Parlament

Eine Geschäftsordnung für die Vermittler

Blick in einen langen, schmalen Sitzungssaal

Vor einer Sitzung des Vermittlungsausschusses (© pa/dpa)

Noch hat der Bundestag keine ständigen Ausschüsse eingesetzt. Dennoch hat er bereits in seiner konstituierenden Sitzung am 26. Oktober 2021 eine Geschäftsordnung für einen Ausschuss beschlossen (20/1), der in der neuen Wahlperiode vielleicht wird tagen müssen: den Vermittlungsausschuss. Der Vermittlungsausschuss ist kein ständiger Ausschuss des Bundestages, sondern ein gemeinsamer ständiger Ausschuss von Bundestag und Bundesrat, von Parlament und Länderkammer also.

Vermittlung zwischen Bundestag und Bundesrat

Was der Vermittlungsausschuss zu tun hat, beschreibt das Grundgesetz im zweiten Absatz seines Artikels 77. Danach ist er ein „aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildeter Ausschuss“. Um tätig werden zu können, muss der Vermittlungsausschuss „einberufen“ werden. Diese Einberufung verlangen können der Bundesrat (Artikel 77 Absatz 2 Satz 1) und bei Gesetzen, denen der Bundesrat zustimmen muss, auch Bundestag und Bundesregierung (Artikel 77 Absatz 2 Satz 4), indem sie den Vermittlungsausschuss „anrufen“.

Wie der Name schon sagt, muss der Ausschuss, wenn er einberufen wurde, „vermitteln“, und zwar zwischen den unterschiedlichen Standpunkten von Bundesrat auf der einen, Bundestag und Bundesregierung auf der anderen Seite im Hinblick auf ein Gesetzgebungsvorhaben. Es beginnt die Suche nach Kompromissen, um das Gesetz „zu retten“.

Bund-Länder-Konflikte

Konflikte, die im Vermittlungsausschuss beigelegt werden sollen, sind überwiegend Bund-Länder-Konflikte. In sehr vielen Fällen geht es um die Frage, welche Ebene, Bund oder Länder, die – auch anteilige – Finanzierung bestimmter Aufgaben zu übernehmen hat, die im jeweiligen Gesetzentwurf geregelt werden.

Solche Konflikte treten auch dann auf, wenn die parteipolitischen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat übereinstimmen, also etwa unionsgeführte Landesregierungen die Mehrheit im Bundesrat auf sich vereinigen und zugleich eine unionsgeführte Bundesregierung die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hinter sich weiß. Ein solcher Gleichklang gilt auch bei entsprechenden sozialdemokratischen Mehrheiten.

A-Länder und B-Länder

Dies würde nahelegen, dass es zu Zeiten der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD überhaupt keine Vermittlungsverfahren gab, weil alle Länder mit Ausnahme Baden-Württembergs und Thüringens entweder unions- oder SPD-geführte Landesregierungen haben (im Fachjargon werden die SPD-geführten Landesregierungen auch A-Länder, die unionsgeführten Landesregierungen B-Länder genannt).

Dem ist aber nicht so. Die gerade zu Ende gegangene Regierungszeit der vierten Großen Koalition von 2017 bis 2021 verzeichnete sieben Vermittlungsverfahren: zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 104c, 104d, 125c, 143e), zum Zensusgesetz 2021, zum Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht, zum Geologiedatengesetz, zum Adoptionshilfe-Gesetz, zum Gesetz zur Anpassung der Regelungen über die Bestandsdatenauskunft an die Vorgaben aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und zum Ganztagsförderungsgesetz. Zu den drei erstgenannten sowie zum letztgenannten Gesetz hatte der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen, in den übrigen drei Fällen die Bundesregierung.

Während der vorangegangenen dritten Großen Koalition von 2013 bis 2017 wurde der Vermittlungsausschuss immerhin dreimal angerufen, zweimal vom Bundesrat und einmal von der Bundesregierung. Zu Zeiten der zweiten Großen Koalition von 2005 bis 2009 registrierte die Statistik 18 Anrufungen des Vermittlungsausschusses, davon in 17 Fällen durch den Bundesrat und in einem Fall durch die Bundesregierung.

945 Anrufungen seit 1949

Die Statistik ist eindeutig: Seit 1949 ist der Vermittlungsausschuss in 88 Prozent aller Fälle vom Bundesrat angerufen worden, in zehn Prozent der Fälle von der Bundesregierung und nur in zwei Prozent vom Bundestag. In der vergangenen Wahlperiode tagte der Vermittlungsausschuss sieben Mal, um sich mit ebenso vielen Gesetzgebungsvorhaben zu befassen.

Seit 1949 ist der Vermittlungsausschuss 945 Mal zu insgesamt 841 Gesetzentwürfen angerufen worden. In 798 Fällen hat das Gremium erfolgreich vermittelt, die Gesetze konnten anschließend verkündet werden. In 108 Fällen scheiterten die Vermittlungsbemühungen jedoch, allein neun Mal zwischen 2009 und 2013. Erinnert sei nur an das vieldiskutierte deutsch-schweizerische Steuerabkommen.

