Forschung

Expertenlob für Initiati­ven für mehr Gleich­stellung in der Wis­sen­schaft

Experten begrüßen mehrheitlich die Initiativen der FDP-Fraktion für mehr Gleichstellung von Frauen und eine bessere Inklusion von Menschen mit Behinderungen in Wissenschaft und Forschung. Das zeigte ein öffentliches Fachgespräch des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch, 19. Mai 2021, unter Leitung von Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD).

„Weiterer Handlungsbedarf beim Thema Gleichstellung“

Die Experten befürworteten das Anliegen der Fraktion, im Rahmen einer Untersuchung an einer Wissenschaftseinrichtung „Systematiken sowohl von Förderung als auch von Diskriminierung von Frauen während ihrer wissenschaftlichen Karriere“ zu beleuchten und die Besetzung der gesetzlich vorgeschriebenen fünf Prozent der Stellen mit Menschen mit Behinderungen umzusetzen. Beim Thema Gleichstellung sahen sie zwar auch erste Fortschritte, wiesen aber auch auf weiteren Handlungsbedarf hin. Hier sei auch die Politik gefordert.

Grundlage des Fachgesprächs zum Thema Gleichstellung in Wissenschaft und Forschung waren neben den Anträgen der FDP-Fraktion mit den Titeln „Gleichstellung in der Wissenschaft – Vorgehensweise des Massachusetts Institute of Technology als Vorbild für das deutsche Wissenschaftssystem“ (19/23629) und „Verantwortung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen einfordern“ (19/27175) auch der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 mit Stellungnahme der Bundesregierung (19/29090).

„Überproportionaler Dropout“ von Wissenschaftlerinnen

Dr. Heide Ahrens, Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), räumte ein, dass trotz ihres hohen Stellenwerts die Gleichstellung im Wissenschaftssystem noch lange nicht erreicht sei. Der „überproportionale Dropout“ von Wissenschaftlerinnen bedeute einen Verlust an Exzellenz, Qualität und Innovationsfähigkeit. Diesem versuche die DFG unter anderem mit Gleichstellungsstandards entgegenzuwirken.

Ein weiteres zentrales Handlungsfeld sei die wissenschaftliche Leistungsbewertung. Unbewusste Vorbehalte und unhinterfragte Vorgehensweisen bei der Bewertung von Exzellenz wirkten nach wie vor hemmend. Auch rein quantitative Leistungsmarker reichten zu Bewertung nicht aus. Hier setze die DFG etwa mit einem Template für Lebensläufe an, um Antragsteller wie Gutachter für „andere begutachtungswürdige Inhalte“ wie etwa ein gesellschaftliches Engagement zu sensibilisieren.

„Wissenschaftszeitvertragsgesetz novellieren“

Dr. Magdalena Beljan, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen Berliner Hochschulen, kritisierte, dass die Stimme von Studierenden und Mitarbeitern des Mittelbaus an Hochschulen zu wenig Gehör in der Diskussion finde. Auch die politischen Maßnahmen zur Unterstützung dieser beiden Gruppen seien „unzureichend“. Beljan begrüßte zwar das Professorinnenprogramm der Bundesregierung, forderte aber, wissenschaftliche Karrieren von Wissenschaftlerinnen auch ohne Professur zu ermöglichen und die Geschlechterforschung strukturell zu stärken.

Massenhafte Befristungen, Kurzzeit- und Teilzeit-Verträge seien ein generelles Problem. Aber strukturell benachteiligte Wissenschaftlerinnen könnten es sich nicht leisten, unter diesen Bedingungen langfristig zu arbeiten und kehrten deshalb dem Wissenschaftsbetrieb überdurchschnittlich häufig den Rücken, so die Expertin. Beljan sprach sich deshalb für eine Abschaffung oder Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes aus.

Besseres Gehalt und längere Verträge für Promovierende

Sarah Young vom „N2 - Netzwerk von Promovierendennetzwerken“ wies darauf hin, dass in Wissenschaft und Forschung nicht nur Frauen benachteiligt seien, sondern auch andere Gruppen wie Menschen mit Behinderungen, anderer ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung. Begünstigt würden Benachteiligungen durch die prekären Arbeitsbedingungen in der Promotion. Daher fordere ihr Netzwerk eine Mindestvertragsdauer von vier statt durchschnittlich drei Jahren für die Promotion.

Auch die Forschungsleistung von Promovierenden müsse über ein „Vollzeitgehalt für De-facto-Vollzeitarbeit“ endlich anerkannt werden. Um den Machtmissbrauch entgegenzuwirken, von dem Promovierende durch starke Abhängigkeitsverhältnisse in besonderem Maße betroffen seien, brauche es eine bessere Prävention.

