.

Während die „Engagement-Quote von 40 Prozent“ als positiv zu verbuchen sei und die Unterschiede bei der Verteilung nach Altersgruppen, Geschlecht sowie zwischen Ost- und Westdeutschland bis 2019 deutlich kleiner geworden beziehungsweise fast verschwunden seien, steche als schlechte Nachricht hervor, dass die Hürden für ein freiwilliges Engagement für Personen mit mittlerer und geringer Schulbildung noch immer zu hoch seien, ja die „Engagement-Rate“ in diesen Bevölkerungskreisen gefallen sei.

„Die Bildungsschere ist deutlich aufgegangen“

Die sozialen Ungleichheiten in Bezug auf freiwilliges Engagement hätten zugenommen. „Die Bildungsschere ist deutlich aufgegangen. Das ist eine hoch problematische Entwicklung.“ Darüber hinaus habe die Erhebung gezeigt, dass sich immer mehr Menschen außerhalb von Organisationen engagierten. Innerhalb von Vereinen und Organisationen nehme die für ein Engagement aufgewendete Zeit weiter ab, und es seien immer weniger bereit, Leitungsfunktionen zu übernehmen.

Wenn man freiwilliges Engagement als Form gesellschaftlicher Teilhabe und somit als Möglichkeit für jeden begreife, die Gesellschaft mitzugestalten, dann müsse das Ziel sein, es allen Personengruppen zu öffnen, und man müsse den Ursachen nachgehen, die dem entgegenstehen.

„Viele Engagement-Strukturen sind beeinträchtigt“

Keine Aussagen ermöglichen die 2019 erhobenen Zahlen des Freiwilligensurveys über die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf freiwilliges Engagement. Eine so aufwendige Erhebung werde man wohl erst wieder nach dem Ende der Pandemie in Angriff nehme, und könne ja dann auch die Folgen besser überblicken, gab Dr. Christoph Steegmans, Leiter der Unterabteilung 11 „Engagementpolitik“ beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), das den Freiwilligensurvey finanziert, zu bedenken.

Man wisse um die Probleme vieler Vereine in der Pandemie. Viele Engagement-Strukturen seien beeinträchtigt, zahlreiche Mitglieder momentan nicht tätig. Mit einem Förderprogramm habe die Bundesregierung Hilfestellung bei der Digitalisierung gegeben. Aus Sportvereinen aber träten einfach viele aus Frust aus, weil man sich nicht treffen und die Anlagen nicht benutzen dürfe. In der Folge sinke auch die Kapitalkraft von Vereinen. „Die sinkende Finanzkraft ist ein Riesenproblem. Aber das kann der Bund nicht ausgleichen.“

„Pandemie hat zu einer stärkeren digitalen Vernetzung geführt“

Dr. Ansgar Klein, Hauptgeschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE), mahnte dagegen, man brauche so bald wie möglich belastbare Zahlen über die Corona-Auswirkungen, um zeitnah gegensteuern zu können. „Wir fürchten schon, dass ein Teil der organisierten Zivilgesellschaft durch Corona wegbrechen könnte.“ Gerade im Bereich Sport. Darüber hinaus habe sein Netzwerk „großes Interesse an den Befunden des Hauptberichtes“, der dem Kurzbericht folgen wird. Wie man jetzt schon sehen könne, habe die Pandemie mit ihren Einschränkungen zu einer stärkeren digitalen Vernetzung geführt. „Diesen Digitalisierungsprozess schauen wir uns gerade an.“

Diese „Digitalisierungsdynamik“ gelte es nun ebenso aufzugreifen wie die „wachsende Dynamik des informellen Engagements“, jenseits klassischer Organisationsformen. Beide Trends müssten zusammengeführt werden. Netzwerkformate zwischen organisierter und informeller  Zivilgesellschaft würden wichtiger und könnten beide Formen zusammenführen und auf Herausforderungen wie die Digitalisierung Antworten geben.

„Bedarf an mehr Bundeskompetenzen“

Zu den Herausforderungen zähle zudem, freiwilliges Engagement als Lernort zu begreifen und zu stärken, kommunale Bildungsräume zu schaffen und diese auch für die Integrationsförderung zu öffnen. Verschiedene Politikfelder wie die Beschäftigungspolitik und sämtliche Ebenen, von den Kommunen über die Länder bis zum Bund, müssten dabei zusammenarbeiten. Es gebe einen Bedarf an mehr Bundeskompetenzen, um in Abstimmung mit den Ländern einheitliche, stabile Strukturen für das freiwillige Engagement zu schaffen.

Es gehöre zu den großen Chancen, dabei auch die europäische Ebene einzubeziehen, nationale und europäische Gesetzgebung und Förderprogramme aufeinander abzustimmen. Die großen Fragen wie der Klimaschutz erforderten ja eine Verständigung über Grenzen hinweg. 

„Grundkultur des freiwilligen Engagements erhalten“

Katja Hintze, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Bildung, appellierte in ihrem Statement, die „Grundkultur des freiwilligen Engagements zu erhalten“ und durch die gegenwärtige Krise zu bringen. Es wirke „demokratieerhaltend und krisenausgleichend“, wenn man die Zivilgesellschaft höre und deren Expertise einhole. Bereits Kinder sollten in Kita und Schule das Gefühl der „Selbstwirksamkeit erleben“. Ihnen müsse man nahebringen und erklären, was freiwilliges Engagement bedeutet und wie man etwas auf die Beine stellen kann.

Die deutsche Vereinslandschaft müsse sich dabei unbedingt weiter interkulturell öffnen. Durch eine Stärkung der hauptamtlichen Strukturen, durch Qualifizierungsseminare bis hin zu besseren, mehrsprachigen Formularen gelte es, mehr Menschen mit weniger Bildung und solche mit Migrationshintergrund einzubinden. Den Nichtregierungsorganisationen müssten hochwertige Fortbildungsangebote gemacht werden, um sich organisatorisch sowie beim Fundraising oder der Digitalisierung besser aufzustellen.

Repräsentative Befragung zum freiwilligen Engagement

Der Deutsche Freiwilligensurvey ist eine repräsentative Befragung zum freiwilligen Engagement in Deutschland, die sich an Personen ab 14 Jahren richtet. Der Freiwilligensurvey ist damit die wesentliche Grundlage der Sozialberichterstattung zum freiwilligen Engagement.

Er wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Die wissenschaftliche Leitung des Freiwilligensurveys liegt beim Deutschen Zentrum für Altersfragen. (ll/20.04.2021)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Dr. Christoph Steegmans, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Leiter der Unterabteilung 11 „Engagementpolitik“,
  • Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE), Hauptgeschäftsführer und
  • Katja Hintze, Stiftung Bildung, Vorstandsvorsitzende

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