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Michelbach: Wir bürden der nächsten Generation einen Schuldenberg auf

Hans Michelbach steht vor einem blauen Hintergrund.

Der CSU-Politiker Hans Michelbach ist Mitglied der Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der Europäischen Union. (DBT / Henning Schacht)

Die Aufnahme gemeinsamer Schulden durch die Europäische Union, wie im Rahmen des 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds, muss eine Ausnahme bleiben und die nationalen Parlamente brauchen mehr Mitsprache- und Kontrollrechte bei der Mittelverwendung, fordert Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU), stellvertretender Delegationsleiter der Bundestagsabgeordneten zur Interparlamentarischen Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der Europäischen Union (SWKS-Konferenz) im Interview. Am Dienstag, 28. September 2021, waren die Abgeordneten der Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und des Europaparlaments zur Herbsttagung der SWKS-Konferenz zusammengekommen. Die gemeinsame Schuldenhaftung laufe den Prinzipien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zuwider und bürde kommenden Generationen einen riesigen Schuldenberg auf, mahnt der aus dem Bundestag ausscheidende CSU-Politiker. Dies vertrage sich nicht mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit. Das Interview im Wortlaut:

Herr Dr. Michelbach, noch immer sind die Auswirkungen der Covid-19-Krise auf die Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsländer spürbar. Um die Folgen abzufedern hat die EU einen 750-Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds, „Next Generation EU“, auf den Weg gebracht. Wie viel Chance steckt in der Krise, um mit den Hilfsmitteln nachhaltige Impulse für Wirtschaft und Gesellschaft zu setzen? Was sind die größten Herausforderungen?

Next Generation EU“ ist ein Signal des solidarischen Füreinander-Einstehens in einer sehr kritischen Lage. Es ist ein Programm in einer Ausnahmesituation und muss eine Ausnahme bleiben – aus vielerlei Gründen. Ja, „Next Generation EU“ kann die EU-Staaten und die Gemeinschaft insgesamt voranbringen und zukunftsfester machen. Wenn die Mittel klug und richtig, und vor allem wenn sie zusätzlich eingesetzt werden. Und da liegt die größte Herausforderung. In den Diskussionen der SWKS-Tagung hatte ich nicht immer den Eindruck, dass die Gelder aus dem Programm in diesem Sinne verwendet werden, sondern eher Mittel in Projekte fließen, die ohnehin vorgesehen waren. Wo das geschieht, werden sie als Mitnahmeeffekte verpuffen. „Next Generation EU“ ist aber nicht nur eine Chance für die Zukunft. Es ist auch eine Belastung. Es schränkt den finanziellen Gestaltungsspielraum der nächsten Generation ein. Denn diese ist es, die die Schulden zurückzahlen muss, die wir heute machen. Wir bürden dieser Generation einen riesigen Schuldenberg auf. Dies verträgt sich nicht mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit.

Sie haben nicht den Eindruck, dass die Gelder optimal eingesetzt werden?

Das Problem ist, dass die EU-Kommission mit der Abwicklung derartiger Vorhaben, zumal auch in der erheblichen Größenordnung, keine Erfahrung hat. Es gibt schon bei der Umsetzung des EU-Haushaltes immer wieder Missbrauchstatbestände, die der Kommission nicht aufgefallen sind. Viele Tagungsteilnehmer haben sich deshalb auch für eine strikte Kontrolle der Mittelverwendung insbesondere durch das europäische Parlament und die nationalen Parlamente ausgesprochen. Aktuell gibt es jedoch noch keine belastbaren Erfahrungen hinsichtlich der Programmüberwachung, denn die Umsetzung von „Next Generation EU“ hat gerade erst begonnen. Es wäre aus meiner Sicht besser gewesen, die Abwicklung über die Europäische Investitionsbank laufen zu lassen. Die EIB hat die erforderliche Expertise.

Ist es der richtige Weg, dass die EU zur Bewältigung der Krise erstmals in ihrer Geschichte Schulden aufnimmt? Oder anders formuliert: Gehört zur gemeinsamen Bewältigung dieser Krise auch die Aufnahme gemeinsamer Schulden?

Dieser Weg ist außerordentlich problematisch. „Next Generation EU“ ist ein Programm in einer Ausnahmesituation und muss eine Ausnahme bleiben. Die daraus resultierende gemeinsame Schuldenhaftung ist ein Schritt, der den Prinzipien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes grundsätzlich widerspricht und der sich deshalb nicht wiederholen darf. Der dahinterstehende Glaube, dass eine gemeinsame Schuldenhaftung die Gemeinschaft stabiler macht, erscheint mir irrig. Mehr und gemeinsame Schulden werden am Ende die Fliehkräfte erhöhen. Zudem greift diese Haftung tief in das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente und die Verfassungen ein.

