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Manuel Sarrazin: Beziehungen zu Polen formal weiter aufwerten

Manuel Sarrazin spricht sitzend am Mikrofon in einem Ausschusssaal.

Der Hamburger Abgeordnete Manuel Sarrazin ist Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe. (© DBT/Thomas Imo/photothek.net)

Polen ist, neben den USA und Frankreich, Deutschlands wichtigster außenpolitischer Partner, sagt Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag. Die Deutsch-Polnische Parlamentariergruppe pflegt die Beziehungen zum polnischen Sejm. Trotz der Erschwernisse der Pandemie und einiger Streitfragen habe man in der ablaufenden Wahlperiode „äußerst intensiv zusammengearbeitet“, so Sarrazin im Interview. „Die deutsch-polnischen Beziehungen konnten im Großen und Ganzen freigehalten werden von innenpolitischen Kämpfen.“ Wichtig sei, sich mit Respekt zu begegnen, auch da, wo sich Unterschiede auftäten, und sich nicht auf den Lorbeeren der Versöhnung auszuruhen. Die Parlamentariergruppe wolle der Ort für neue Ideen sein. Das Interview im Wortlaut:

Herr Sarrazin, mit kaum einem anderen Land hat Deutschland eine so wechselvolle und enge Beziehung wie mit Polen. Was bedeutet die parlamentarische Zusammenarbeit für die Pflege und Weiterentwicklung des bilateralen Verhältnisses?

Neben den USA und Frankreich ist Polen Deutschlands wichtigster außenpolitischer Partner. Mit Polen haben wir mit Abstand die intensivsten Beziehungen auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Wichtig ist, dass dabei auf Seiten der staatlichen Akteure auch die Parlamentarier im Gespräch bleiben. Insbesondere, wenn auf Regierungsebene zwischen Deutschland und Polen oder auch innerhalb Polens zwischen Regierung und Opposition in der ein oder anderen Frage unterschiedliche Auffassungen bestehen. Vor dem Hintergrund der deutschen Einigung, die die polnische antikommunistische Opposition seit den 1970er-Jahren befürwortet hat, und angesichts der deutschen Angriffe auf Polen in den vergangenen Jahrhunderten und insbesondere im Zweiten Weltkrieg, der mit dem Überfall deutscher Streitkräfte auf Polen seinen Ausgang nahm, ist es uns Abgeordneten in der Parlamentariergruppe ein Anliegen, die bilateralen Beziehungen zu Polen zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Trotz Wahlen in beiden Ländern 2017 und 2019, langer parlamentarischer Konstituierungsphasen hier wie dort und lange Zeit fehlender Ansprechpartner und dann auch noch der Pandemie mit all ihren Beschränkungen haben Sie in der nun auslaufenden Wahlperiode des Bundestages mit ihren polnischen Parlamentskollegen zusammengearbeitet. Was waren die wichtigsten Themen?

Wir haben äußerst intensiv zusammengearbeitet. Trotz all dieser Erschwernisse. Die deutsch-polnische Parlamentariergruppe ist eine der aktivsten im Bundestag. Mit unseren polnischen Kolleginnen und Kollegen hatten wir einen äußerst vertrauensvollen und engen Austausch. Und ich möchte die sehr gute Zusammenarbeit sowohl innerhalb unserer Parlamentariergruppe wie auch die innerhalb der entsprechenden polnischen Freundschaftsgruppe betonen. Die Angelegenheiten der deutsch-polnischen Beziehungen konnten im Großen und Ganzen frei gehalten werden von innenpolitischen Kämpfen. Für die polnische Seite zählten die deutsch-russische Ostseepipeline Nord Stream II, die gemeinsame Ostpolitik der EU sowie ein mögliches Europa der zwei Geschwindigkeiten – und dass man dabei in Deutschland Polen nicht vergisst – zu den Top-Themen. Auch die Ereignisse in Belarus und in der Ukraine beschäftigen Polen sehr, und man versucht, Deutschland dafür zu sensibilisieren und das Thema hierzulande auf der Agenda zu halten.

Was genau erwartet man von Deutschland?

