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Peter Stein: Weltkriegs­mu­ni­tion in Nord- und Ostsee gefährdet das Ökosystem

Peter Stein, CDU/CSU

Der Rostocker CDU-Abgeordnete Peter Stein sieht in der Weltkriegsmunition auf dem Grund von Nord- und Ostsee eine Gefahr für das Ökosystem. (Peter Stein/Tobias Koch)

Etwa 1,6 Millionen Tonnen Munition vor allem aus der Weltkriegszeit liegen noch auf dem Grund der deutschen Nord- und Ostsee. Diese Kampfmittel müssten nun bald beseitigt werden, mahnt Peter Stein (CDU/CSU), Bundestagsabgeordneter aus Rostock und Berichterstatter bei der Ostseeparlamentarierkonferenz (BSPC) über Munitionsaltlasten. Im August wird er der BSPC seinen Abschlussbericht vorlegen. Demnach sei man in der Lage, sofort mit dem Bergen und Unschädlichmachen der Munitionsaltlasten zu beginnen. Um erste Projekte in Angriff nehmen zu können, wünscht sich Stein eine enge multinationale Kooperation der Anrainer und einen freiwilligen Geberfonds in Höhe von mindestens 500 Millionen Euro. Wie die Ostsee als „Pilotregion“ zudem zur Lösung des globalen Problems der Munitionsreste beitragen kann, wie man Phosphorklumpen am Strand erkennt und über gefahrloses Baden an Nord- und Ostsee spricht Stein im Interview.

Herr Stein, von Munitionsresten im Meer aus der Weltkriegszeit hat jeder schon mal etwas gehört. Laufen Badegäste beispielsweise in Rostock-Warnemünde Gefahr, am Strand oder im Wasser auf Munitionsaltlasten zu treffen und sich zu verletzen?

Badegäste an Nord- und Ostsee können weitestgehend unbekümmert ihren Urlaub an der Küste genießen. Die Giftstoffkonzentration im Wasser stellt keine konkrete lokale Gefahr dar. Anders verhält es sich allerdings mit angespülten Phosphorklumpen, die auf den ersten Blick wie Bernstein aussehen: Bei Trocknung und Körpertemperatur wird dieser flüssig, brennt ab und lässt sich mit Wasser nicht löschen. Hier kommt es immer wieder zu schweren Verletzungen. Wenn wir die Kampfmittel in der Ostsee aber nicht bald beseitigen, dann wird mancherorts das Baden aufgrund der zunehmenden Giftstoffkonzentration einer laufenden Beobachtung und Risikobewertung bedürfen.

Worin besteht das Problem?

Auf dem Grund der deutschen Nord- und Ostsee liegen schätzungsweise 1,6 Millionen Tonnen Munition, die überwiegend aus den beiden Weltkriegen stammt. Aber auch nach den Weltkriegen wurden von verschiedenen Ländern Kampfmittel in größerem Maßstab verklappt. Allein in der Ostsee sprechen wir über rund 300.000 Tonnen konventionelle Munition und zum kleinen Teil auch über chemische. Durch die voranschreitende Korrosion treten zunehmend Stoffe aus, die eine Gefahr für das Ökosystem darstellen. Wenn die Metallhüllen der Munition verrottet sind, wird es quasi unmöglich sein, die Überreste zu detektieren und zu bergen. Munitionsaltlasten sind im Übrigen ein Problem beim Ausbau von Offshore-Infrastrukturen jeglicher Art sowie für Fischer und die Schifffahrt im Allgemeinen.

Weiß man eigentlich, was genau „da unten“ so liegt?

Es wird viel geforscht und daher wird die Datenlage immer besser. Es handelt sich um Kampfstoffe in Schiffswracks, Seeminen, Blindgänger und in industriellem Maßstab verklappte Munition. Neben Seeminen liegen dort Torpedos, Granaten, Bomben, chemische Kampfstoffe in Fässern und große Mengen an Gewehrmunition sowie Schieß- und Sprengmitteln. Über die nach dem Ende der Weltkriege deponierten Kampfmittel gibt es detaillierte Dokumentationen in den Archiven der Kriegsteilnehmer, allerdings unterliegt manches noch einer strengen Geheimhaltung. Das muss sich meiner Meinung nach rasch ändern, damit wir uns ein möglichst vollständiges Bild machen können.

Sie haben sich im Auftrag der Ostseeparlamentarierkonferenz (BSPC) in einem Bericht der Problematik angenommen, der auf der Jahrestagung der BSPC Ende August von den Delegierten angenommen werden soll. Was sind Ihre wichtigsten Ergebnisse?

Nach den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritten in den letzten Jahren sind wir grundsätzlich in der Lage, sofort mit dem Bergen und Unschädlichmachen der Munitionsaltlasten beginnen zu können. Vor uns steht eine Herausforderung, für die wir sowohl die Lasten zwischen Bund und Ländern neu regeln müssen sowie die  Kooperation unter den Ostseeanrainern zu intensivieren haben. Die EU gehört mit ins Boot.

Wie sieht die Aufgabenverteilung unter den Anrainerländern aus? Ziehen sie bei der Aufgabe alle mit?

Im Unterschied zu Deutschland betrachten die anderen Anrainerstaaten die Aufgabe überwiegend als militärisches Sicherheitsproblem, für das dann auch die jeweilige Marine zuständig ist. Bei uns rückt die Thematik immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und wird als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen. Das ist gut so und darauf habe auch ich in den letzten Jahren intensiv hingearbeitet. Mein Ziel ist es, dass sich die Anrainer auf freiwilliger Basis gemeinsam der Aufgabe annehmen, ohne lange über die Verantwortlichkeiten zu diskutieren.

Was kostet das? Und wo soll das Geld herkommen?