„Für Parität brauchen wir verbindliche Quoten“

Sonja Bolenius, Referatsleiterin Hochschul- und Wissenschaftspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), lenkte in ihrer Stellungnahme den Blick auf Hemmnisse, mit denen Wissenschaftlerinnen konfrontiert seien: Fehlende Planbarkeit und Sicherheit einer wissenschaftlichen Karriere, aber auch ungünstige Rahmenbedingungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schreckten viele Frauen ab, so Bolenius.

Außerdem brauche es einen grundlegenden Wandel der von „Leistungsdruck, Konkurrenz, Isolation und vielen Überstunden“ geprägte Arbeitskultur in der Wissenschaft, sagte die DGB-Vertreterin und mahnte angemessene Laufzeiten von befristeten Stellen und verlässliche Kinderbetreuungsangebote an. Zustimmung signalisierte sie in ihrer Stellungnahme auch zu dem FDP-Vorschlag, verbindliche Vereinbarungen zu einem höheren Frauenanteil in Fachbereichen zu treffen. „Wenn wir bei der Parität vorankommen wollen, kommen wir um verbindliche Quoten nicht herum.“

Flexiblere Rahmenbedingungen für Kinderbetreuung gefordert

Gegen Quotierungen mit Sanktionen wandte sich dagegen Prof. Dr. Friedrich Paulsen, Vizepräsident People der Universität Nürnberg-Erlangen. Die Erhöhung des Frauenanteils unter den Professuren insbesondere in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) schreite zwar zu langsam voran. „Die Gründe aber sind vielschichtig und von den einzelnen Universitäten sind allein lösbar“, sagte Paulsen. Es bedürfe deshalb weiterhin eines starken Engagements durch den Bund mit Förderangeboten wie dem auslaufenden Professorinnenprogramm.

Statt verbindlichen Quoten, die an der universitären Realität vorbeigingen, schlug er universitätseigene, fakultätsspezifische Zielvereinbarungen vor. Die Politik sah der Experte in der Pflicht, „flexiblere Rahmenbedingungen“ für die Kinderbetreuung zu schaffen: „Es muss möglich sein, auch außerhalb vorgegebener langfristiger Anmeldezeiträume Kinder in der Ganztagsbetreuung unterzubringen“, monierte Paulsen.

„Professorinnenprogramm fortsetzen und finanziell aufstocken“

Anneliese Niehoff, Vorständin der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof), plädierte für eine Aufstockung der Mittel für das „erfolgreiche Professorenprogramm“. Künftig sollten neben Professorinnen auch promovierte Wissenschaftlerinnen etwa durch eine Entfristung ihrer Stellen gefördert werden. Auch die Geschlechterforschung gelte es besser auszustatten und damit ein „klares Zeichen“ für einen Forschungsbereich zu setzen, der mit „massiven antifeministischen Anfeindungen“ zu kämpfen habe.

Darüber hinaus forderte die Expertin angesichts von Millioneninvestitionen von Bund und Ländern in die digitale Infrastruktur von Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen ein Gender Budgeting, „damit es nicht so goldgräberartig mit der Vergabe der Corona-Mitteln weitergeht“.

Erste Fortschritte bei Berufungen

Erste Fortschritte bei der Gleichstellung sah wiederum Dr. Birgitta Wolff, ehemalige Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt am Main, und verwies auf eine steigende Zahl der Berufungen von Frauen: An der Goethe-Universität seien 2020 erstmalig mehr als die Hälfte der Neuberufenen weiblich gewesen, so Wolff. Diskriminierungen von Frauen ließen sich jedoch verstärkt „im laufenden Betrieb“, etwa in einem unfaireren Umgang mit weiblichen Führungskräften in Konfliktfällen beobachten. Ihnen werde wesentlich häufiger als Männern ein schlechtes Führungsverhalten vorgeworfen, so Wolff mit Blick auf eine aktuelle empirische Analyse.

Die Forderung der FDP nach einer Gleichstellungsstudie unterstützte die Expertin, so diese zu „bundesweit belastbare Zahlen und methodischer Evidenz“ führe. Wolff regte an, im Zuge einer solchen Untersuchung auch Informationen für andere Diversity-Dimensionen wie etwa Behinderung oder Migrationshintergrund zu erheben.

Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021

Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 mit Stellungnahme der Bundesregierung (19/29090) unterstreicht, dass das deutsche Wissenschaftssystem für den wissenschaftlichen Nachwuchs aus dem In- und Ausland hoch attraktiv ist. Er benennt aber auch Herausforderungen, deren Bearbeitung und Lösung von zentraler Bedeutung sind, um weiterhin exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs gewinnen und qualifizieren zu können und die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wissens- und Innovationsgesellschaft zu bewahren und zu steigern.

