Ulla Schmidt: Nato-Werte Demokratie und Sicherheit bedingen einander
„Die Nato muss ihre Bemühungen im Bereich der strategischen Kommunikation verstärken“, fordert Ulla Schmidt (SPD), stellvertretende Delegationsleiterin der Bundestagsabgeordneten zur Parlamentarischen Versammlung der Nato (Nato PV). Mit diesem und anderen Themen hat sich während ihrer Frühjahrstagung vom 14. bis 17. Mai 2021 die Nato PV befasst. Die verstärkte Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien im Zuge der Pandemie stellten eine echte Gefahr für die Bündnispartner und sämtliche Demokratien dar, so die Sozialdemokratin. Sie erinnert daran, dass die Nato in allererster Linie eine politische Organisation sei, die sich auf gemeinsame Werte und Normen gründe. Im Interview spricht Schmidt außerdem über die wieder konstruktive Rolle der Vereinigten Staaten, das weiter angespannte Verhältnis zu Russland und über den neuen „Women for Peace and Security Award“. Das Interview im Wortlaut:
Frau Schmidt, die Nato-Parlamentarier sind zu einer weiteren virtuellen Tagung zusammengekommen: Der Wunsch dürfte mittlerweile groß sein, sich bald wieder physisch zu treffen. Wie sehr fehlt Ihnen die direkte, persönliche Kommunikation?
Natürlich fehlen mir die persönlichen Treffen sehr. Vor allem bei internationalen Tagungen mit den Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt ist der persönliche Austausch von hoher Bedeutung, da man sich am Rande der Sitzungen verständigen kann und auch die Sprachbarrieren leichter zu überwinden sind. Obwohl ich auch begeistert von den technischen Lösungen bin, die sich in so kurzer Zeit etabliert und als effektiv bewiesen haben, können die Online-Plattformen bei solch großen Konferenzen einem physischen Treffen nicht das Wasser reichen. Dank der stetig steigenden Impfungen bin ich optimistisch, dass wir uns zur Jahrestagung im Herbst wieder in Präsenz oder aber im hybriden Format treffen können. Die Jahrestagung der Nato PV soll in Lissabon tagen.
Noch eine Frage zum Thema Kommunikation: Inwieweit macht sich auf parlamentarischer Ebene bereits der Regierungswechsel in den USA in den transatlantischen Beziehungen, im Verhältnis zum größten Nato-Mitglied, bemerkbar?
Mit Joe Biden als Präsident der USA werden die transatlantischen Beziehungen wiederbelebt und das Verhältnis zu Deutschlands engstem und wichtigsten außereuropäischen Partner kann wieder gestärkt werden. Für die Nato bedeutet die amerikanische Rückkehr zum Multilateralismus, dass sich der größte Bündnispartner wieder zur konstruktiven Zusammenarbeit bekennt. Mit der Wahl meines geschätzten Kollegen Gerald E. Conolly zum Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung der Nato haben wir unterstrichen, dass das Bündnis weiter auf die Amerikaner zählt. Gleichzeitig vergewissert uns ein angesehener amerikanischer Demokrat, dass wir mit ihm einen kompetenten Präsidenten der Versammlung haben. Direkt nach den Ausschreitungen der gewaltbereiten Trump-Anhänger auf das Kapitol in Washington im Januar hat sich Gerald E. Conolly an die Parlamentarierinnen und Parlamentarier gewandt, um die Angriffe auf die Demokratie in seinem Land zu verurteilen und dazu aufzurufen, dass die USA gemeinsam mit der Nato für die demokratischen Werte und Rechtsstaatlichkeit stehen.
Aspekte jenseits der klassischen militärischen Verteidigung gewinnen in der Nato immer mehr an Bedeutung. Breiten Raum nimmt dabei die Frage ein, wie sich das Bündnis besser gegen Propaganda von außen wehren kann. Was für Ansätze werden da diskutiert? Wie weit sind Sie?