Mein Vorschlag ist die Auflegung eines freiwilligen Geberfonds in Höhe von mindestens 500 Millionen Euro, der nach dem Vorbild eines Geberfonds in der Entwicklungszusammenarbeit ausgestaltet wird. So könnten erste Projekte finanziert werden, ohne dass vorher im Zuge eines langwierigen Prozesses die juristischen Verantwortlichkeiten geklärt werden müssen. Die vollständige Beseitigung der Altlasten wird Jahrzehnte dauern und in die Milliarden gehen.

Kommen auf Deutschland als ehemaliger Hauptkriegspartei die größten finanziellen Lasten zu?

Für mich ist klar, dass Deutschland allein aufgrund der wirtschaftlichen Stärke eine Vorreiterrolle bei der Finanzierung und bei der Bergung übernehmen sollte. Aber historisch tragen wir nicht die alleinige Verantwortung. In den vergangenen Jahren hat der Bund bereits diverse Forschungsprojekte finanziert, von denen wir schon heute profitieren. Auch der Expertenkreis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Nord- und Ostsee leistet hervorragende Arbeit. Deutschland kooperiert im Zuge diverser multinationaler Forschungsprojekte mit den Ostseestaaten und bekennt sich zu seiner Verantwortung.

Was sind die größten Schwierigkeiten bei der Beseitigung der Munitionsaltlasten? Hat man bereits Erfahrungen gesammelt?

Problem sind die große Menge, die teilweise nicht mehr intakten Metallhüllen sowie jene Kampfmittel, die nicht ohne Detonationsgefahr angefasst werden können. Ziel ist es, dass Sprengungen nur in den äußersten Fällen stattfinden, da dadurch ins Ökosystem eindringende Giftstoffe großflächig verteilt werden und zudem die Druckwellen in einem gewissen Radius tödlich für alle Meeresbewohner sind. Heute gibt es aber spezielle Roboter und teilautonome Systeme, die die Gefahren für den Mensch fast vollständig ausschließen. Es gibt sowohl erprobte Technik als auch neuere technische Entwicklungen, deren Effizienz und Tauglichkeit derzeit untersucht wird.

Könnte die Munitionsbergung nebenbei zu einem weltweiten Geschäftsmodell werden, bei dem hiesige Technologie gefragt ist?

Das ist d e r Kernpunkt eines Koalitionsantrages der Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag. Die deutsche maritime Wirtschaft ist in diesem Segment weltweit führend und angesichts der Vielzahl an globalen Munitionsversenkungsgebieten halte ich es für möglich, dass daraus ein echtes Geschäftsmodell wird. Als Union sehen wir diese Chance ausdrücklich, und daher haben wir mit unserem Antrag ein politisches Signal gegeben, auf das die Branche lange gewartet hat. Weitere Investitionen machen nur Sinn, wenn die Munitionsbergung in einem großen Maßstab erfolgt. Der Bund soll nun ein Pilotprojekt in Form einer Offshore-Entsorgungsplattform initiieren.

Auch auf nationaler Ebene, darunter im Deutschen Bundestag, gibt es Bemühungen um das Thema Munitionsaltlasten, Anträge von mehreren Fraktionen wurden kürzlich im Bundestag debattiert. Warum kommen die Anstrengungen jetzt, 2020/21? Der Krieg ist ja schon lange vorbei, das Problem bekannt.

Mit dem Beschluss unseres weitreichenden Koalitionsantrages haben wir die Linien klar vorgezeichnet und den Weg für ein Pilotprojekt zur Bergung und Unschädlichmachung von Munition auf See geebnet. Ein weiterer Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und FDP war Grundlage für eine Expertenanhörung im Umweltausschuss. Man war lange der Meinung, dass es am sichersten sei, die Munition am Meeresgrund liegen zu lassen. Die vom Bund geförderten Untersuchungen der letzten Jahre widerlegen das, und deswegen ist ein zügiges Handeln notwendig. Dabei hilft, dass der Bund bereits die Entwicklung von Detektions- und Bergetechniken gefördert hat, die uns den schnellen Einstieg in die großflächige Bergung ermöglichen. Die Kampfmittel in Nord- und Ostsee stellen nicht alle in gleichem Maße eine Gefahr dar. Risiken sind richtig einzuschätzen, und bei der Bergung ist zu priorisieren.

Was würde Nichtstun bedeuten?

Nichtstun ist keine Alternative. Die Schäden für das Ökosystem und  für die Tourismuswirtschaft wären immens. Der zügige Ausbau von Offshore-Windkraftanlagen nicht nur in Deutschland hängt ebenfalls davon ab. Wir haben vielleicht 15 bis 20 Jahre Zeit und müssen zügig unsere Verfahren industriell hochskalieren, um die Aufgabe zu bewältigen.

Was, glauben Sie, wird Ihr Bericht bewirken?

Mein Zwischenbericht im Sommer 2020 sowie die von der BSPC-Delegation des Deutschen Bundestages eingebrachten Formulierungen in die BSPC-Resolutionen der letzten beiden Jahre haben für eine spürbar neue Dynamik bis hinauf auf die EU-Ebene gesorgt. Ich erfahre zudem, dass mein Zwischenbericht von mehreren Anrainern intensive Beachtung findet und ein von mir gestellter Fragenkatalog ernsthaft bearbeitet wird. Mein Abschlussbericht wird an den Zwischenbericht anknüpfen und ein Fazit ziehen. Meine Hoffnung ist, dass wir zu einer multinationalen Kooperation finden und die Beseitigung der Munition in der Ostsee nachhaltig angehen und als „Pilotregion Ostsee“ zur Lösung des globalen Problems beitragen können. Hier zählen, wie beim Klimawandel, nationale Grenzen oft nichts. (ll/15.07.2021)

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