Disput über die Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge
Vertreter der „Ampel“-Koalition haben am Donnerstag, 7. April 2022, im Bundestag Kritik aus der Opposition an der Arbeit der Bundesregierung bei der Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge entschieden zurückgewiesen. Abgeordnete von Union und AfD warfen der Bundesregierung dagegen schwere Versäumnisse bei der Aufnahme der Geflüchteten vor. In einem Antrag (20/1335), über den das Parlament erstmals beriet, forderte die CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung auf, einen „Masterplan Hilfe, Sicherheit und Integration für ukrainische Frauen, Kinder und Jugendliche“ zu erstellen. Nach der Aussprache überwiesen die Abgeordneten die Vorlage mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und die Linke bei Enthaltung der AfD zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Inneres und Heimat. Die Unionsfraktion votierte dagegen, sie hatte sich dafür ausgesprochen, direkt über den Antrag zu entscheiden.
CDU/CSU kritisiert fehlende Koordinierung durch die Regierung
Dorothee Bär (CDU/CSU) verwies darauf, dass nach Angaben des Bundesinnenministeriums bis Donnerstag rund 310.000 ukrainische Flüchtlinge nach Deutschland gekommen seien. Weil es kein einheitliches Registrierungsverfahren gebe, sei aber „von einer erheblichen Untererfassung auszugehen“. Es werde nicht systematisch registriert und die Verteilung werde nicht koordiniert. Von ehrenamtlichen und freiwilligen Kräften werde „Übermenschliches“ auch in den Kommunen geleistet, doch dürfe die Bundesregierung sich darauf nicht ausruhen.
Die Bundesregierung lasse aber „geschehen, statt zu gestalten“. Es gebe keinen „Flüchtlingsgipfel“ und von Schutzzonen an den Bahnhöfen sei nichts zu sehen. Eine systematische Registrierung und Personenfeststellung der Ankommenden sowie der Menschen, die Flüchtlinge aufnehmen, finde nicht statt.
Ministerin: Schneller Zugang zu Integrations- und Sprachkursen
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen) entgegnete, dass die Bundesregierung von Anfang an daran arbeite, dass die nach Deutschland fliehenden Frauen und Kinder aus der Ukraine vom ersten Tag an gut aufgenommen werden können. Dazu gehöre auch der schnelle Zugang zu Integrations- und Sprachkursen, die weiter ausgebaut würden.
Spiegel verwies zugleich auf die „bundesweite Koordinierung für die Aufnahme ukrainischer Waisenheime“ und betonte, dass es ein „gemeinsames, unaufgeregtes und entschlossenes Handeln von Bund, Ländern und Kommunen an dieser Stelle“ gebe. Auch gebe es natürlich den Schutz der Frauen vor Menschenhandel und Zwangsprostitution.
AfD fordert Verhinderung von Trittbrettfahrern
Gottfried Curio (AfD) betonte, die allseitige Unterstützung der ukrainischen Flüchtlinge sei „fraglos“, doch könne effektive Hilfe nur funktionieren, „wenn die Helfer die Kontrolle haben über das, was sie tun“. Sicherheitsbehörden warnten, dass Schleuser die erleichterten Einreisebedingungen aktiv bewerben und gefälschte ukrainische Pässe in Umlauf bringen. Deutschland stehe damit auch für terroristische Gruppierungen offen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nehme gleichwohl „Sicherheitsrisiken für Deutschland sehenden Auges in Kauf“. Notwendig sei eine lückenlose Registrierung der Flüchtlinge, die Prüfung der Personaldokumente und die „Verhinderung von Trittbrettfahrern, die sich als Ukrainer ausgeben oder im Strom der Flüchtlinge mit einreisen, um hier Asyl zu beantragen“. Auch seien „die 300.000 vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer endlich zurückzuführen“. Dies würde erhebliche Ressourcen etwa bei der Unterbringung und im Bildungswesen freisetzen.
SPD: Zusammenarbeit von Bund und Ländern eng abgestimmt
Ulrike Bahr (SPD) sagte, nach ihrer Wahrnehmung laufe bei der Aufnahme der Flüchtlinge „sehr vieles inzwischen sehr gut und koordiniert“. Dabei sei die Zusammenarbeit von Bund und Ländern eng abgestimmt. Die unproblematische Einreise der Flüchtlinge und ihr 90 Tage lang visumsfreier Aufenthalt träten gelegentlich in Konflikt mit der unverzüglichen Registrierung.
Dabei arbeite Bundesinnenministerin Nancy Faeser seit Wochen an der Verbesserung der Registrierung. Bundespolizisten kontrollierten die ukrainischen Pässe und machten auf die mit der Registrierung verbundenen Vorteile aufmerksam. Nur über die Registrierung gebe es einen Zugang zu Leistungen, zu einem längerfristigen Aufenthaltsrecht und zu einer Arbeitserlaubnis. Auch wiesen Helfer an Hotspots wie dem Berliner Hauptbahnhof sowohl auf die Registrierung als auch auf die Gefahren privater Angebote hin. Die meisten Geflüchteten ließen sich auch zeitnah registrieren.