Ist die EU auf dem Weg, finanz- und haushaltspolitisch wie ein Staat zu agieren?

Es entsteht der Eindruck, dass „Next Generation EU“ wenigstens von einigen EU-Staaten – und wie es scheint auch von der EU-Kommission – als Hebel benutzt werden soll, eine Vertiefung der Gemeinschaft durch die Hintertür voranzutreiben. Die Einführung von EU-Steuern kann jedenfalls als ein Schritt auf diesem Weg gedeutet werden. Und auch eine Finanzierungsregelung, die auf eine gemeinsame Schuldenhaftung hinausläuft. Dies muss man in Verbindung mit Forderungen nach einer Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sehen. Hier droht der Weg in eine Schulden- und Transferunion, die Europa nicht voranbringen wird, ganz im Gegenteil.

Was bedeutet das für das Haushaltsrecht der Parlamente, für Transparenz und Kontrolle bei der Verwendung der Mittel? Welche Rolle wollen die nationalen Parlamente spielen?

Mit „Next Generation EU“ werden weitere Mittel dem gestalterischen Zugriff der nationalen Parlamente entzogen und auf die EU-Ebene verlagert. Die nationalen Parlamente müssen deshalb darauf bedacht sein, ihre Regierungen hinsichtlich der Anmeldung von Projekten zum Wiederaufbaufonds zu überwachen. Ansonsten kommt es zu einer nicht wünschenswerten Verlagerung in der demokratischen Machtbalance zu Ungunsten der nationalen Parlamente. Das kann zu neuen Spannungen in Europa führen.

Sind die finanzpolitischen Grundsätze und Regeln einer „schwarzen Null“ nicht mehr länger praktikabel?

Weder die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes noch die schwarze Null sind überholt. Gerade die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig eine solide Haushalts- und Finanzpolitik ist. Wir konnten in Deutschland nur so schnell und umfassend helfen, weil wir durch die Politik der schwarzen Null entsprechend Handlungsspielräume geschaffen hatten. Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und die Politik der schwarzen Null sind im Übrigen eine logische Folge des Euro-Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der ja nicht nur Obergrenzen der Staatsverschuldung festlegt, sondern die Mitgliedstaaten auch verpflichtet, in guten Zeiten Schulden abzubauen und Reserven für die Bewältigung künftiger Krisen zu bilden.

Können mithilfe des nun diskutierten Ausbaus des sogenannten Eigenmittelsystems der EU die jetzt an den Kapitalmärkten aufgenommenen Schulden zurückgezahlt werden? 

Schon grundsätzlich ist der jetzt vorgesehene Ausbau des Eigenmittelsystems der EU problematisch. Der EU wird eine Steuerhoheit zugebilligt, die eigentlich Ausdruck von Staatlichkeit ist. Die EU ist aber kein Staat. Die grundlegende Gefahr besteht in einem Aufbau von Staatlichkeit durch die Hintertür mit zu geringer demokratischer Legitimation. Es bestehen aus meiner Sicht zudem erhebliche Zweifel, dass die zusätzlichen Eigenmittelinstrumente für die Rückzahlung der Schulden ausreichen. Ich befürchte vielmehr, dass wir am Ende in einen schleichenden Prozess geraten, in dem der Kommission immer mehr neue eigene Steuern zugebilligt werden, um die Schulden zu bedienen, oder die nationalen Beiträge in der Zukunft ausufern. 

Welche Forderungen haben die Parlamentarier vor dem Hintergrund der ersten Erfahrungen mit der neuen Hilfs-Fazilität an die EU-Kommission und an die Regierungen der Mitgliedstaaten?

Da ist zum einen die Forderung nach einer strikten Kontrolle der Mittelverwendung nicht nur durch die Kommission, sondern auch durch die Parlamente. Zum anderen entwickelt sich um die Hilfs-Fazilität eine neuerliche Debatte um Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie um eine gemeinsame Schuldenhaftung. Hier wurden erneut die schon bekannten Konfliktlinien in der Gemeinschaft erkennbar. Plädoyers für Änderungen kamen vor allem aus dem Süden der EU, während etwa ein Parlamentarier aus Finnland solchen Vorstößen eine ziemlich deutliche Absage erteilte. Welche Verbesserungen beim Programm selbst erforderlich sein könnten, lässt sich derzeit noch nicht genau ermitteln. Derzeit läuft noch die Prüfung und Freigabe der letzten nationalen Umsetzungspläne. Die Umsetzung selbst steckt im Wesentlichen sozusagen noch in den Kinderschuhen. Man wird das alles sehr genau beobachten müssen. (ll/30.09.2021)

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