Frank Schwabe: Die Fronten mit Russland sind verhärtet
Die Inhaftierung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny war auch Thema bei der zweiten Sitzungswoche der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV) vom 19. bis 22. April 2021 in Straßburg. „Ohne Wenn und Aber“ sei die Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen, den Kreml-Kritiker freizulassen, fordert Frank Schwabe (SPD), stellvertretender Delegationsleiter der Bundestagsabgeordneten zur Europarat PV, von der russischen Führung im Interview. Die Lage der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenrechte verschlechtere sich in Russland weiterhin: „Das führt zu einer wachsenden Entfremdung.“ Das Interview im Wortlaut:
Herr Schwabe, die Situation um den inhaftierten russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny spitzt sich immer mehr zu. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dessen unverzügliche Freilassung gefordert. Konnten Sie mit der russischen Delegation über den Fall sprechen? Deutet sich ein Ausweg an?
Die russische Delegation war nicht vor Ort und leider deutet sich auch kein Ausweg an. Die Fronten sind verhärtet. Aber Russland muss bei allem Willen zum Dialog wissen: Es gibt eine rote Linie, die kein Land überschreiten darf. Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Freilassung von Herrn Nawalny verfügt, dann ist dies umzusetzen. Ohne Wenn und Aber. Wer dem nicht folgen will, schließt sich selbst aus dem Europarat aus.
Streit gibt es mit Russland auch wegen der militärischen Aktivitäten Moskaus in der Ostukraine. Was für Auswege aus dem Konflikt sind unter den Parlamentariern im Gespräch?
Der Europarat ist hierfür schlicht nicht zuständig. Natürlich sind wir im Dialog und die Mitgliedsstaaten des Europarats haben sich verpflichtet Konflikte friedlich zu lösen. Aber wir haben keine administrativen Möglichkeiten eine solche Konfrontation zu verhindern. Russland muss trotzdem wissen: Wir haben zwar vor zwei Jahren Brücken gebaut damit Russland im Europarat bleiben kann und Russland hat sich hier teilweise auch engagiert eingebracht. Die Lage der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenrechte verschlechtert sich jedoch leider weiterhin. Das führt zu einer wachsenden Entfremdung.
Was für ein Signal will die Türkei mit ihrem Austritt aus der Istanbul-Konvention senden und wie ging die Versammlung damit um?
Die Türkei ist der zweite Staat, der massiv gegen Regeln verstößt und sich in die falsche Richtung entwickelt. Leider mit zunehmender Geschwindigkeit. Die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt hat eine gewachsene internationale Bedeutung. Dass wird allein schon dadurch deutlich, dass sogar US-Präsident Biden auf den von der Türkei angekündigten Austritt reagiert hat. Wir müssen jetzt erst recht alles tun, damit weitere Staaten die Konvention ratifizieren. Damit steigt dann auch der Druck auf die Türkei.
Hat die Versammlung die politischen Gefangenen in der Türkei thematisiert?
Ja. Es gab dazu eine Dringlichkeitsdebatte. Osman Kavala und Selahattin Demirtaş müssen umgehend freigelassen werden. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist dahingehend eindeutig. Im Fall von Osman Kavala stehen wir kurz vor der Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 46 der Europaratskonvention. Das kann bei Nichtumsetzung des Urteils zum Ausschluss der Türkei aus dem Europarat führen. Das ist gewiss nicht das Ziel, aber wir müssen hier konsequent sein.
In der zweiten Sitzungswoche ging es auch um die strategischen Prioritäten des Europarates. Wo liegen die Schwerpunkte?
Es geht darum den Europarat zu stärken, mehr Staaten dazu zu bringen, Konventionen zu ratifizieren. Und wir wollen die Kontrollmechanismen des Europarats verbessern. Und nochmal: Der Gerichtshof ist das Herzstück des Europarats. Dessen Urteile müssen umgesetzt werden, sonst wird der Gerichtshof wirkungslos.
Was sind Ihrer Meinung nach die drei wichtigsten Aufgaben für den Europarat in den nächsten drei, vier Jahren?
Erstens: die Urteile des Europäischen Gerichtshofs umsetzen. Zweitens: Korruptionsbekämpfung. Drittens: die Monitoringverfahren verbessern, mit denen Wahlbeobachtungen durchgeführt und andere Sachverhalte in den Mitgliedstaaten genauer unter die Lupe genommen werden können. Es muss insgesamt ein neues Verständnis von der Bedeutung der Menschenrechte entwickelt werden. Das kann aber letztlich nicht ohne das Zutun der Mitgliedsstaaten geschehen. (ll/27.04.2021)