Stiko-Empfehlung Voraussetzung für Corona-Impfung von Kindern
Voraussetzung für eine eventuelle Corona-Impfung von Kindern ist eine entsprechende Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko). Darauf wiesen mehrere Sachverständige während einer öffentlichen Anhörung des vom Gesundheitsausschuss eingerichteten „Parlamentarischen Begleitgremiums Covid-19-Pandemie“ unter Vorsitz von Rudolf Henke (CDU/CSU) am Donnerstag, 20. Mai 2021, hin. Die Stiko werde auf der Basis international standardisierter Risikoeinschätzungen den Nutzen gegenüber einer Krankheitslast abwägen, sagte der Virologe Prof. Klaus Stöhr. Wie die Stiko entscheiden wird, könne er nicht vorhersagen. Fest stehe aber, dass bei Kindern eine sehr hohe Hürde für eine Impfung bestehe. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, betonte ebenfalls, es brauche zuerst eine Bewertung der Stiko. Darauf könne sich dann auch eine öffentliche Informationskampagne beziehen.
Betsch: 30 Prozent der Eltern für Impfpflicht bei Schülern
Die Gesundheitsökonomin Prof. Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt sagte während der Anhörung, es gebe eine große Impfbereitschaft bei Kindern, die von den Eltern wahrgenommen werde. 76 Prozent der Eltern würden bei Umfragen angeben, ihr Kind wolle sich impfen lassen. 66 Prozent der Eltern hätten angegeben, ihr Kind auch impfen zu lassen, sagte Betsch. Als Gründe für ihr Impfinteresse hätten die Kinder den eigenen Gesundheitsschutz und die Rückkehr zum Alltag angeführt.
Das Thema Impfpflicht für Schüler sei schwierig, sagte die Gesundheitsökonomin. Ungefähr 30 Prozent der Eltern würden ihren Angaben nach dies befürworten, 55 Prozent seien dagegen. Aktuell gebe es auch einzelne Petitionen gegen eine Impfpflicht. Diese sorgten für Medienrummel und hätten das Potenzial dafür, „dass es Reaktanz und Ärger schürt“. Eine „große Bedrohung“ sei das aber nicht. „Ich nehme eher wahr, dass die Eltern darauf warten, dass sie endlich auch ihre Kinder impfen lassen können.“ In diese Richtung, so ihre Empfehlung sollte die Kommunikation geleitet werden, „um die Eltern bei ihrer Entscheidung zu unterstützen“.
Kim: Wer sich nicht impft, wird sich infizieren
Um grundsätzlich die Impfbereitschaft zu stärken, sprach sich die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen Kim dafür aus, die anzusprechen, „die grundsätzlich bereit sind, aber gerade die Dringlichkeit nicht so spüren“. Totale Impfverweigerer, so Kim, seien rationalen Argumenten nicht zugänglich, aber in der Minderheit. Der erst genannte Gruppe müsse vermittelt werden, dass das Virus nicht ausgerottet werde. „Wer sich nicht impft, wird sich in jedem Falle infizieren“, sagte sie. Diese Erkenntnis sei noch nicht bei allen angekommen.
Die Wissenschaftsjournalistin sprach sich auch dafür aus, den Menschen mehr zuzutrauen. Sie bräuchten mehr Details – beispielsweise über eine offizielle Learning-Page. Kampagnen, die gezielt Jugendliche ansprechen sollen, steht sie kritisch gegenüber. „Das kann schnell nach hinten losgehen, weil Jugendliche ein gutes Gespür für Anbiederung haben“, sagte sie.
Stöhr fordert, strategische Impfkommunikation zu verbessern
Virologe Stöhr sprach sich dafür aus, die proaktive, strategische Impfkommunikation zu verbessern. Die zu erwartenden Entwicklungen würden schlecht oder überhaupt nicht antizipiert, sagte er. Seiner Ansicht nach ist auch ein nationales Impfregister für Deutschland „mehr als überfällig“.
Die Vorteile seien bereits ausführlich in anderen Ländern belegt und technische Lösungen vorhanden, die Datensicherheit zu garantieren. Das Beispiel Israel zeige ausdrücklich, „dass ein Register während Gesundheitskrisen von überragender Bedeutung ist“.
Wohlfahrtsverband sieht Defizite der Impfkampagne
Auf Defizite der Impfkampagne in Deutschland verwies der Vorsitzende des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. So sei die für die Glaubwürdigkeit entscheidende Botschaft, dass jede Entscheidung experimentellen Charakter habe und unter Umständen schnell revidiert werden müsse, kaum kommuniziert worden, beklagte Rosenbrock. Das betreffe die Lieferzusagen bei Impfstoffen ebenso wie den Umgang mit dem Impfstoff von Astrazeneca.