In Krisenzeiten zeigen sich besonders auffällig die Rolle und Bedeutung anderer Aspekte der zivilen Dimension der Sicherheit. Während der Corona-Pandemie sind Fragestellungen beispielsweise nach den Grundfreiheiten und den Grundsätzen der Demokratie, genauso wie nach dem Zugang zu überprüfter und nicht manipulierter Information in den Mittelpunkt gerückt. Die verstärkte Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien im Zuge der Pandemie stellen eine echte Gefahr für die Bündnispartner und sämtliche Demokratien dar. Dazu hat meine Kollegin Linda Sanchez einen ausgezeichneten Bericht im Ausschuss für die zivile Dimension der Sicherheit vorgestellt, in dem sie darauf hinweist, dass gerade auch die zivilen Aspekte wie gemeinsame demokratische Prinzipien für die Sicherheit der Allianz unabdingbar sind. Fakten und Maßnahmen geben die beste Antwort auf diese Bedrohungen der Informationslandschaft. Die Nato sollte sich sorgfältig jeder Propaganda enthalten. Gleichzeitig muss sie jedoch ihre Bemühungen im Bereich der strategischen Kommunikation verstärken. Das Bündnis braucht einen proaktiven Ansatz, um sich die nötigen Informationen zu beschaffen, bevor diese zum Gegenstand von Verzerrung und Missbrauch werden.
Auch innerhalb des Bündnisses droht eine Aushöhlung der Werte-Basis der Nato. Wie weit bedingen militärische Stärke und gemeinsame Werte einander? Wie kann es gelingen, dass die Nato-Mitglieder wieder größeres Einvernehmen über gemeinsam geteilte Werte erzielen?
In unserem Verteidigungsbündnis sind militärische Stärke und gemeinsame Werte eng miteinander verbunden. Obwohl die Nato oft als reine Militärorganisation betrachtet wird, ist sie tatsächlich wesentlich mehr: nämlich in allererster Linie eine politische Organisation, die sich auf eine enge militärische Zusammenarbeit stützen kann. Errichtet wurde die Nato auf dem Fundament gemeinsamer Werte und Normen, der Verpflichtung auf Demokratie und Freiheit des Einzelnen, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Um sich neuen Sicherheitsherausforderungen gemeinsam zu stellen, strebt die Allianz an, ihre demokratischen Strukturen und die gemeinsamen Prinzipien zu festigen. Die Versammlung hat vorgeschlagen ein Koordinierungszentrum für demokratische Resilienz innerhalb der Nato einzurichten, das die Mitgliedstaaten bei der Stärkung ihrer demokratischen Institutionen unterstützen soll. Damit würde die Nato ein klares Signal senden, dass Demokratie und Sicherheit einander bedingen.
Kürzlich hat der Ständige Ausschuss der Versammlung beschlossen, den „Ausschuss für die zivile Dimension der Sicherheit“ in „Ausschuss für Demokratie und Sicherheit“ umzubenennen. Ist die Namensänderung mehr als eine Formalie?
Die Umbenennung ist keineswegs lediglich eine Formalie. In der jüngeren Vergangenheit hat die Zahl autokratischer Staaten zugenommen. Sogar innerhalb des Bündnisses ist es häufiger zu Konflikten gekommen, insbesondere wegen Eingriffen in den Aufbau demokratischer Strukturen. Diese Entwicklungen sind mit Sorge zu beobachten, weil sie einen Einfluss auf die Nato und ihr Wertefundament haben. Deshalb ist die Umbenennung ein wichtiger Fortschritt und verdeutlicht den Fokus der Versammlung auf die Bewahrung des demokratischen Fundaments der Allianz. Die zivile Komponente soll dadurch nicht eingeschränkt, sondern erweitert werden, da der Kampf für Demokratie die Grundlage des Handelns der Mitglieds- und Partnerstaaten bildet. Gesellschaftliche Entwicklungen und zivile Konfliktlösungs- und Friedensprozesse sind maßgeblich für die Stabilität, Solidarität und Sicherheit in der Welt, was durch demokratische Prinzipien unterstützt wird.
Im aktuellen Strategiedokument zur Entwicklung der Nato bis 2030 wird die Parlamentarische Versammlung lediglich einmal erwähnt. Wird das der Bedeutung der Versammlung gerecht?
