Parlament

Ohne gültigen Etat – Wie der Bund 2022 vorläufig haushaltet

Stuhl des Bundestagspräsidenten mit einem Glas Wasser und der Glocke im Fokus. Im Hintergrund sind die Abgeordnetensitze zu sehen.

Der Deutsche Bundestag berät mit dem Haushaltsgesetz 2022 den Etat des Bundes. (DBT / Stella von Saldern)

Wenn Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Dienstag, 22. März 2022, den Entwurf für das Haushaltsgesetz 2022 in den Bundestag einbringt, ist ein knappes Viertel des Haushaltsjahres bereits vorbei. Hat der Bund in den ersten Wochen dieses Jahres ohne eine gesetzliche Grundlage gewirtschaftet? Nein, denn das Grundgesetz hat Vorsorge getroffen. Im Artikel 111 wird die Bundesregierung ermächtigt, die notwendigen Ausgaben zu leisten, wenn der Gesamthaushalt des Bundes ausnahmsweise nicht rechtzeitig verabschiedet werden kann.

Etatentwurf der Großen Koalition als Grundlage

Tatsächlich hatte die alte Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) dem Bundestag am 6. August 2021 den Entwurf eines Haushaltsgesetzes 2022 (19/31500) zugeleitet. Dieser Etatentwurf ist im Parlament aber nie beraten worden. Wegen der bevorstehenden Bundestagswahl am 26. September 2021 wurde auf die sonst übliche erste Lesung des Haushalts in der ersten Sitzungswoche im September verzichtet.

Das ist gängige Praxis in Bundestagswahljahren, denn die neu gewählte Bundesregierung muss in jedem Fall das Haushaltsgesetz neu einbringen. Der Entwurf aus der zu Ende gehenden 19. Wahlperiode ist der „Diskontinuität anheimgefallen“, wie es im Parlamentsjargon heißt. Dies besagt, dass Gesetzesvorhaben, die innerhalb einer Legislaturperiode nicht verabschiedet worden sind, nach Ablauf dieser Periode automatisch verfallen. Eine Wirkung entfaltet dieser Regierungsentwurf aber dennoch: Seine Ansätze und Haushaltsstrukturen bilden die Grundlage und die Obergrenze für die „vorläufige Haushaltsführung 2022“.

Je zwei Nachtragshaushalte 2020 und 2021

Wann die neue Regierung nach einer Bundestagswahl einen eigenen Haushaltsentwurf vorlegt, hängt vor allem mit der Dauer der Regierungsbildung zusammen. Vor vier Jahren, als die Bildung der Großen Koalition sehr schleppend verlief, fand die erste Lesung des Haushaltsgesetzes 2018 am 15. Mai 2018 statt. Verabschiedet wurde der Etat erst am 5. Juli 2018, als das Haushaltsjahr bereits zur Hälfte vorbei war. Wiederum vier Jahre zuvor hatte sich der Bundestag erstmals am 8. April 2014 mit dem Haushalt desselben Jahres beschäftigt, verabschiedet wurde er am 27. Juni 2014. 

Im Kalenderjahr 2021 hat der Bundestag keinen Gesamthaushalt verabschiedet, weder den für 2021 noch den für 2022. Den Haushalt für das Jahr 2021 hatte der Bundestag bereits am 11. Dezember 2020 beschlossen. Für die beiden Corona-Jahre 2020 und 2021 mussten allerdings jeweils zwei Nachtragshaushalte genehmigt werden.

Das erste Nachtragshaushaltsgesetz 2020 (19/18100) verabschiedete der Bundestag am 25. März 2020 (19/18132), das zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2020 (19/20000) am 2. Juli 2020 (19/20600). Der erste Nachtrag zum Bundeshaushalt 2021 (19/27800) passierte das Parlament am 23. April 2021 (19/28139). Den zweiten Nachtrag zum Etat 2021 (20/300) billigte die neue Ampelkoalition am 27. Januar 2022 (20/400, 20/530, 20/401).

Enge Grenzen der vorläufigen Haushaltsführung

Nach Artikel 110 des Grundgesetzes darf die Bundesregierung nur Haushaltsmittel ausgeben, die vom Parlament durch die gesetzliche Feststellung des Haushaltsplans bewilligt worden sind. Im Haushaltsjahr 2022 befindet sich der Bund derzeit im Zustand der „vorläufigen Haushaltsführung“. Dieser sind – im etatlosen Zustand – jedoch enge Grenzen gezogen.