Polen und Litauen engagieren sich sehr bei der Unterstützung der belarussischen Opposition. Eine große polnische Minderheit lebt in Belarus. Was in Belarus gerade passiert, erinnert zudem viele Polen an die Geschichte des eigenen Freiheitskampfes in den 1980er-Jahren. Nur, dass es in Belarus heute unter Machthaber Lukaschenko noch viel schlimmer läuft. Der polnischen Seite ist es wichtig, dass Deutschland seinen Teil dazu beiträgt, die Dinge in Belarus zum Besseren zu wenden und beispielsweise politisch Verfolgte unbürokratisch zu unterstützen, ihnen Zuflucht zu gewähren. Gerade der Deutsche Bundestag leistet da aber einiges Vorzeigbare. Mehr als 80 Abgeordnete über Fraktionsgrenzen hinweg engagieren sich für politisch Verfolgte in Belarus. Der Bundestag ist bei der Hilfe für Belarus das mit Abstand engagierteste Parlament. Das kommt in Polen gut an.

Was für Themen beschäftigten die deutsche Seite?

Für uns wiederum war von vorrangigem Interesse, was sich gerade innenpolitisch in Polen abspielt: die Justizreform der polnischen Regierung und deren Umgang mit Minderheiten. Die auch in Polen höchst umstrittenen Maßnahmen der Regierung haben wir natürlich angesprochen. Allerdings schwingt sich der Deutsche Bundestag nicht zum Richter über die polnische Verfassung und die Politik der dortigen Regierung auf. Wichtig ist aber: dass wir weiterhin Verständnis füreinander entwickeln, für die Perspektive der anderen Seite, und dass wir uns mit Respekt begegnen, auch da, wo sich Unterschiede auftun, vor allem dadurch, dass wir regelmäßig miteinander sprechen. Wir als Parlamentarier verstehen unseren kontinuierlichen Austausch gewissermaßen als Vorfeldarbeit für die bilateralen Beziehungen in ihrer ganzen Breite sowie für die Regierungsbeziehungen.

Was haben Sie getan, damit nicht das Trennende überwog? Jeder denkt sofort an die zum Ärgernis gewordene deutsch-russische Erdgaspipeline. Die Parlamentariergruppe hat ja die Aufgabe, die bilateralen parlamentarischen Beziehungen zu pflegen und weiterzuentwickeln.

Man darf sich auch mit den Polen einmal streiten. Wichtig ist, sich stets mit Respekt zu begegnen. Das ist die Grundvoraussetzung für gute und zielführende Gespräche. Meine in den deutsch-polnischen Beziehungen aktiven Kolleginnen und Kollegen und ich haben das verinnerlicht und praktizieren das seit Jahren, auf deutscher Seite ebenso wie auf polnischer. Auf diese Weise haben wir wirklich etwas voneinander. Vor dem Ausnahmezustand der Pandemie haben Mitglieder unserer Gruppe sich sehr oft mit ihren polnischen Kolleginnen und Kollegen getroffen. Wir waren regelmäßig sozusagen auf einen Kaffee in Warschau. Diese kontinuierliche Begegnung hat ein stabiles Fundament für vertrauensvolle Gespräche geschaffen und unseren polnischen Freunden gezeigt, dass Deutschland sich für Polen interessiert und einsetzt.

Die letzte Wahlperiode war voll von Gedenkmomenten deutsch-polnischer Geschichte – bis auf den 30 Jahre alten Nachbarschaftsvertrag waren das meist traurige Anlässe. Das Land war erstes Kriegsopfer des Zweiten Weltkriegs. Deutsche Kräfte haben dort gewütet. Wie kann Deutschland heute vor diesem Hintergrund die Verhältnisse in Polen kritisieren und beispielsweise rechtsstaatliche Standards anmahnen? Wenn für alle die gleichen Maßstäbe gelten, wie finden Sie den richtigen Ton?

Die Konfliktfragen, beispielsweise um die polnische Justizreform, sind zunächst einmal Fragen, die zwischen der polnischen Regierung und den europäischen Institutionen geklärt werden müssen. Deutschland steht dabei allerdings als Mitglied der EU voll und ganz hinter der Position der Gemeinschaft. Aber im bilateralen Verhältnis ist das kein Thema, und schon gar kein Streitgegenstand, wie die Polen ihre Verfassung ausgestalten. Das haben wir nicht zu bewerten. Aber natürlich habe ich als leidenschaftlicher Freund Polens meine eigene Meinung dazu. Und da sage ich ganz klar: Was in Polen gerade im Rahmen der Justizreform läuft, ist nicht im Interesse dieses Landes. Eine echte Justizreform würde doch darauf zielen, die Effizienz der Justiz zu verbessern, ihre Unabhängigkeit zu garantieren. Die Beschlüsse der Regierung in Warschau werden dem aber nicht gerecht. Der Europäische Gerichtshof hat zu Recht die Frage der Unabhängigkeit der Justiz aufgeworfen.

Haben die Parlamentarier – beiderseits der Oder – Ideen für eine neue Phase der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, die den Ärger um Nord Stream und Verfassungsfragen hinter sich lässt?