32 Mitglieder

Im Vermittlungsausschuss mit seinen 32 Mitgliedern hat jedes der 16 Bundesländer einen Sitz, während die dem Bundestag zufallenden 16 Sitze im Stärkeverhältnis der Fraktionen verteilt werden. 

Für jedes Mitglied wird ein persönlicher Stellvertreter bestellt, der an den Sitzungen aber nur im Vertretungsfall teilnehmen darf, um den Kreis der Sitzungsteilnehmer klein zu halten. Jede Fraktion und die einzelnen Länder können ihre Vertreter höchstens viermal im Laufe einer Wahlperiode des Bundestages auswechseln.

Zwei Vorsitzende

Gewählt werden zwei Vorsitzende, ein Vertreter des Bundestages und ein Vertreter des Bundesrates. Sie vertreten sich gegenseitig und wechseln sich im Vorsitz vierteljährlich ab. Mitglieder der Bundesregierung dürfen an den Sitzungen teilnehmen, ja müssen dies sogar, wenn es der Ausschuss beschließt.

Beschlussfähig ist der Vermittlungsausschuss, wenn mindestens zwölf Mitglieder anwesend sind und die Tagesordnung mindestens fünf Tage vorher an die Mitglieder verschickt wurde. Ein Einigungsvorschlag zu einem strittigen Gesetzgebungsvorhaben kann nur beschlossen werden, wenn mindestens sieben Abgeordnete und sieben Ländervertreter anwesend sind. Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst.

An Weisungen nicht gebunden

Nicht nur die Abgeordneten (Artikel 38 Absatz 1 Satz 2), sondern auch die vom Bundesrat entsandten Mitglieder des Ausschusses sind an Weisungen nicht gebunden (Artikel 77 Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes).

Organisatorisch ist der Vermittlungsausschuss nicht beim Bundestag, sondern beim Bundesrat angesiedelt, tagt also auch regelmäßig dort. Sein Sekretariat ist Teil der Bundesratsverwaltung.

Einigungsvorschlag als „Beschlussempfehlung“

Beschließt der Vermittlungsausschuss, ein vom Bundestag bereits verabschiedetes Gesetz zu ändern oder gar aufzuheben, so muss der Bundestag „alsbald“ über diesen Einigungsvorschlag befinden. Häufig geschieht dies noch in der gleichen Woche, wenn die Einigung im Vermittlungsausschuss in einer Sitzungswoche des Bundestages zustande kommt. Ein Ausschussmitglied steht Bundestag und Bundesrat als Berichterstatter zur Verfügung.

Der Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses heißt im Parlamentsdeutsch „Beschlussempfehlung“, und als solche wird er dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt. Eine Aussprache findet dabei im Bundestag nicht mehr statt (Paragraf 10 Absatz 2 der Geschäftsordnung). Zwar dürfen vor der Abstimmung Erklärungen abgegeben werden, ein Antrag zur Sache ist aber nicht zulässig. Nicht selten sieht der Einigungsvorschlag mehrere Änderungen eines Gesetzesbeschlusses vor. In diesen Fällen muss der Vermittlungsausschuss festlegen, ob und inwieweit der Bundestag über alle Änderungen gemeinsam abstimmen muss.

Einzelabstimmung bei Grundgesetzänderungen

Eine besondere Regelung gilt, wenn der Einigungsvorschlag Änderungen des Grundgesetzes vorsieht. Dann muss über jede Abweichung zwischen dem Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses und dem ursprünglichen Gesetzesbeschluss des Bundestages einzeln abgestimmt werden. Zusätzlich zu den Einzelabstimmungen ist eine Schlussabstimmung über den Einigungsvorschlag im Ganzen erforderlich.

Hat der Bundestag dem Einigungsvorschlag zugestimmt und eine geänderte Fassung des Gesetzes beschlossen, so muss im Anschluss auch der Bundesrat diese geänderte Fassung beraten. Ist seine Zustimmung erforderlich, braucht das Gesetz auch im Bundesrat eine Mehrheit, um verkündet werden zu können.

Abschluss des Vermittlungsverfahrens

Der Bundestag muss über das von ihm bereits beschlossene Gesetz nicht erneut abstimmen, wenn der Vermittlungsausschuss dieses bestätigt, also keine Änderungen vornehmen will. Bundestag und Bundesrat müssen in diesen Fällen „unverzüglich“ benachrichtigt werden. Ist zum Gesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, muss dieser darüber abstimmen, ob er dem unveränderten Gesetz zustimmen will oder nicht.

Hat sich der Vermittlungsausschuss auch in seiner zweiten Sitzung zu einem strittigen Gesetzentwurf nicht einigen können, so kann jedes Ausschussmitglied den Abschluss des Vermittlungsverfahrens beantragen. Das Verfahren gilt dann als abgeschlossen, wenn sich in der dritten Sitzung keine Mehrheit für einen Einigungsvorschlag findet.

Bundestag und Bundesrat müssen auch in diesen Fällen des erfolglosen Vermittlungsverfahrens Bundestag und Bundesrat sofort darüber informieren. Der Bundesrat muss, wenn seine Zustimmung verlangt wird, beschließen, ob er das Scheitern des Gesetzes in Kauf nimmt oder sich der vom Bundestag zuvor gebilligten Fassung anschließt. (vom/01.11.2021)

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