Parlament

Abschließende Beratungen ohne Aussprache

Ohne vorherige abschließende Beratung hat der Bundestag am Donnerstag, 27. Januar 2022, über eine Reihe von Vorlagen abgestimmt:

Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht: Einstimmig angenommen wurde eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (20/526), die eine Übersicht „über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht“ enthält. Dabei handelt es sich um ein Organstreitverfahren, eine Kommunalverfassungsbeschwerde, eine abstrakte und eine konkrete Normenkontrolle, einen Bund-Länder-Streit, vier Verfassungsbeschwerden, drei Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse und vier Wahlprüfungsbeschwerden.

Verfassungsbeschwerde gegen das Pandemie-Notfall-Ankaufprogramm der EZB: Bei Enthaltung der AfD-Fraktion stimmte der Bundestag einer weiteren Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses „über die Abgabe einer Stellungnahme und die Bestellung einer/eines Prozessbevollmächtigten zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvR 420 / 21 sowie über den Beitritt zu diesem Verfahren gemäß § 94 Absatz 5 Bundesverfassungsgerichtsgesetz“ (20/519) zu. Hintergrund des Verfahrens ist eine Verfassungsbeschwerde gegen das Pandemie-Notfall-Ankaufprogramm der Europäischen Zentralbank (Pandemic Emergency Purchase Programme  PEPP) und die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank vom 7. und 22. April 2021 zur Absenkung der Kollateralanforderungen. Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung der Integrationsverantwortung von Bundesregierung und Bundestag gelten, indem sie nicht auf die zuständigen Organe der Europäischen Union eingewirkt hätten, um die schädlichen Wirkungen der Ultra-vires-Akte zu begrenzen.

Streitverfahren zur Nichtbesetzung von Ausschussvorsitzen: Ebenfalls bei Enthaltung der AfD-Fraktion angenommen wurde die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses „über die Abgabe einer Stellungnahme und die Bestellung einer/eines Prozessbevollmächtigten zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 10 / 21“ (20/518). Hintergrund des Verfahrens ist eine Organklage von Mitgliedern der AfD-Bundestagsfraktion gegen die Nichteinsetzung von AfD-Abgeordneten als Ausschussvorsitzende.

Streitverfahren zu Corona-Regelungen im Bundestag: Enthalten hat sich die AfD-Fraktion auch bei der Abstimmung über die vierte Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (20/525) über die Abgabe einer Stellungnahme und die Bestellung einer/eines Prozessbevollmächtigten zu einem weiteren Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Aktenzeichen: 2 BvE 1 / 22). Alle übrigen Fraktionen stimmten ihr zu. Die AfD-Fraktion im Bundestag hatte am 18. Januar 2022 beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen die von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas erlassenen Regelungen zum Betreten des Plenarsaales des Bundestages und der Teilnahme an den Ausschusssitzungen eingereicht und einstweilige Anordnung beantragt.

Beschlüsse zu Petitionen: Das Parlament hat über zehn Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses zu Petitionen zugestimmt, die beim Bundestag eingegangen und vom Petitionsausschuss beraten worden sind. Es handelt sich um die Sammelübersichten 15 bis 24 (20/415, 20/416, 20/417, 20/418, 20/419, 20/420, 20/421, 20/422, 20/423, 20/424).

Petition zur Berechnung des Krankengeldes

Darunter befindet sich eine Petition mit der Forderung, Arbeitnehmer, die mehr als die im schriftlichen Arbeitsvertrag angegebenen Stunden pro Woche arbeiten, dementsprechend zu versichern und im Krankheitsfall zu bezahlen. Zur Begründung der Eingabe heißt es, zwar sähen Arbeitsverträge vielfach eine 35-Stunden-Woche vor. Tatsächlich würden aber 50 Stunden oder mehr pro Woche gearbeitet. Diese Überstunden würden nicht vergütet, so dass dem Arbeitnehmer im Krankheitsfall erhebliche Nachteile entstünden. 

Die durch den Petitionsausschuss in seiner Sitzung am 12. Januar 2022 verabschiedete Beschlussempfehlung sieht nun vor, die Petition dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Material zu überweisen, „soweit es um die konsequente Überwachung der Einhaltung von Arbeitszeitregelungen geht“, und das Petitionsverfahren „im Übrigen abzuschließen“. Den Verfahrensgrundsätzen des Petitionsausschusses zu Folge bedeutet dies, dass die Bundesregierung die Petition unter Beachtung der erwähnten Einschränkung „in die Vorbereitung von Gesetzentwürfen, Verordnungen oder anderen Initiativen oder Untersuchungen einbeziehen soll“. 

Anspruch auf 100 Prozent Entgeltfortzahlung 

Wie der Ausschuss in der Begründung zu seiner Beschlussempfehlung schreibt, hat jeder Arbeitnehmer, der infolge Krankheit arbeitsunfähig ist, nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Höchstdauer von sechs Wochen. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung sei ein „aufrechterhaltener Vergütungsanspruch“, heißt es weiter. Die Höhe der Entgeltfortzahlung beträgt also 100 Prozent des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts. Auszugehen sei dabei von der regelmäßigen Arbeitszeit des Arbeitnehmers laut Arbeitsvertrag.

„Weicht die tatsächliche Arbeitszeit von der vertraglichen Arbeitszeit ab, kommt es darauf an, ob es sich um eine nicht berücksichtigungsfähige Schwankung handelt oder ob durch eine tatsächliche Veränderung der Tätigkeit eine Änderung der regelmäßigen Arbeitszeit gegenüber dem Vertragstext vorgenommen worden ist“, schreibt der Petitionsausschuss. 

Maßgeblich ist „gelebtes Arbeitsverhältnis“

Maßgeblich sei letztlich „das gelebte Arbeitsverhältnis, nicht der Vertragstext“, wobei es auf die Wirksamkeit der für die individuelle Arbeitszeit maßgeblichen Rechtsgrundlage nicht ankomme. So könne auch eine unter Verletzung des Arbeitszeitrechts zustande gekommene konkludente Erhöhung der täglichen Arbeitspflicht für die Entgeltfortzahlung von Bedeutung sein. Insoweit werde dem Anliegen der Petentin bereits in Teilen durch die geltende Rechtslage entsprochen, urteilen die Parlamentarier. 

Gleichwohl sei der Petitionsausschuss der Auffassung, „dass die Einhaltung von Arbeitszeitregelungen konsequent überwacht werden sollte“. Die Petition sei insoweit geeignet, auf diese Problematik besonders aufmerksam zu machen und in die diesbezüglichen Überlegungen und Diskussionen einbezogen zu werden, heißt es in der Beschlussempfehlung. (hau/eis/ste/27.01.2022)

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