Die Bundesregierung betont in ihrer Stellungnahme, das der wissenschaftliche Nachwuchs durch die besondere Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit bereits während der eigenen Qualifizierung dazu beitrage, Wissen zu generieren und Innovationen hervorzubringen und zu verbreiten – sowohl durch Publikationen und Patentanmeldungen als auch durch forschungsorientierte Lehre. Zudem stelle er sicher, dass das hauptberufliche wissenschaftliche Personal an Wissenschaftseinrichtungen kontinuierlich erneuert wird und insbesondere Professuren an Hochschulen und Leitungspositionen an Forschungseinrichtungen stetig neu besetzt werden können.

Anspruchsvolle Aufgaben außerhalb des Wissenschaftssystems

Ferner würden Nachwuchswissenschaftler, die die Wissenschaft nach Ende der Qualifizierung verlassen, dafür sorgen, dass anspruchsvolle Aufgaben außerhalb des Wissenschaftssystems ebenfalls von hochqualifiziertem Personal erfüllt werden, sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst, etwa in Forschung, Entwicklung und Innovation, in der Krankenversorgung und in der Verwaltung.

Der Bundesbericht liefert einmal pro Legislaturperiode empirisch fundierte Daten und aktuelle Forschungsbefunde zum Bestand, zu Qualifikations- und Karrierewegen sowie zu den beruflichen Perspektiven Promovierender und Promovierter in Deutschland. Die Daten und Befunde dienen den Wissenschaftseinrichtungen, den Ländern und dem Bund als Steuerungswissen, dem wissenschaftlichen Nachwuchs dienen sie als Orientierungswissen und der Wissenschafts- und Hochschulforschung als Grundlagenwissen.

Erster Antrag der FDP

Für die Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft setzt sich die FDP-Fraktion in ihrem ersten Antrag (19/23629) ein. Als Vorbild soll dabei die Vorgehensweise einer am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) im Jahr 1999 durchgeführten Studie herangezogen werden.

Die Fraktion fordert, dafür zu sorgen, dass der Staat seiner Verpflichtung aus Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern tatsächlich durchzusetzen und Nachteile auszugleichen, auch in der Wissenschaft nachkommt. Deshalb regt die Fraktion eine exemplarische, zeitnahe, interne Untersuchung innerhalb einer Wissenschaftseinrichtung an. Dabei sollen die Systematiken sowohl von Förderungen als auch von Diskriminierungen von Frauen während ihrer wissenschaftlichen Karriere insbesondere im MINT-Bereich vergleichbar mit der MIT-Studie mit qualitativen Interviews herausgearbeitet werden. Hierfür eignet sich nach Auffassung der Fraktion das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) als Großforschungsstandort mit einem vergleichsweise sehr niedrigen Frauenanteil in der Professorenschaft.

Ferner soll diese erste Pilotstudie zeitnah auf andere Akteure ausgeweitet werden, die Empfänger von Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sind, darunter Exzellenzuniversitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Zudem treten die Abgeordneten dafür ein, ein internationales Panel zur Begutachtung der außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie der Exzellenzuniversitäten einzurichten, um die Systematiken aufzuarbeiten, die zu dem geringen Anteil der Frauen in den Professorenschaften insbesondere im MINT-Bereich führen, aber auch zu Karriereblockaden und Ausgrenzungsphänomenen. Ferner soll eine umfassende Untersuchung über den Frauenanteil in der Professorenschaft eingeleitet werden, die unter anderem nach Fächergruppen aufgeschlüsselt wird.

Zweiter Antrag der FDP

Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sollen mehr Verantwortung und Engagement für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen übernehmen, fordert die FDP-Fraktion in ihrem zweiten Antrag ( 19/27175). Dabei soll auf die außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der Weise hingewirkt werden, dass der Anteil von fünf Prozent der Stellen, die laut Gesetz mit Menschen mit Behinderungen zu besetzen sind, stufenweise umgesetzt wird. Damit sollen die öffentlichen Forschungseinrichtungen ihrer Vorbildfunktion stärker gerecht werden.

Zudem sollen die außeruniversitären Forschungseinrichtungen dazu aufgefordert werden, die Steuerungsverantwortung zum Thema Menschen mit Behinderung in den einzelnen Zentren der außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu optimieren und dafür zu sorgen, dass in jedem Zentrum eine Inklusionsbeauftragte oder ein Inklusionsbeauftragter beschäftigt ist. Ferner soll die Bekanntheit der außeruniversitären Forschungseinrichtungen als Arbeitgeber gerade für Menschen mit Behinderung vergrößert und die bauliche wie informationelle Barrierefreiheit der außeruniversitären Forschungseinrichtungen erhöht werden. (sas/rol/19.05.2021)

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