Die Bundesregierung darf nur Geld ausgeben, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten, gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen, rechtlich begründete Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen oder um Bauten, Beschaffungen oder sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern in dem Haushaltsplan eines Vorjahres bereits derartige Beträge bewilligt worden sind.

Im Falle unzureichender Einnahmen aus Steuern, Abgaben und sonstigen Quellen ist die Bundesregierung durch Artikel 111 des Grundgesetzes ermächtigt, Kredite bis zur Höhe von 25 Prozent der Endsumme des abgelaufenen Haushaltsplans zur Deckung der nötigen Ausgaben aufzunehmen. Durch diese Ermächtigungsregelungen soll sichergestellt werden, dass der Staat funktionsfähig bleibt und der Bundeshaushalt ordnungsgemäß weitergeführt wird, ohne das Budgetrecht des Bundestages allzu sehr zu strapazieren.

Kurzfristige Ausnahmesituation

Die Artikel 110 einerseits und 111 und 112 des Grundgesetzes andererseits stehen zueinander im Verhältnis von Regel und Ausnahme. Artikel 111 soll nicht das Recht des Parlaments, den Haushalt zu bewilligen, vorübergehend ersetzen. Vielmehr soll in einer kurzfristigen Ausnahmesituation eine vorläufige Haushaltsführung möglich werden.

Die Ermächtigungen nach Artikel 111 sind sowohl sachlich als auch zeitlich begrenzt. Geleistet werden dürfen nur solche Ausgaben, die „nötig“ sind. Das bedeutet, dass sie sachlich erforderlich und geeignet sein müssen, um die genannten Zwecke zu erreichen. In zeitlicher Hinsicht muss die Ausgabe unaufschiebbar sein. Das ist nicht der Fall, wenn sie bis zur Verabschiedung des Haushaltsgesetzes zurückgestellt werden kann, ohne dass dies den Erfolg mindert.

Über- und außerplanmäßige Ausgaben

Auslegungsbedürftig im Artikel 111 ist der Begriff der „sonstigen Leistungen“, für die in den Haushaltsplänen der Vorjahre Mittel vorgesehen waren. Betroffen davon sind sogenannte Fortsetzungsmaßnahmen, die nicht neu sind, sondern „inhaltsgleich“ mit früheren Maßnahmen.

Die Ermächtigungen zur vorläufigen Haushaltsführung beschränken sich nicht auf den Artikel 111. Liegen unvorhergesehene und unabweisbare Bedürfnisse vor, die vom Artikel 111 nicht abgedeckt sind, dürfen gemäß Artikel 112 mit Zustimmung des Bundesfinanzministers über- und außerplanmäßige Ausgaben geleistet werden.

Die Bundeshaushaltsordnung regelt im Paragrafen 45, dass nicht in Anspruch genommene Kredit- und Verpflichtungsermächtigungen des abgelaufenen Haushaltsplans weitergelten und wann Ausgabereste verfügbar sind. Außerdem ordnen die jährlichen Haushaltsgesetze beispielsweise die Bewirtschaftung von Haushaltsmitteln oder die Flexibilisierung von Ausgaben für die Dauer einer nachfolgenden vorläufigen Haushaltsführung an.

Sachausgaben auf 45 Prozent des Etatentwurfs begrenzt

Damit die Einheitlichkeit der vorläufigen Haushaltsführung der Bundesverwaltung gewahrt bleibt, erlässt das Bundesfinanzministerium Rundschreiben. Für die vorläufige Haushaltsführung 2022 hat Finanzminister Christian Lindner am 21. Dezember 2021 ein Rundschreiben herausgegeben, das sich an die Obersten Bundesbehörden richtet, für die die darin enthaltenen Vorgaben verbindlich sind. In diesem Haushaltsführungserlass ist unter anderem festgelegt, dass Sachausgaben bis zu 45 Prozent der im Etatentwurf der Großen Koalition für 2022 (19/31500) veranschlagten Höhe getätigt werden dürfen.

Die vorläufige Haushaltsführung endet mit der Verkündung des Haushaltsgesetzes des laufenden Jahres. Das Haushaltsgesetz wird dann rückwirkend zum Jahresbeginn in Kraft gesetzt. Die nach Artikel 111 des Grundgesetzes erteilten Ermächtigungen werden vom verabschiedeten neuen Haushaltsplan abgelöst. Die während der vorläufigen Haushaltsführung angefallenen Ausgaben wandeln sich in planmäßige Ausgaben um, indem sie auf die Ausgabeermächtigungen des neuen Haushaltsplans angerechnet werden. (vom/19.03.2022)

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