3. Untersuchungsausschuss

Zeuge zeigt sich im Wirecard-Ausschuss aufklärungsbereit

Die Jalousien des Saales des Untersuchungsausschusses zum Bilanzskandal Wirecard im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages sind während der Sitzung heruntergelassen.

Der Wirecard-Untersuchungsausschuss vernahm weitere Zeugen. (picture alliance/dpa | Christoph Soeder)

In einer weiteren öffentliche Zeugenvernehmungen im 3. Untersuchungsausschuss („Wirecard“) des Bundestages wurde am Dienstag, 8. Juni 2021, der Leiter der Financial Intelligence Unit (FIU), Christof Schulte, angehört.

Die Abgeordneten wollten in der vom Ausschussvorsitzenden Kay Gottschalk (AfD) geleiteten Sitzung unter anderem von dem Zeugen wissen, ob die ihm unterstellte Behörde, die Geldwäscheaktivitäten in der Finanzwelt nachgeht, alles in ihrer Zuständigkeit liegende getan hat, um den größten Finanzskandal der deutschen Geschichte, die Bilanzmanipulation bei dem 2020 Pleite gegangenen Zahlungsdienstleister Wirecard, zu vermeiden und mit aufzuklären? 

Zeuge: Vorgänge waren transparent

Die Fragen an Schulte waren mannigfaltig: Ließen sich nicht aufgrund von Verdachtsmeldungen über Geldwäscheaktivitäten Hinweise auf die Bilanztrickserei gewinnen und strafrechtliche Ermittlungen anstoßen? Hätte die FIU die ihr zugesandten Sachverhalte, beispielsweise von der Commerzbank, anders bewerten müssen? Hätte sie Meldungen in größerer Zahl an die zuständige Staatsanwaltschaft München weiterleiten und besser mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zusammenarbeiten müssen? 

Oder: Wurden auf Weisung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) Vorgänge zu wenig transparent dargestellt? Keinesfalls, betonte Schulte, und unterstrich die Unabhängigkeit seiner Behörde, in deren fachliche Arbeit sich das Ministerium nicht einmische. Wohl aber arbeite man dem Ministerium auf Anfrage zu, wie es bei der Vorbereitung auf eine Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestages im vergangenen Sommer geschehen sei. 

„Eine Lektionen aus dem Fall Wirecard

Die Zusammenarbeit mit der BaFin wolle die FIU jedoch künftig verbessern und pro-aktiver angehen. Das sei eine der Lektionen aus dem Fall Wirecard, den man intern umfassend untersuche. Dabei sei aber auch herausgekommen, dass vor dem Hintergrund des heutigen Wissensstandes die allermeisten Verdachtsmeldungen gegen Wirecard von 2019 und 2020 keine Anhaltspunkte für Geldwäsche oder strafrechtlich relevante Handlungen geboten hätten und somit nicht an die Staatsanwaltschaft hätten weitergeleitet werden müssen. 

Der Zeuge gab sich aufklärungsbereit, erklärte Aufgaben und Arbeitsweise seiner Behörde und präsentierte die FIU als eine lernende Institution, die weiter wachse. Die Fragen des „Wer macht was?“ unter den verschiedenen Institutionen in Deutschland und „Wer trägt am Ende die Verantwortung?“ nahmen in der Vernehmung breiten Raum ein. Man habe kein Interesse etwas zu verschleiern, sondern nehme den Fall Wirecard zum Anlass besser zu werden, so der Tenor des Zeugen, dem der Untersuchungsausschuss bei dieser zweiten Vorladung nicht viel Neues entlocken und keine Fehler oder Unterlassungen nachweisen konnte. 

Vernehmung weiterer Zeugen

Wohl aber konnten die Abgeordneten ihr Bild vom Fall Wirecard an der ein oder anderen Stelle vervollständigen sowie für die gesetzgeberische Arbeit ihr Verständnis von den Zuständigkeiten der Behörden am Finanzplatz Deutschland erweitern und neue Ideen gewinnen.

Dr. Rolf Bösinger, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen (BMF), sagte am Dienstagabend als zweiter Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss aus. Bei der Befragung ging es den Abgeordneten vor allem um die Rolle des BMF und die Zusammenarbeit des Ministeriums mit der unter dessen Rechtsaufsicht stehenden Financial Intelligence Unit (FIU) bei dem sich anbahnenden Zusammenbruch des Zahlungsdienstleisters Wirecard und den Umgang der FIU mit Hinweisen auf faule sogenannte TPA-Geschäfte (Third Party Acquiring, Drittpartnergeschäfte) von Wirecard in Asien.

Kritische Fragen zum Verhallten der FIU

Hans Michelbach (CDU/CSU) und weitere Ausschussmitglieder hielten dem Zeugen vor, die unter der Rechtsaufsicht des Ministeriums stehende FIU habe weder die Geldwäscheverdachtsmeldungen seitens der Commerzbank ernst genommen noch die investigative Berichterstattung der renommierten Wirtschaftszeitung Financial Times bereits zu Beginn des Jahres 2019. Viel Anlegerunglück hätte vermieden werden können, wäre man den sich mehrenden Hinweisen nachgegangen und hätte so die Betrügereien bei Wirecard bereits früher aufdecken können, sagte Michelbach.

Die Behörde sei „ihrem gesetzlichen Auftrag nicht nachgekommen“, sagte Florian Toncar (FDP): „Zahlreiche Verdachtsmeldungen sind bei der FIU versandet.“ „Trotz einer Meldung der Commerzbank ist die FIU nicht darauf gekommen, dass ein Straftatbestand vorliegt - das ist doch keine gelungene Arbeit“, monierte Bernd Riexinger (Die Linke). Der Zeuge widersprach dieser Darstellung. Die Behörde habe im vorgegebenen gesetzlichen Rahmen „sachgerecht gearbeitet“ und sah keine Anhaltspunkte für Fehlverhalten. Der Fokus der Arbeit der FIU liege darauf, illegale Geldströme, die der Terrorfinanzierung dienen könnten, und Geldwäscheaktivitäten aufzudecken.

