Auswärtiges

Wie der Radikalisierung in Flüchtlingscamps vor­gebeugt werden kann

Mit umfassenden, präventiven Hilfen wollen Bundesregierung und Experten der Perspektivlosigkeit und Radikalisierung junger Leute in Flüchtlingscamps weltweit begegnen, so das Ergebnis einer öffentlichen Sitzung des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln“ des Auswärtigen Ausschusses am Montag, 21. Juni 2021, unter Leitung des Vorsitzenden Ottmar von Holtz (Bündnis 90/Die Grünen).

„Entstehen einer verlorenen Generation verhindern“

Mehr als 82 Millionen Menschen seien laut neuesten Zahlen der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR derzeit weltweit auf der Flucht, sagte von Holtz. Viele davon seien in Flüchtlingslagern untergekommen, von denen sich zahlreiche über die Jahre zu etablierten Städten entwickelt hätten. Viele Menschen lebten dort ohne die Option auf Rückkehr in Ihre Heimat.

Jenseits einer Basisversorgung mangele es dort an Perspektiven. Gerade Kinder und Jugendliche seien betroffen und der Gefahr ausgesetzt sich zu radikalisieren. Wie es gelingen kann, für diese jungen Leute in den Camps eine Perspektive zu schaffen, um einer Radikalisierung vorzubeugen und so eine verlorene Generation zu vermeiden, stellte sich für von Holz als Leitfrage der Sitzung dar.

Junge Flüchtlinge anfällig für radikale Ideologien

Dr. Katerina Kratzmann von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) erläuterte die Entstehung von Radikalisierung aus der Perspektive der Betroffenen. Diese suchten nämlich in einem unsicheren Umfeld und beispielsweise bei der Bewältigung traumatischer Erlebnisse bei der Flucht nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Welterklärung.

Radikale Angebote, beispielsweise seitens einer Terrororganisation, gäben vor, all das bieten zu können. Junge Flüchtlinge, die ihre Situation oft als ausweglos erlebten, seien für radikale Ideologien besonders ansprechbar, gliederten sich komplett in eine neue Gruppe ein und seien nur schwer daraus zurückzugewinnen.

Präventive Angebote gegen die Perspektivlosigkeit

Die Flüchtlingscamps der Vereinten Nationen weltweit seien eigentlich für viel kürzere Aufenthaltszeiträume gedacht gewesen, als dies mittlerweile für die meisten Bewohner der Fall sei, sagte Dr. Markus Rudolf vom Bonn International Center for Conversion (BICC). Der Perspektivlosigkeit der Menschen dort müsse man mit entsprechenden präventiven Angeboten begegnen.

Leider habe man genau das im größten Flüchtlingslager der Welt, in Cox's Bazar in Bangladesch, versäumt, als in den vergangenen Jahren die Problematik der dort lebenden Rohingya aus dem benachbarten Myanmar von der international mit Wohlwollen und Hoffnungen begleiteten Entwicklung in Myanmar überstrahlt worden sei. Um einer Radikalisierung vorzubeugen, reiche es nicht aus, lediglich auf die Flüchtlinge in den Camps zu schauen. Vielmehr müsse man die Situation in den Lagern im Gesamtzusammenhang der aufnehmenden Gemeinden, Länder und der internationalen Politik sehen.

Ganzheitliche Maßnahmen sollen Radikalisierung vorbeugen

Mit einem solchen umfassenden präventiven Ansatz unterstütze das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Programme in betroffenen Regionen, beispielsweise in Syrien und Irak, sagte Klaus Krämer, Leiter des Referats „Naher Osten II“ im BMZ. Das Risiko, dass sich Jugendliche radikalisieren und sich radikalen Organisationen anschließen, bestehe überall.

Durch diese ganzheitlichen Maßnahmen, die auf Angebote der schulischen und beruflichen Bildung über Beschäftigung und Gesundheit bis hin zur sozialen Kohäsion und Geschlechtergerechtigkeit setzten, sei es allein im vergangenen Jahr gelungen, 1,5 Millionen Kinder in die Schulbildung hineinzubekommen.

Cox's Bazar in Bangladesch eine Insel der Isolation“

Eine Insel der Isolation nannte Philipp Knill, Leiter des Referats „Grundsatzfragen der Zusammenarbeit mit Asien, Südasien“ im BMZ, das Lager von Cox's Bazar in Bangladesch, in dem mittlerweile 1,1 Millionen Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar lebten – 450.000 davon Kinder. Bangladesch habe diese Menschen aufgenommen, engagiere sich über die Maßen eines so armen Landes hinaus, lehne aber gleichzeitig eine dauerhafte Aufnahme der Menschen dort ab. Daher gestalte sich der Aufbau von Hilfseinrichtungen in dem Lager in Zusammenarbeit mit der dortigen Regierung schwer. BMZ und Auswärtiges Amt verfolgten Hand in Hand einen präventiven Ansatz gegenüber den Flüchtlingen.

Zusammen mit dem Kinderhilfswerk Unicef baue man Lernzentren für Jugendliche und junge Erwachsene auf, schaffe Ausbildungsmöglichkeiten, fördere die soziale Inklusion und die Bildung einer Gesellschaft und biete den jungen Menschen dort psychosoziale Unterstützung und Jugendclubs, darunter sichere Räume für Frauen und Mädchen, um das Flüchtlingselend zu mildern.

„Gefahr lauert da, wo staatliche Ordnung schwach ist“

Ähnlich gehe man auch in Syrien, in den vom sogenannten Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten, vor, sagte Clemens Hach, Leiter des Referat S03 (Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge) im Auswärtigen Amt. Im Nordosten des Landes gebe es Camps mit 60.000 Bewohnern ohne Rückkehrperspektive in ihre Heimat. Man schaue aber auch auf die Haftanstalten in dem Land und fordere dort eine altersgerechte Betreuung von Kindern und Jugendlichen.

Dort finde genauso eine Radikalisierung statt wie im digitalen Raum. Gefahr lauere überall da, wo staatliche Ordnung schwach sei. Der Prävention auch jenseits der Flüchtlingslager komme somit eine zentrale Rolle zu. Im Libanon und Tunesien unterstütze die Bundesregierung weitere Projekte in Gefängnissen und gegen Extremismus und „hate speech“ im Netz. (ll/22.06.21)

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