Linke verlangt einen Flüchtlingsgipfel
Clara Bünger (Linke) hob hervor, dass es derzeit rechtlich keine Möglichkeit gebe, eine systematische Registrierung der Geflüchteten aus der Ukraine zu erzwingen, solange diese keine staatlichen Leistungen und keinen Aufenthaltstitel beantragen. Bis zum 23. Mai könnten sie sich legal in der Bundesrepublik aufhalten, und es sei gut, dass „die Übergangsverordnung jetzt auch noch verlängert werden soll“.
Positiv sei auch, dass sehr viele Flüchtlinge derzeit privat bei Bekannten und Verwandten unterkommen könnten. Dies sollte auch für andere Flüchtlingsgruppen ermöglicht werden. Der beste Schutz für Frauen und Kinder sei es, sie nicht in Massenunterkünfte zu stecken, sondern auf eine dezentrale Unterbringung zu setzen. Bünger plädierte zugleich für einen „Flüchtlingsgipfel“, um eine „gute Abstimmung von Bund, Ländern und Kommunen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und Fachverbänden zu gewährleisten“.
FDP will flexible, schnelle Lösungen auf allen Ebenen
Gyde Jensen (FDP) unterstrich, dass die CDU/CSU in ihrem Antrag genau die familienpolitischen Programme aufzähle, die die Koalitionsfraktionen „für eine gute Unterstützung der ukrainischen Frauen, Kinder und Jugendlichen identifiziert haben“.
Diese würden im Bundesfamilienministerium seit Wochen mit großem Engagement entsprechend angepasst und wendeten sich zielgerichtet an Ukrainerinnen. Auch liefen die Abstimmungen von Bund, Ländern und Kommunen sehr konstruktiv. Gebraucht würden „flexible, schnelle Lösungen auf allen Ebenen, aber nicht einen staatlich zentral verordneten Masterplan“.
Grüne: Brauchen keine zusätzliche Registrierung
Julian Pahlke (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, die pauschalen Forderungen nach Grenzkontrollen sei für die wenigsten Probleme eine Lösung. Die Identität Geflüchteter werde bereits bei jedem Grenzübertritt in Polen, Ungarn oder Rumänien festgestellt, und danach sei die Bundespolizei an den deutschen Grenzen präsent und kontrolliere in den Zügen die Pässe.
„Wir brauchen keine zusätzliche Registrierung und aufwendige Grenzkontrollen, die die Flucht weiter verzögern“, führt Pahlke hinzu.
Antrag der Unionsfraktion
In ihren Antrag fordert die CDU/CSU-Fraktion die Bundesregierung auf, dazu im Bundeskanzleramt einen Krisen- und Koordinierungsstab einzurichten, der die Unterstützung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Deutschland gemeinsam mit den Ländern und Kommunen organisiert, sowie einen nationalen Flüchtlingsgipfel durchzuführen.
Zugleich dringt sie darauf, eine durchgehende Registrierung und Personenfeststellung unmittelbar nach oder bei Grenzübertritt sicherzustellen. Auch soll die Bundesregierung laut Vorlage in Zusammenarbeit mit den Anrainerstaaten der Ukraine koordinierte Beförderungsabläufe der planbaren Sonderzüge und -busse zur deutschland- und europaweiten Unterbringung der Kriegsflüchtlinge schaffen sowie auf einen gleichmäßigen bundesweiten und europäischen Verbleib der Flüchtlinge hinwirken.
Ferner sprechen sich die Unions-Abgeordneten dafür aus, allen ankommenden Frauen zur Erleichterung der Kontaktaufnahme mit ihren Angehörigen und Hilfsangeboten eine SIM-Karte mit Startguthaben für den ersten Monat zu übergeben. Ebenso soll die Bundesregierung dem Antrag zufolge für alle Ankommenden eine gesundheitliche Erstuntersuchung vor Ort vorhalten, um gezielt medizinische und/oder psychologische Unterstützung und erforderliche Impfungen anbieten zu können. Zudem wird die Bundesregierung darin aufgefordert, unverzüglich alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die vor dem Krieg geflüchteten Frauen, Kinder und Jugendliche vor Kriminellen wie etwa Menschenhändlern zu schützen.
Des Weiteren soll die Bundesregierung nach dem Willen der CDU/CSU-Fraktion die Länder und Kommunen bei der Integration der ukrainischen Kinder und Jugendlichen in das Bildungs- und Betreuungssystem unterstützen sowie gemeinsam mit den Ländern ein bedarfsorientiertes Unterstützungsprogramm für geflüchtete Kinder und Jugendliche zur Bewältigung psychosozialer Belastungen etablieren. Darüber hinaus setzen sie sich in dem Antrag unter anderem dafür ein, das Angebot von Integrations- und Sprachkursen deutlich auszubauen und mit der Kinderbetreuung aufeinander abzustimmen. (sto/07.04.2022)