Europapolitik

Andreas Nick: Be­trachten un­ga­risches LGBTI-Gesetz mit großer Sorge

Der Bundestagsabgeordnete Dr. Andreas Nick sitzt an einem Tisch und blickt in die Kamera.

Andreas Nick (CDU/CSU) leitet die Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates. (© DBT/Simone M. Neumann)

In ihrer dritten Sitzungswoche in diesem Jahr hat vom 21. bis 25. Juni 2021 die Parlamentarische Versammlung des Europarates (Europarat PV) in Straßburg getagt. Zwei Berichterstatter aus dem Deutschen Bundestag, Andrej Hunko (Die Linke) und Konstantin Kuhle (FDP), legten dort ihre Berichte über die wirtschaftliche Entwicklung Europas nach der Pandemie sowie über unzulässige Einflussnahme ausländischer Akteure in demokratische Entscheidungsprozesse vor. Über die schwierige Gratwanderung zwischen illegaler Einflussnahme und die wichtige Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sowie über die Bilanz des deutschen Vorsitzes und die Erwartungen an den ungarischen Vorsitz spricht Dr. Andreas Nick (CDU/CSU), Delegationsleiter der Bundestagsabgeordneten zur Europarat PV, im Interview

Herr Dr. Nick, welche Bilanz ziehen Sie nach einem halben Jahr deutschem Vorsitz im Europarat?

Trotz der schwierigen Bedingungen der Pandemie, die insbesondere das geplante Kulturprogramm getroffen hat, hat die Bundesregierung klare politische Schwerpunkte setzen können. Dafür danke ich allen Beteiligten, insbesondere unserem scheidenden Botschafter Rolf Mafael in Straßburg, sehr herzlich.

Welche Schwerpunkte waren dies?

Vor allem will ich die Einhaltung und Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nennen. Das ist der Kern des Schutzmechanismus für Menschenrechte, den wir im Europarat mit der Menschenrechtskonvention etabliert haben. Hier entscheidet sich zentral die Glaubwürdigkeit des Europarates. Wir konnten den Beitritt der Europäischen Union zur Menschenrechtskonvention vorantreiben. Aber auch Zukunftsthemen wie die Regulierung von Künstlicher Intelligenz und die Bekämpfung von Hate Speech im Internet haben wir bearbeitet. Nicht zuletzt stand auch der Einsatz für Minderheiten, vor allem für die Roma, aber auch der Dialog mit der Jugend im Fokus. 

Was erwarten Sie vom nun folgenden ungarischen Vorsitz?

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó war am Montag Gast in der Versammlung und hat den Delegierten die Schwerpunkte des ungarischen Vorsitzes vorgestellt: Schutz nationaler Minderheiten, Religionsfreiheit, Rechte der nächsten Generation, Umweltschutz und neue Technologien. Einige dieser wichtigen und berechtigten Themen werden allerdings teils recht eigenwillig aus einer sehr nationalen ungarischen Brille interpretiert: So geht es offenbar fast nur um die ungarischen Minderheiten in Nachbarländern, bei Religionsfreiheit ist nur von Christenverfolgung und Antisemitismus die Rede, Muslime finden dagegen keine Erwähnung. Mit großer Sorge betrachten wir natürlich die jüngsten Entwicklungen in Ungarn hinsichtlich des neu erlassenen LGBTI-Gesetzes. Wir hoffen, dass trotz der offenkundigen politischen Differenzen mit der ungarischen Regierung ein konstruktiver Dialog möglich sein wird.

Der Präsident Rik Daems eröffnete zum ersten Mal die Sommersitzung mit dem Läuten einer Glocke und stellte einen Bezug zu Ihrem Wahlkreis her. Was ist der Hintergrund?

Vor 70 Jahren hinterließ der erste Präsident der PV des Europarates, sein belgischer Landsmann Paul Henri Spaak, die Präsidentenglocke als Geschenk zur Eröffnung der Jugendbildungsstätte Europahaus Marienberg, dem ersten Europahaus überhaupt. Der inzwischen 90 Jahre alte Zeitzeuge Gerhard Krempel aus meinem Wahlkreis, der diese Glocke seit Jahrzehnten sicher verwahrt hat, konnte sie vergangene Woche an PV-Präsident Rik Daems beim Besuch im Europahaus Marienberg übergeben. So kehrte sie nach Straßburg zurück und erhält dort einen Ehrenplatz. Damit wird auch die historische Erinnerung daran wachgehalten, dass die Idee des vereinten Europas in ihrem Aufbruch eine Jugend- und Bürgerbewegung war. Diesen Geist, diese Dynamik wollen wir auch wieder in die Gegenwart und die Zukunft hineintragen.

Zwei deutsche Berichterstatter, Mitglieder der Delegation, haben in der dritten Sitzungswoche ihre Berichte vorgelegt. Andrej Hunko (Die Linke) hat sich mit den sozialen und ökonomischen Folgen der Pandemie befasst. Was muss Europa, müssen Europas Regierungen im Fall einer Pandemie künftig besser machen? Was empfehlen die Parlamentarier?