In ihrem Bericht verdeutlicht die Nato-Expertengruppe die unterstützende Rolle der Parlamentarischen Versammlung dabei, das öffentliche Bewusstsein von der Nato zu fördern. Auch wenn die PV nur einmal explizit im finalen Strategiebericht „NATO 2030“ erwähnt wird, bin ich zufrieden mit den inhaltlichen Schlussfolgerungen und damit, dass wir Parlamentarier angehört und in den Prozess einbezogen wurden. Ich selbst habe an mehreren Gesprächen mit Thomas de Maizière, einem der Leiter der Expertengruppe, teilgenommen und konnte Vorschläge unserer Delegation und der Versammlung einbringen. Außerdem wurden Empfehlungen unserer jüngeren PV-Resolutionen übernommen zu Themen wie der Revision des Nato-Strategiekonzepts, die Rückbesinnung auf unsere Werte, und eine gemeinsame Vorgehensweise gegenüber Russland und China.
Auf Vorschlag der Vizepräsidentin Joëlle Garriaud-Maylam hat der Ständige Ausschuss im März 2021 zudem beschlossen, einen „Women for Peace and Security Award“ zu schaffen. Wer wird die Auszeichnung wann verleihen und worauf zielt sie?
Die Nato PV folgt weiter dem Grundsatz, dass Frauen und Männer gleichberechtigte Partner bei dem Streben nach Frieden und Sicherheit sein müssen. Gerade Frauen müssen viele Auswirkungen von Konflikten austragen. Wir müssen noch viele Vorurteile und Tabus bekämpfen, indem wir die unerlässliche Arbeit von Frauen im politischen, diplomatischen, militärischen und friedensfördernden Bereich hervorheben. Deswegen beteiligt sich die Nato PV an der Förderung des Women, Peace, and Security-Programms und unterstützt dessen Umsetzung. Während der Frühjahrstagung wurde der Aufruf zu Nominierungen unter den Delegationen gestartet. Bis zum 31. August 2021 können Frauen nominiert werden, die einen anerkannten Beitrag zur Umsetzung der WPS-Agenda geleistet haben und Staatsangehörige eines Nato-Mitglieds oder -Partnerstaates sind. Eine Jury, die aus Mitgliedern des Büros der Nato-Vertretung und der Sonderbeauftragten der Nato für Frauen, Frieden und Sicherheit, Clare Hutchinson, zusammengesetzt ist, wird die Gewinnerin während der Jahrestagung der Nato PV im Herbst auszeichnen. Ich hoffe, dass wir dadurch größere Aufmerksamkeit für die Nato PV und ihre Arbeit für Frauen, Frieden und Sicherheit gewinnen können.
Zwischen der Nato und ihrem großen östlichen Nachbarn Russland stehen nun schon seit fast einer Dekade die völkerrechtswidrige Krim-Annexion und die Aktionen Moskaus in der Ostukraine. Was ist jetzt nötig, um aus diesen schwelenden Konflikten herauszukommen? Gibt es seitens der Parlamentarier neue Impulse?
Die Annexion der Krim durch Russland bleibt auch sieben Jahre später völkerrechtswidrig. Ich bin davon überzeugt, dass der Russland-Ukraine-Konflikt nur durch einen diplomatischen Dialog zu lösen ist. Die internationale Gemeinschaft muss die Friedensbemühungen noch weiter unterstützen. Seitens der Nato-Parlamentarier wurde Ende April eine informelle Unterstützergruppe für die sogenannte Krim-Plattform mit sechs Mitgliedern gegründet. Nachdem die ukrainische Regierung die Krim-Plattform letztes Jahr ins Leben gerufen hat, möchte die Nato PV durch ihre eigene informelle Gruppe sowohl innerhalb als auch außerhalb der Versammlung auf die Situation auf der Krim und in der Schwarzmeerregion aufmerksam machen. Dafür sollen regelmäßig Fact Sheets veröffentlicht und damit immer wieder auf die völkerrechtswidrige Annexion aufmerksam gemacht werden.
(ll/20.05.2021)