Zudem hätten sich zielgruppenspezifische Bemühungen nicht feststellen lassen, kritisierte er. Dabei sei klar, dass jedes Prozent jenseits der Impfbereitschaft von 70 Prozent ein Mehr an Schutz biete. Ohnehin müsse eine professionelle Kampagne die Impfbereitschaft von 70 Prozent immer wieder in den Mittelpunkt stellen. Damit könnten zweifelnde und indifferente Menschen besser überzeugt werden als mit Appellen, sagte er.
Mangel an Impfstoff größtes Problem auf kommunaler Ebene
Aus Sicht der auf kommunaler Ebene Verantwortlichen ist der Mangel an Impfstoff das größte Problem. Dr. Achim Brötel, Landrat im Neckar-Odenwaldkreis und Vorsitzender des Sozialausschusses des Deutschen Landkreistages, sprach zudem von einem „ziemlich vermurksten Terminvergabesystem, das die Menschen systematisch zur Verzweiflung treibt“. Zugleich gebe es eine Diskrepanz zwischen den geweckten Erwartungen und der tatsächlichen Realität, „die den Menschen sehr zusetzt“.
Brötel sprach sich dafür aus, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum Verzicht auf seine wöchentliche Pressekonferenz zu bewegen. „Damit wäre viel gewonnen, denn wir laufen oft dem, was da an Erwartungen geweckt wird, hinterher“, sagte er.
Impfaktion in Berlin-Neukölln
Martin Hikel, Bezirksbürgermeister in Berlin-Neukölln, verwies auf eine Impfaktion in zwei Neuköllner Großsiedlungen, von denen bekannt sei, dass zahlreiche Menschen in verhältnismäßig beengten Verhältnissen leben. „Das Ziel, möglichst viele Bewohnende der Gebiete mit hohen Neuinfektionszahlen in Neukölln zu impfen, haben wir nach meiner Meinung erreicht“, sagte er.
Mit 2.294 erfolgten Impfungen sei die ursprünglich avisierte Zahl von 1.200 geplanten Impfungen fast verdoppelt worden. Dies stelle bei der kurzen Vorlaufzeit von nur zwei Werktagen für die Durchführung der Aktion einen beachtlichen Erfolg dar.
Impfen in den vulnerablen Sozialräumen Kölns
Auch Andrea Blome, Beigeordnete der Stadt Köln und Leiterin des Krisenstabes Corona, sprach von „aufsuchenden Testangeboten und aufsuchenden Impfangeboten“ in bestimmten Stadtquartieren. „Dabei hätten wir noch mehr impfen können, als wir Impfstoff hatten“, sagte sie.
Möglich seien 50.000 Impfungen innerhalb von drei Wochen in den verschiedenen vulnerablen Sozialräumen der Stadt. Es fehle aber an Impfstoff. Als Rückgrat des Impfens bezeichnet die Kommunalvertreterin die Impfzentren. Gerade für eine Großstadt seien diese unverzichtbar.
Parlamentarisches Begleitgremium
Dem Parlamentarische Begleitgremium Covid-19-Pandemie gehören 21 Mitglieder aus dem Gesundheitsausschuss, aber auch aus anderen Fachausschüssen an.
Sein Arbeitsbereich umfasst im Wesentlichen drei große Themenblöcke. Zunächst sind dies Fragen der Pandemiebekämpfung, wozu beispielsweise die Erforschung des Virus und seiner Mutationen, Chancen durch Digitalisierung sowie internationale Aspekte gehören. Der zweite Themenblock umfasst den Komplex der Impfungen, mit dem sowohl die Entwicklung und Zulassung von Impfstoffen als auch der Zugang zur Impfung und die damit verbundenen ethischen, sozialen und rechtlichen Aspekte gemeint sind. Schließlich sollen auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der damit verbundenen Kontaktbeschränkungen in den Blick genommen werden.
Als Erkenntnisquelle dienen dem Begleitgremium öffentliche Anhörungen von Sachverständigen und Expertengespräche. Zudem wird die Bundesregierung das Gremium regelmäßig über das aktuelle Infektionsgeschehen und anlassbezogen zu aktuellen Fragen der Pandemiebekämpfung unterrichten. (hau/20.05.2021)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Cornelia Betsch, Universität Erfurt – Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation
- Andrea Blome, Beigeordnete der Stadt Köln – Leiterin des Krisenstabes Corona der Stadt Köln
- Dr. Achim Brötel, Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises – Vorsitzender des Sozialausschusses des Deutschen Landkreistages
- Prof. Dr. Michael Butter, Universität Tübingen – Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte
- Martin Hikel, Bezirksbürgermeister Berlin-Neukölln
- Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes
- Prof. Dr. Meryam Schouler-Ocak, Charité Universitätsmedizin Berlin – Professorin für Interkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie
- Prof. Klaus Stöhr, Virologe, Epidemiologe und ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms und SARS-Forschungskoordinator (WHO)