Im Moment erwarten die Polen von uns vor allem, dass wir die vielen kleinen Fragen, die bereits im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 geregelt sind, umsetzen. Da gibt es auf polnischer Seite eine gewisse Frustration, dass es bei vielen Vorhaben nicht vorangeht. Es wäre aber wichtig, um unser gegenseitiges Vertrauen nicht zu gefährden und unsere Gesellschaften offenzuhalten, dass wir da weiterkommen. Das betrifft etwa das Thema der Verkehrswege zwischen beiden Ländern, um das Reisen zu erleichtern. Auch bei Fragen rund um die Arbeitsmigration gibt es Verbesserungsbedarf. Was die weitere Ausgestaltung oder Vertiefung der deutsch-polnischen Beziehungen angeht, da verstehen wir Abgeordnete uns als Impulsgeber und Wegbereiter für die Regierungen auf beiden Seiten. Unsere Parlamentariergruppe ist der Platz, wo neue Ideen ausgetauscht werden, die noch nicht spruchreif sind. Aber es ist vorrangig Aufgabe der Regierungen in Berlin und Warschau, da mehr zu tun, um das bereits sehr gute Verhältnis in eine neue Phase zu überführen, und sich nicht nur auf den Lorbeeren der Versöhnung auszuruhen. Da fehlt es leider momentan auf beiden Seiten an Ideen.

Ist das sogenannte „Weimarer Dreieck“, das Kooperationsformat zwischen Deutschland, Frankreich und Polen, ein nützliches Format?

Das Weimarer Dreieck ist immer noch untergenutzt. Eigentlich birgt dieser Ansatz riesige Chancen. Aber auf polnischer Seite herrscht immer noch das Gefühl vor, dort nicht wirklich gewollt zu werden. Mit Frankreich wiederum läuft es sehr formalisiert. Und Deutschland sitzt irgendwie zwischen den Stühlen. Die deutsch-französische Zusammenarbeit finde ich übrigens kein Vorbild für die deutsch-polnische Zusammenarbeit. Umgekehrt sehe ich jedoch die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen als Vorbild für das deutsch-französische Verhältnis.

Das müssen Sie näher erläutern!

Was wir gesellschaftlich zwischen Deutschland und Polen mittlerweile vollzogen haben, ist im Verhältnis zu Frankreich noch unerreicht, die deutsch-polnischen Beziehungen sind wahrscheinlich deutlich enger. In der deutsch-französischen Zusammenarbeit sollte man nicht unterschätzen, was mittlerweile zwischen den östlichen Ländern stattfindet, obwohl dort erst alles 1990 begann und obwohl die Aussöhnungsgeschichte sich viel schwieriger gestaltete. Unheimlich viel passiert beispielsweise in den deutsch-polnischen Grenzregionen, von der kommunalen Zusammenarbeit über die tägliche Arbeitsmigration bis zum Sprachunterricht. Wünschenswert wäre, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen, ähnlich wie die zwischen Deutschland und Frankreich, formal weiter aufgewertet werden. Mittlerweile haben wir ja mit unserem östlichen Nachbarn ebenso regelmäßige Regierungskonsultationen wie mit unserem westlichen Nachbarn.

Jetzt soll aber bald etwas hinzukommen: Die Parlamentarier haben das Projekt eines neuen zentralen Gedenkortes in Berlin für die polnischen Kriegsopfer initiiert. Was soll das Denkmal leisten?

Die Idee entstand vor dem Hintergrund, dass mehr und mehr Zeitzeugen versterben. Aber unsere Verpflichtung zu erinnern und aufzuklären bleibt. Dem wollen wir mit dem neuen Gedenkort Rechnung tragen und zugleich dem Gedenken einen neuen Stellenwert geben. Das würde die Erinnerung wachhalten und zugleich nach Polen signalisieren, dass wir Deutschen keinen Schlussstrich unter die Vergangenheit, unter deutsche Verbrechen, ziehen wollen. In der Mitte Berlins, im Herzen der deutschen Demokratie angesiedelt, soll die neue Gedenkstätte ein Ort der Kommunikation sein, der sowohl uns Deutschen etwas zu sagen hat als auch unseren polnischen Nachbarn und Freunden. Es soll zugleich ein Treffpunkt gemeinsamen Erinnerns und Feierns werden, ein Veranstaltungsort, an den hin wir auch mal die polnische Seite einladen können, statt der gemeinsamen Geschichte und der Verbrechen der Vergangenheit immer nur in Polen zu gedenken. (ll/16.08.2021)

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