Parlament

Frank Schwabe: Rote Linien für Russland

Frank Schwabe spricht in einer Ausschusssitzung im Europarat in ein Mikrofon.

Frank Schwabe ist neuer Leiter der Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates. (Frank Schwabe/Frank Schwabe)

Russland verstoße momentan „so ziemlich gegen alles, was dem Europarat wichtig ist“, sagt Frank Schwabe im Interview. Der SPD-Abgeordnete ist neuer Leiter der Delegation der Bundestagsabgeordneten zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV), die vom 24. Januar bis 28. Januar 2022 in Straßburg sowie virtuell ihre erste Sitzungswoche des Jahres hatte. „Die Werte und Regeln der Organisation konsequent einzufordern, aber auch immer wieder Brücken zu bauen“, betrachte die neue Delegation als ihre wichtigste Aufgabe, so Schwabe. Ob in der Ukraine-Krise oder im Fall Nawalny: Russland tänzele gerade auf einer roten Linie, „mit klarer Schlagseite zum Runterfallen. Der Europarat darf sich die Nichtumsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht bieten lassen“, gibt sich der SPD-Abgeordnete kämpferisch. „Wer hier nicht kooperiert, stellt sich selbst den Stuhl vor die Tür.“ Das Interview im Wortlaut: 

Herr Schwabe, mit Beginn der 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages haben Sie neue Funktionen übernommen: Sie wurden zum Leiter der deutschen Delegation zur Europarat PV gewählt, außerdem zum Beauftragten der Bundesregierung für weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit benannt und sind zugleich Vorsitzender der größten Fraktion in der Europarat PV, der SOC-Fraktion. Wo setzen Sie Ihre Prioritäten?

Die Welt und auch Europa sind leider voller Menschenrechtsverletzungen. Zwischen den verschiedenen Aufgaben gibt es aber eine Menge Synergien. Das Thema der Religionsfreiheit ist eng verwoben mit anderen Menschenrechten. Heißt also, dass da, wo es keine Religionsfreiheit gibt, beispielsweise auch die Meinungsfreiheit oder die Demonstrationsfreiheit eingeschränkt ist. In der deutschen Delegation teilen wir uns die Arbeit auf. So übernimmt zum Beispiel Armin Laschet (CDU/CSU) die Funktion des Vizepräsidenten der Parlamentarischen Versammlung, die normalerweise durch den Delegationsleiter besetzt würde.

Was für Ziele haben Sie sich persönlich in der neuen Wahlperiode für Ihre Arbeit in der Europarat PV gesetzt?

Ich will, dass der Europarat seine Arbeit macht, sich frei von Korruption effektiv für die Werte des Europarats stark macht: Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie. Wir sind nicht außen- und europapolitisch für alles zuständig. Bei Konflikten zwischen Ländern sollten wir uns beispielsweise zurückhalten, sonst übernehmen wir uns. Bei den Kernaufgaben müssen wir aber knallhart sein. Alle müssen die Werte verinnerlichen, sonst gibt es Ärger. Ich selbst bereite gerade zwei sogenannte Beschlüsse vor. Einen zu einem Antikorruptionsmechanismus, den anderen zur Menschenrechtslage im Nordkaukasus. Wenn man sich bewusst macht, dass Tschetschenien da dazugehört, weiß man, wie herausfordernd das ist.

Hat die deutsche Delegation eine gemeinsame Agenda?

Ich kann und will da nicht für alle sprechen. Aber es geht sicher darum, als eine der größten Delegationen besonders zwei Dinge zu tun: die Werte und Regeln konsequent einzufordern, aber auch immer wieder Brücken zu bauen. Deshalb gibt es regelmäßige Kontakte zum Beispiel mit der französischen und auch der ukrainischen Delegation. Und wir wollen auch mit der Bundesregierung im Austausch sein und da wo möglich gemeinsame Herangehensweisen entwickeln und dann auch gemeinsam agieren. Ich gehe davon aus, dass wir mittlerweile eine klare Linie haben und allen Ansätzen von Korruption und dem Paktieren mit autoritären Regimen die rote Karte zeigen. Das hört sich selbstverständlich an, war es aber leider in der Vergangenheit nicht.

Die neue deutsche Delegation aus 18 ordentlichen Mitgliedern und ebenso vielen Stellvertreterinnen und Stellvertretern umfasst zwei Drittel neue Gesichter. Dass die alle in ihrer ersten Sitzungswoche wegen der Corona-Lage nicht physisch am Sitzungsgeschehen teilnehmen können erschwert sicher deren Entree. Wie können sich die neuen parlamentarischen Außenpolitikerinnen und Außenpolitiker dennoch in ihre Aufgabe einarbeiten?

Die Parlamentarische Versammlung hat ja das hybride Tagungsformat perfektioniert. Aber es ist natürlich unglaublich schwer reinzukommen. Mein Hinweis an alle: Man muss sich von Anfang an voll einbringen und an so vielen Sitzungen wie möglich teilnehmen. Sonst kommt man nicht rein. Wir haben ein hervorragendes Delegationssekretariat des Bundestages, das sehr erfahren ist und mit Rat und Tat zur Seite steht. Und ich bin mit meinem Team auch immer ansprechbar. Aber natürlich bietet der Europarat auch Informationsveranstaltungen an.

Zu Beginn des Kalenderjahres müssen sämtliche Delegationen neu akkreditiert werden. Bei dem Antrag Russlands verlief es nicht so reibungslos. Was für Vorwürfe wurden gegen die russische Delegation erhoben und wie wichtig ist es dennoch, die russische Delegation dabei zu haben?