Weiterleitung von zwei Verdachtsfällen

Zwei Verdachtsmeldungen seien an die zuständige Staatsanwaltschaft  weitergeleitet worden. Die Meldung der Commerzbank habe die FIU zunächst anders bewertet und keinen Anlass gesehen, diese wegen eines möglichen Straftatbestandes weiterzuleiten. Bei zahlreichen Meldungen sei es um keinen in Deutschland strafrechtlich relevanten Bereich etwa für die Staatsanwaltschaft oder das Landeskriminalamt gegangen.

Erst nach einer Erweiterung des Untersuchungsauftrags der FIU ab dem 22. Juni 2020 habe diese dann erkannt, dass die Meldungen im Hinblick auf mögliche Ermittlungen doch „werthaltig“ seien. Das habe im Übrigen auch die Staatsanwaltschaft München I dann erst aufgegriffen und gesagt: Wir ermitteln. Letzteres sei wiederum der Grund dafür gewesen, dass zahlreiche Dokumente und Aspekte, die den Ausschuss in der öffentlichen Sitzung interessierten, als „ermittlungsbefangen“ eingestuft waren, und aus diesen somit somit nicht zitiert werden durfte. Mit dieser Lückenhaftigkeit müsse man sich leider abfinden, so Dr. Jens Zimmermann (SPD).

FIU soll besser ausgestattet werden

Es entstand zudem der Eindruck als sei die FIU mit der Fülle an Verdachtsmeldungen überfordert und könne ihren gesetzlichen Auftrag nicht erfüllen. So habe die Zahl unbearbeiteter Anfragen vor Kurzem noch bei 26.500 und auch mal bei 40.000 gelegen. Das habe mit einer effektiven Form der Prävention nichts mehr zu tun, monierten die Abgeordneten. Der Finanzstaatssekretär gestand die Belastungssituation bei der FIU ein - „Die Behörde ist stark unter Strom“ - und gelobte Besserung: „Wir wollen die FIU besser ausstatten.“

Die Vertreter von CDU/CSU und der Opposition sprachen dem BMF im Fall Wirecard ausreichenden Aufklärungswillen ab. Das Ministerium wolle seit einem Jahr von Fehlern der FIU im Umgang mit offensichtlich für Geldwäscheermittlungen relevanten Verdachtsmeldungen ablenken.

Verdachtsmeldungen über TPA-Geschäfte

Die Abgeordneten interessierte besonders, warum aus einem Dokument von FIU und BMF, das die Staatssekretäre auf eine Sondersitzung des Finanzausschusses im August 2020 vorbereiten sollten, eine Reihe erst später von der FIU als relevant eingestufter Verdachtsmeldungen über TPA-Geschäfte der Wirecard in dessen Endfassung gestrichen wurden. „Warum hat man die nicht offenkundig gemacht. Warum hat man dem Parlament hier nicht Klarheit verschafft“, fragte Hans Michelbach. Das Dokument sei ganz normal von mehreren Akteuren bearbeitet worden, entgegnete Bösinger. „Nichts ist vertuscht worden.“

Der Zeuge distanzierte sich von einer vorgehaltenen Email, in der er falsch zitiert worden sei: Er habe keinesfalls „dringend gewünscht“, dass in einem einem von der FIU erstellten vorbereitenden Dossier für die BMF-Staatssekretäre Passagen dahingehend geändert werden sollten, dass erst im Juni 2020 als „werthaltig“ für staastanwaltschafliche Ermittlungen erachtete Mitteilungen über den Verdacht der Geldwäsche nicht separat aufgeführt würden.

Unabhängigkeit der FIU vom BMF

„Wir haben keine zentralen Infos gestrichen, die fraglichen TPAs sind Teil der Liste“, auch in der endgültigen Fassung des Dokuments, widersprach der Zeuge. Auch in der Sondersitzung des Finanzausschusses am 31. August 2020 hätten er und sein Kollege das Parlament darüber informiert. „So wie es in dieser Email steht, ist die Äußerung von mir nicht gefallen“, stellte Bösinger klar und betonte die Unabhängigkeit der FIU vom BMF. Gegenüber der Behörde habe das Ministerium lediglich eine eingeschränkte Rechtsaufsicht, nicht aber die Fachaufsicht. Man bekomme keine einzelnen Fälle der FIU zu Gesicht, um die Ermittlungen nicht zu beeinflussen.

Die meisten Mitglieder des Gremiums gewannen der Darstellung viel ab, das BMF sehe Fehler bei der FIU, auf Geldwäschestraftaten hinzuweisen, wolle diese aber nicht eingestehen, ja sogar durch Intransparenz in der Darstellung und konzertierte Gesprächsvorbereitung auf die Untersuchungsbemühungen des Parlaments davon ablenken, indem man betone, der Wirecard-Skandal sei allein ein Fall von Bilanzmanipulation und habe mit Geldwäsche nichts zu tun. Vorsitzender Kai Gottschalk (AfD): „Das BMF hat Fehler bei der FIU gesehen und will diese seitdem mit einer Kommunikationsstrategie vertuschen.“  (ll/09.06.2021)

Liste der geladenen Zeugen

  • Christof Schulte, Leiter der Financial Intelligence Unit (FIU)
  • Dr. Rolf Bösinger, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen
  • Hildegard Bäumler-Hösl, Oberstaatsanwältin als Hauptabteilungsleiterin bei der Staatsanwaltschaft München I

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