Auswärtiges

Experten warnen vor Verlust an digitaler Souveränität

Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz, Quantencomputing oder Netzwerktechnologien stellen nach Ansicht von Experten eine strategische Herausforderung für die deutsche und europäische Politik dar. In einer öffentlichen Anhörung des Auswärtigen Ausschusses am Montag, 7. Juni 2021, unter Vorsitz von Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) zum Thema „Innovative Technologien und Standardisierung in geopolitischer Perspektive“ sprachen sie sich am Montagnachmittag für mehr Zusammenarbeit in Europa im Bereich der digitalen Souveränität, für eine verstärkte Forschungsförderung und ein gezieltes Monitoring von Bedarfen und Risiken aus.

Experte fordert eine Doppelstrategie

Es gelte zu analysieren, „in welchen Bereichen wir von wem abhängig sind und was wir damit machen“, betonte Dr. Daniel Voelsen von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Dabei gehe es nicht darum, sämtliche Abhängigkeiten abzubauen, sondern ein bewusstes Verhalten dazu zu entwickeln.

Insbesondere China und die USA sähen in Technologien eine zentrale strategische Ressource zur Ausweitung der eigenen Machtposition, urteilte Voelsen, der die Rede von einem „Technologiekrieg“ jedoch als „unnötig dramatisierend und wenig hilfreich“ bezeichnete. Er sprach sich für eine Doppelstrategie aus: Deutschland und Europa sollten sich einerseits mit entsprechenden Instrumentarien zur Wehr setzen, andererseits aber das Muster geopolitischer Konfrontation immer wieder aufbrechen.

Informationen als Ressource

Der Informatiker Prof. Dr. Bernhard Schölkopf, Direktor am Max-Planck-Institut für intelligente Systeme, betonte, bei der dritten industriellen Revolution gehe es nicht um Energie, sondern um Informationen. Dies berge „immense Möglichkeiten“ auch für die politische Einflussnahme.

Europa müsse unter anderem mehr tun, um zu verhindern, dass amerikanische oder chinesische Technologie-Unternehmen weiter viele der klügsten Köpfe im Bereich der Künstlichen Intelligenz abwerben, mahnte er. Andernfalls laufe es Gefahr, seine digitale Souveränität zu verlieren.

Entwicklung einer digitalen Souveränität

Viele Bürger hätten den Eindruck, durch Firmen wie Google oder Apple nur noch Anschluss an US-amerikanische Systeme und deren Wertschöpfungsketten und Zahlungsdienstleister zu haben, sagte der freie Journalist und Berater für Krypto- und IT-Sicherheit, Andy Mueller-Maguhn.

Europa müsse deshalb ein Selbstverständnis für seine digitale Souveränität entwickeln und entsprechende Kompetenzen und Behörden aufbauen, um Komponenten der Wertschöpfungsketten zurückzuerobern. Dazu gehöre auch, nicht offene und allgemein nutzbare Standards abzuwehren.

Bedeutung technischer Standards

Tim Rühlig, Experte beim Swedish Institute of International Affairs in Stockholm, sagte, wer technische Standards setze, „kontrolliert den Markt“. So müssten die Hersteller Produkte, die nicht dem allgemeinen Standard entsprächen, vom Markt nehmen, für andere fielen teure Lizenzgebühren an. „Der Anteil Chinas an essenziellen Patenten steigt“, führte Rühlig zudem weiter aus.

Darüber hinaus knüpfe es die Finanzierung zahlreicher Eisenbahnstrecken im Rahmen der neuen Seidenstraße („Belt and Road Initiative“) an die Übernahme seiner eigenen Standards. Die betroffenen Staaten müssten bei Ausbau und technischer Wartung daher für die kommenden Jahrzehnte auf chinesische Firmen, meist staatseigene Betriebe, zurückgreifen. „China schafft so langfristig Abhängigkeiten“, sagte Rühlig. Um den Einflussverlust Europas zu stoppen und die Spaltung der technischen Standards in zwei Sphären zu verhindern, müsse der Weg von der Innovation zur Standardisierung deutlich verkürzt und mehr in die europäische und deutsche Forschungsförderung investiert werden.

Unterschiedliche Normungsphilosophien

Sibylle Gabler vom Deutschen Institut für Normung (DIN) sprach von unterschiedlichen „Normungsphilosophien“ in den einzelnen Staaten. Während Europa internationale Normen meist übernehme, und diese nationale Standards ablösten, engagiere China sich in internationalen Normungsorganisationen stark dafür, eigene Standards zu setzen. „China ist die kommende Standard-Power“, urteilte Gabler vor diesem Hintergrund. Fraglich sei, wie in diesem Zusammenhang europäische Werte und Ziele, etwa beim Datenschutz, hochgehalten werden könnten.

Gabler forderte eine nationale Normungsstrategie, denn: „Der Politik dienen Normen als strategische Instrumente: Gesetze schaffen den rechtlichen Rahmen und geben Schutzziele vor, beispielsweise für Produktsicherheit, Arbeits- oder Umweltschutz.“

Förderung der Interoperabilität

Nach Ansicht von Ulrich Sandl, Experte für Standardisierung in der Informations- und Kommunikationstechnik, braucht Deutschland mehr Ressourcen, um seine inhaltliche Beteiligung an internationaler Standardsetzung zu verbessern.

Essentiell für technische Souveränität sei zudem mehr Interoperabilität, also die Fähigkeit zum Zusammenspiel verschiedener Systeme und Techniken. Sie sei „eine Waffe der Schwachen“, werde aber von den großen Akteuren oft blockiert. Damit wachse die Gefahr, dass der Markt zunehmend von einigen wenigen Großunternehmern beherrscht werde. (joh/07.06.2021)

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