Parlamentarisches Kontrollgremium

Nachrichten­dienste sehen im Rechts­extremis­mus die größte Be­drohung

Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages hat am Mittwoch, 27. Oktober 2021, zum fünften Mal in seiner Geschichte die Spitzen der Nachrichtendienste des Bundes in einer öffentlichen Anhörung befragt. Bei der jährlichen Veranstaltung stellten sich die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Dr. Bruno Kahl, und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sowie die Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), Martina Rosenberg, den Fragen der Abgeordneten. Haldenwang und Rosenberg benannten während der Anhörung den Rechtsextremismus als Schwerpunkt ihrer Arbeit. BND-Präsident Kahl räumte Fehler bei der Einschätzung der Lage in Afghanistan ein.

Verfassungsschutz-Chef Haldenwang sagte zu Beginn seiner Ausführungen: „Die größte Bedrohung für die Sicherheit und die Demokratie in Deutschland geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus.“ 33.300 Personen würden dem Spektrum zugerechnet, so Haldenwang. Mehr als ein Drittel (13.300) davon sei gewaltorientiert. Allein im Jahr 2020 habe es 22.357 Straftaten gegeben, davon 1.023 Gewalttaten. Die Tendenz sei weiterhin steigend.

„Erschreckender Antisemitismus im Rechtsextremismus“ 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz erkenne in letzter Zeit zudem vermehrt Einzelgänger und Kleinstgruppen, die sich selbst radikalisiert hätten, so der Präsident. Besorgniserregend sei auch, dass in einigen rechtsextremistischen Netzwerken Angehörige von Sicherheitsbehörden oder auch der Streitkräfte anzutreffen seien. Gerade von solchen Personen gehe eine besondere Gefahr aus, da sie über sensible Informationen verfügten und Waffenträger seien.

Besonders erschreckend ist aus Sicht Haldenwangs „der allgegenwärtige Antisemitismus im Rechtsextremismus“. Allein 2020 habe es 2.163 rechtsextremistische Straftaten – davon 48 Gewalttaten – antisemitischer Art gegeben. „Es ist aus meiner Sicht unerträglich, dass sich jüdische Bürgerinnen und Bürger nicht angstfrei auf deutschen Straßen bewegen können“, sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Gefahren durch islamistischen Terrorismus und Linksextremismus

Eine permanente Bedrohung, so Haldenwang weiter, sei auch weiterhin durch den islamistischen Terrorismus gegeben. 28.715 Islamisten würden in Deutschland gezählt. 1.990 würden dem islamistisch-terroristischen Personenpotenzial zugerechnet. 378 Straftaten seien im Jahr 2020 zu beklagen gewesen. Es gebe weiterhin die Gefahr komplexer Anschläge, sagte der Verfassungsschutz-Chef. Die Erfolge der Taliban in Afghanistan würden der gesamten Szene Rückenwind geben.

Häufig unterschätzt wird seiner Auffassung nach die Bedrohung durch den Linksextremismus. Die Zahl der gewaltorientierten Personen unter den 34.300 Linksextremisten sei auf 9.600 angewachsen – auch hier sei die Tendenz steigend. 6.632 Straftaten seien 2020 zu verzeichnen gewesen – darunter 1.237 Gewalttaten. „Gerade in diesem Phänomenbereich sehen wir eine sehr hohe Gewaltorientierung“, sagte Haldenwang. Diese Szene nehme den Tod von Menschen billigend in Kauf.

