Parlament

Schwabe: Europarat ist offen für demo­kra­tisches Russland ohne Putin

Frank Schwabe sitzt hinter einem Mikrofon in einem Saal und spricht

Frank Schwabe (SPD), Leiter der Delegation der Bundestagsabgeordneten zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV) (DBT/Melde)

Nie zuvor wurde ein Mitgliedsland aus dem Europarat ausgeschlossen. Am Mittwoch, 16. März 2022, aber setzte das Ministerkomitee mit Russland dem größten Mitglied der Organisation den Stuhl vor die Tür. In einer historischen Sondersitzung hatte zuvor am Dienstag, 15. März 2022, die Parlamentarische Versammlung des Europarates (Europarat PV) in einer Entschließung einstimmig den schnellstmöglichen Ausschluss des Landes empfohlen. „Der Europarat ist die europäische Organisation für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat. Putins Russland tritt all das mit Füssen“, erläutert Frank Schwabe (SPD), Leiter der Delegation der Bundestagsabgeordneten zur Europarat PV, den Schritt im Interview. „Mit dem brutalen Angriffskrieg hat Russland jedes Recht verwirkt Teil einer europäischen Gemeinschaft der Menschenrechte zu bleiben.“

Das Interview im Wortlaut:

Herr Schwabe, Russland wurde nun aus der Organisation des Europarat formal ausgeschlossen. Was für ein Zeichen wollten die Parlamentarier mit ihrer einstimmigen Entschließung am Dienstag setzen?

Der Europarat ist die europäische Organisation für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat. Putins Russland tritt all das mit Füssen. Mit dem brutalen Angriffskrieg hat Russland jedes Recht verwirkt Teil einer europäischen Gemeinschaft der Menschenrechte zu bleiben.

Haben Sie keine Sanktionsmöglichkeit gesehen, welche stärker die russische Staatsführung und Präsident Putin in den Blick nimmt, statt das ganze Land auszuschließen?

Leider nein. Russland wäre sowieso kurz vor dem Start eines Ausschlussverfahrens gewesen. Russland setzt Urteile des Europäischen Gerichtshofs wie im Fall Navalny nicht um und schikanierte parlamentarische Berichterstatterinnen und Berichterstatter bei ihrer Monitoring-Aufgabe. Ich bin mir sicher, dass auch die Mehrheit der russischen Menschenrechtsaktivisten diesen Schritt des Ausschlusses für unumgänglich hält. Der Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention war leider nur noch theoretisch.

Sie haben in der Vergangenheit immer wieder versucht, Russland eine Brücke zu bauen. Ab wann kamen Ihnen immer größere Zweifel, dass das weiterhin gelingen könnte?

Leider hatte ich die Zweifel von Anfang an. Und wirklich nur sehr wenig Hoffnung. Wir hatten aber keine einheitliche Haltung in der Parlamentarischen Versammlung und vor allem keine gemeinsame Haltung der 46 Regierungen des Europarats. Wir mussten einen gemeinsamen Weg finden. Der war, dass wir Russland noch eine Chance geben, im Gegenzug aber die Voraussetzung geschaffen haben in Zukunft gemeinsam agieren zu können. Das haben wir jetzt in großer Geschlossenheit getan. Schlimm, dass es dazu kommen musste.

Als kontinentale Organisation scheint der Europarat nun geschwächt, weil ein großes Mitglied fehlt, oder nicht? Was macht es mit dem Selbstverständnis der Organisation, 140 Millionen Menschen, Europäerinnen und Europäer, zu verabschieden?

Natürlich ist das bitter. Vor allem, weil wir diese Russinnen und Russen eben nicht mehr unter den Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention stellen können. Aber wie schon gesagt. Der Schutz war nur noch theoretisch. Der Europarat ist immer offen für ein demokratisches Russland ohne Putin. Gestärkt wird der Europarat dann, wenn er sich klar an den eigenen Werten orientiert. Manche Wege in manchen Ländern, diese Werte durchzusetzen, sind steinig. Aber es muss der Wille da sein sich in die richtige Richtung zu bewegen. Sonst kann man in dieser stolzen Menschenrechtsorganisation nicht dabei sein.

Wie funktioniert der Europarat ohne Russland?

Der funktioniert wie zuvor. Wir lassen uns von Russland nicht die Organisation ruinieren. Übrigens auch nicht finanziell. Wir werden jetzt schnell dafür sorgen, dass die russischen Beiträge von 34 Millionen Euro  kompensiert werden. Deutschland nimmt, wie bei der Frage des sehr schnellen und konsequenten Ausschlusses, auch hier eine führende Stellung ein. Wir müssen jetzt ein bisschen umbauen, zum Beispiel die russischen Berichterstatter ersetzen. Wir beobachten und bewerten die Lage auch jetzt schon in Staaten, die nicht Mitglied des Europarats sind. Das machen wir bisher auch schon in Belarus und im Kosovo. Jetzt kommt Russland dort dazu. Apropos Kosovo. Ich finde, wir sollten das Land schnell in den Europarat aufnehmen. Das wäre jetzt ein starkes Signal.

Wie will der Europarat nun die Menschen in Russland weiter unterstützen?

Wir werden den Kontakt zur Zivilgesellschaft in Russland auf allen Ebenen intensivieren. Unter anderem durch den Schutz derjenigen, die ins Ausland flüchten. Sie müssen ihre Stimme weiter erheben können. Und wir werden die Lage in Russland weiter intensiv begleiten. Ich bin Berichterstatter für die Lage der Menschenrechte in Tschetschenien und in anderen Teilen des Nordkaukasus. Darüber bin ich seit Jahren in Kontakt mit der Menschenrechtsorganisation Memorial, mit Human Rights Watch und regionalen Menschenrechtlern und ich werde alles versuchen den Kontakt nicht abreißen zu lassen.

Was kann der Europarat für die Ukraine tun?

Wir werden uns erneut im April umfassend damit befassen. Der Europarat kann dabei nur das Licht auf Themen werfen. Wir sind  keine Organisation, die zum Beispiel humanitäre Hilfe betreibt. Aber wir fordern sie ein. Wir fordern umfassende Hilfe für Geflüchtete, dabei den besonderen Schutz besonders verletzlicher Gruppen wie Frauen und Kinder und von „People of Color“. Wir wollen, dass Kriegsverbrechen umfassend dokumentiert und geahndet werden.

Wie geht es der Delegation der Ukrainerinnen, die nach Straßburg - und nun wieder zurück in ihre umkämpfte Heimat gereist ist?

Das ist natürlich dramatisch. Absolut unwirklich. Sie sind schon jetzt traumatisiert, auch wenn es ihnen körperlich gut ging. Ihr Blick war leer. Aber sie sind entschlossen für ihr Land und die Werte von Freiheit und Demokratie einzustehen. Dabei riskieren sie ihr eigenes Leben. Wir müssen alles tun, damit sie als frei gewählte Abgeordnete der Ukraine weiter arbeiten können und bereiten uns auf alle Varianten vor. 

(ll/17.03.2022)

Marginalspalte