Die Pandemie hat soziale Ungleichheiten verstärkt. Der Bericht würdigt eingangs insbesondere diejenigen, die von der Pandemie und den europaweiten Schutzmaßnahmen besonders hart getroffen wurden, beispielsweise alleinerziehende Mütter oder Arbeitsmigranten, die aus Staaten stammen, die die europäische Sozialcharta nicht ratifiziert haben. Die Versammlung ist der Ansicht, dass die europäischen Staaten nun die Gelegenheit haben, ihre wirtschaftliche Entwicklung mit den sozialen und ökologischen Zielen der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in Einklang zu bringen. So können auch sozioökonomische Risiken im Falle künftiger Pandemien gemindert werden.

Ein Bericht von Konstantin Kuhle (FDP) fasst ausländische Einflussnahme auf Wahlen und Parteiensysteme in den Mitgliedstaaten des Europarates ins Auge. Was schlägt er den Mitgliedern vor?

Konstantin Kuhles Bericht verurteilt sehr klar alle Versuche von Mitgliedstaaten und Nichtmitgliedern des Europarates, sich durch finanzielle Zuwendungen an politische Parteien und Wahlkampagnen in unzulässiger oder illegaler Weise in demokratische Entscheidungsprozesse in anderen Staaten einzumischen. Zur gleichen Zeit etabliert er eine feine Balance, indem er betont, dass Regelungen zur Finanzierung von politischen Parteien und Wahlkämpfen die Arbeit von NGOs und politischen Stiftungen nicht behindern dürfen. Als wichtige Akteure der Zivilgesellschaft sind diese unverzichtbar, um den politischen Austausch und den ständigen Dialog zwischen den Menschen in Mitgliedstaaten zu stärken.

Ihre Delegation hat sich mehrfach dafür eingesetzt, dass der Bundestag mehr von den Transparenzregeln des Europarates übernimmt, wie sie insbesondere von der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats Greco vorgeschlagen wurden. In Straßburg mussten sich deutsche Abgeordnete bereits fragen lassen, warum Deutschland nicht mehr tut, um die Bestechung von Abgeordneten und Beamten einzudämmen und Lobbyismus transparenter zu gestalten, ein Nichteinhaltungsverfahren wurde eingeleitet. Sind dem Bundestag die Vorschläge aus dem Europarat zu weitgehend? Und wie kann es gelingen, dass von den Vorgaben und Vorschlägen des Antikorruptionsgremiums mehr auf nationaler Ebene übernommen werden? Bis März kommenden Jahres muss Deutschland dem Antikorruptionsgremium ja über Fortschritte berichten.

Als Delegation haben wir die Empfehlungen von Greco stets sehr ernst genommen und auch in Berlin weiterverfolgt. So habe ich mich gemeinsam mit meinem Stellvertreter Frank Schwabe bereits 2018 für die Schaffung einer zusätzlichen Stelle in der Bundestagsverwaltung im Sinne einer Verbesserung der Bearbeitung der Anzeigepflichten und Regeln zu Interessenkonflikten eingesetzt. Leider hat es aber auch der schmerzlichen Erfahrung der aktuellen Skandale bedurft, um weitere Empfehlungen konsequent umzusetzen. Mit dem im März verabschiedeten Lobbyregister machen wir nun einen weiteren großen Schritt hin zu mehr Transparenz im Gesetzgebungsverfahren. Die Transparenzregeln für Abgeordnete wurden weiter verschärft und das Strafmaß für Abgeordnetenbestechung deutlich erhöht.

Schwerpunkt der dritten Sitzungswoche war eine Aussprache über das zehnjährige Bestehen des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, der sogenannten Istanbul-Konvention. Wo steht Europa nach zehn Jahren bei diesem wichtigen Thema?

Die Konvention ist das umfassendste internationale Instrument zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Die Debatte anlässlich des 10. Jahrestages der Konvention hat das nochmals unterstrichen. Grundsätzlich gibt es eine positive Entwicklung. Bereits 34 Staaten haben die Konvention ratifiziert – andere Staaten wie die Ukraine und das Vereinigte Königreich streben dies zurzeit nachdrücklich an.

Was bedeutet es, dass die Türkei dem Abkommen jüngst den Rücken gekehrt hat?

Dass Präsident Erdoğan per Dekret den Rückzug aus dem Übereinkommen entschieden hat, ist ein schrecklicher Rückschlag und hat eine fatale Signalwirkung. War es doch die Türkei unter Erdoğans Regierung, die das Abkommen während ihres Vorsitzes im Ministerkomitee vor gut zehn Jahren vorangetrieben hat. Das türkische Parlament hat sie seinerzeit einstimmig ratifiziert. Gewalt gegen Frauen zu verhindern, den Opfern Hilfe zu gewährleisten und die Täter strafrechtlich zu verfolgen – im Hinblick auf diese Ziele kann es in unserer Zeit nicht ernsthaft Dissens geben. Wir rufen die türkische Regierung daher auf, die Frauen in der Türkei dieses Instruments nicht zu berauben und das europaweite Schutzsystem der Konvention nicht zu schwächen. (ll/28.06.2021)