„Null-Toleranz-Linie innerhalb der Bundeswehr“

Das bestimmende Thema für den MAD im letzten Jahr sei der Phänomenbereich Rechtsextremismus gewesen, sagte dessen Präsidentin Martina Rosenberg. Über 80 Prozent der zu bearbeitenden Fälle im Bereich Extremismus seien diesem Komplex zuzuordnen. Mit Verweis auf die Ausführungen von Verfassungsschutz-Chef Haldenwang sagte Rosenberg: „Auch die Bundeswehr bleibt von diesen gesellschaftlichen Einflüssen und Veränderungen nicht verschont.“

Gleichwohl sei innerhalb der gesamten Bundeswehr ein spürbarer Sensibilisierungseffekt im Umgang mit dem Thema Rechtsextremismus eingetreten, konstatierte sie. Einerseits sei dies auf die erhöhte mediale Präsenz des Themas zurückzuführen. Andererseits aber auch auf das konsequente und verzugslose Handeln entsprechend einer Null-Toleranz-Linie aller innerhalb der Bundeswehr am Verfahren beteiligter Stellen. „Das zeigt sich auch darin, dass deutlich über die Hälfte der Meldungen von Verdachtsfällen aus der Truppe oder den Dienststellen selbst stammen“, betonte Rosenberg.

Rechtsextremismusabwehr bleibt Schwerpunkt

Der Phänomenbereich Rechtsextremismus werde absehbar ein Schwerpunkt der Extremismusabwehr des MAD bleiben. Um die dafür benötigten Fähigkeiten zu verbessern, bedürfe es der Modernisierung und der Professionalisierung, sagte die seit November 2020 amtierende MAD-Präsidentin. Neueste Technik und ausreichend qualifiziertes Personal sei nötig.

Um den MAD zukunftsfähig und den Aufgaben angemessen aufzustellen, „habe ich im letzten Jahr das Maßnahmenpaket, das mein Amtsvorgänger bereits aufgesetzt hatte, weiterentwickelt und erste Teile bereits umgesetzt“, sagte Rosenberg. So habe der MAD in den Jahren 2020 und 2021 einen deutlichen Personalaufwuchs zu verzeichnen.

Kahl räumt Fehleinschätzung zu Afghanistan ein

Der BND, so dessen Präsident Kahl vor den Abgeordneten, habe für Bundesregierung und Bundeswehr über viele Jahre ein dichtes und zuverlässiges Lagebild zu Afghanistan erstellt, „das auch die Rettung von Menschenleben ermöglicht hat“. Eingestehen müsse man aber, nicht damit gerechnet zu haben, „dass die Taliban so schnell ganz Afghanistan, einschließlich Kabul, unter ihre Kontrolle bringen“, sagte Kahl. „Wie alle anderen Nachrichtendienste auch“ sei der BND davon ausgegangen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte länger durchhalten. „Aus diesem Fehler müssen und wollen wir lernen“, betonte er.

Künftig solle die Auswertung im BND einen noch stärkeren Fokus auf die Entwicklung und Prüfung von Hypothesen erhalten, um daraus fundierte strategische Analysen zu erstellen. „Die Ausbildung und Nutzung von Szenariotechniken sowie das kritische Hinterfragen eigener Annahmen sollen in der Auswertung künftig eine größere Rolle spielen“, sagte der BND-Präsident.

„Sehr ambitionierter Zeitplan“

Als eine weitere Herausforderung benannte Kahl die Umsetzung des BND-Gesetzes in die nachrichtendienstliche Praxis. Das neue BND-Gesetz tritt vollständig zum 1. Januar 2022 in Kraft. Bis zu diesem Zeitpunkt müsse der BND einige IT-Anpassungen vornehmen – etwa für Kennzeichnungs- und Löschprotokollierungspflichten, aber auch für die zu Kontrollzwecken erforderliche Dokumentation, sagte er. Dieser Zeitplan sei sehr ambitioniert.

Der BND arbeite mit höchster Priorität daran, die Vorgaben fristgerecht in die Praxis umzusetzen – was mit sehr großem Aufwand in technischer, finanzieller, personeller und auch organisatorischer Hinsicht verbunden sei. (hau/27.10.2021).

Liste der geladenen Präsidenten

  • Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV)
  • Dr. Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND)
  • Martina Rosenberg, Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD)

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