Da ist natürlich zunächst die allgemeine politische Lage. Die Russische Föderation hat Teile anderer Länder besetzt oder unterstützt russlandnahe Separatisten. Zusätzlich fahren sie momentan mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine auf. Darüber hinaus verstößt Russland so ziemlich gegen alles, was dem Europarat wichtig ist. Alexej Nawalny bleibt in Haft obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Freilassung angeordnet hat, Russland kooperiert nicht voll mit den Monitoringsystemen, Nichtregierungsorganisationen werden unterdrückt, von freien und fairen Wahlen kann man nicht sprechen. Es gibt für Russland rote Linien – und Russland tänzelt darauf. Mit klarer Schlagseite zum Runterfallen. Aber natürlich geht es ja nicht um Putin oder sonst jemanden in der Regierung. Es geht um mehr als 140 Millionen Russinnen und Russen, für die der Europarat und insbesondere der Gerichtshof oft die letzte Hoffnung in einer nationalen Unrechtslage ist.

Die Versammlung hat turnusmäßig einen neuen Präsidenten gewählt, den Niederländer Tiny Kox (Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken, UEL). Kurzfristig war von der ukrainischen Delegation eine Gegenkandidatin aufgestellt worden. Wie hat sich die Versammlung zu diesem Vorgang positioniert und wie bewerten Sie den Vorgang?

Es gab am Ende wie erwartet eine solide Mehrheit für Tiny Kox (UEL). Er steht im europäischen politischen Koordinatensystem für manchen sicher sehr weit links. Er ist aber sehr erfahren und wird ein guter Präsident sein. Er wurde vor allem für eine zu russlandnahe Position kritisiert und für eine klare Haltung in der Frage der Rechtsstaatlichkeit gegenüber Staaten mit autoritären Tendenzen wie die Türkei, Ungarn oder Polen oder der Menschenrechte von Geflüchteten. Bei Russland bin ich mir sehr sicher, dass Tiny Kox in Fragen der Werte des Europarates auch gegenüber Russland sehr klar ist. Was die Kritik an seiner sehr klaren Haltung zu Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten angeht: Gut, dass er so ist wie er ist.

Auf der Tagesordnung der ersten Sitzungswoche stand erneut die Pandemiebekämpfung. Wie wird im Europarat das Instrument einer Impfpflicht gesehen?

Wir hatten vor einem Jahr einen Beschluss gefasst, der auf die Freiwilligkeit des Impfens gesetzt hat. Deshalb wurde der Beschluss oft von Impfgegnerinnen und Impfgegnern bemüht. Das war aber damals eine komplett andere Situation. Heute wissen wir, dass eine Impfpflicht – jedenfalls in einigen Ländern – der einzige Weg sein könnte raus aus der Pandemie. Deshalb lässt der neue Beschluss diese Option in einer menschenrechtlichen Abwägung offen. Große Einigkeit bestand hinsichtlich der Kritik an der internationalen Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Impfmittel.

Die Europarat-Parlamentarier haben de facto auch den Truppenaufmarsch Russlands rund um die Ukraine auf die Tagesordnung gehoben, indem sie eine Debatte zu den Sicherheitsherausforderungen in Europa angesetzt haben. Was wurde dort besprochen und was kann der Europarat, anders als beispielsweise die Nato oder die OSZE, zu einer Deeskalation in dem Konflikt beitragen?

Der Europarat ist natürlich wie alle anderen internationalen Institutionen besorgt. Mitgliedsstaaten sind grundsätzlich aufgerufen friedlich miteinander umzugehen. Aber im Gegensatz zur OSZE haben wir keine Mittel zur Schlichtung oder Kontrolle von Konflikten. Das macht die OSZE und das ist auch die richtige Aufgabenteilung. Der Europarat hat andere Themen der Einhaltung von Werten und Regeln innerhalb der Mitgliedsstaaten. Aber natürlich sind wir auch eine Plattform, auf der sich Politikerinnen und Politiker begegnen und austauschen. Leider ist das jedoch angesichts der aktuellen Konfliktlage, aber auch vor dem Hintergrund von Corona-Kontaktbeschränkungen, nicht einfach.

Nicht zuletzt im Fall des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, aber auch in mehreren türkischen Fällen, wie dem des Menschenrechtlers Osman Kavala, der seit fast fünf Jahren in Untersuchungshaft sitzt, haben Mitgliedsländer des Europarates die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verweigert. Wie schwer wiegt es, wenn Mitglieder Entscheidungen des Gerichtshofs ignorieren?

Das wiegt zentnerschwer. Und es geht nicht. Es zerstört alles, wofür die Organisation seit über 70 Jahren steht. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind eine ganz beeindruckende zivilisatorische Leistung. Die 47 Mitgliedsstaaten verpflichten sich freiwillig, diese Urteile über die nationale Souveränität hinweg für 820 Millionen Menschen umzusetzen. Das ist im Grunde beeindruckend. Deshalb darf das nicht kaputt gemacht werden. Die Umsetzung von Urteilen lässt gelegentlich zu Wünschen übrig. Manchmal werden sie nicht ausreichend in nationales Recht umgesetzt. Manchmal handeln die nationalen Strafverfolgungsbehörden schlicht nicht ausreichend. Bei einem Urteil auf Freilassung, von Nawalny, Osman Kavala oder Selahattin Demirtaş gibt es aber nur ein klares Ja oder Nein. Drin oder draußen. Der Europarat darf sich die Nichtumsetzung der Urteile nicht bieten lassen und macht das auch nicht. Wer hier nicht kooperiert, stellt sich selbst den Stuhl vor die Tür.

(ll/31.01.2022)

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