Geschichte

Vor 65 Jahren: Bundestag verabschiedet Gesetz über den Wehrbeauftragten

Vor 65 Jahren, am Donnerstag, 11. April 1957, verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz über den Wehrbeauftragten. Das Gesetz regelt den Aufgabenkreis, die Befugnisse und die Rechtsstellung des Wehrbeauftragten. Danach soll der oder die Wehrbeauftragte vor allem Verletzungen der Grundrechte der Soldaten im Blick haben und über die Beachtung der Grundsätze der Inneren Führung in der Bundeswehr wachen. Tätig wird er oder sie entweder auf Weisung des Bundestages beziehungsweise des Verteidigungsausschusses oder nach pflichtgemäßem Ermessen und aufgrund eigener Entscheidung. 

Hilfsorgan des Bundestages

Bereits im Jahr zuvor, am 6. März 1956, hatte der Bundestag nach dem Vorbild des schwedischen Militie-Ombudsmans dieses Amt eingeführt und in Artikel 45b des Grundgesetzes im Rahmen der neuen Wehrverfassung verankert: „Zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird ein Wehrbeauftragter des Bundestages berufen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“ Die Verfassungsnovelle war am 19. März 1956 in Kraft getreten. 

Vorausgegangen war dieser Entscheidung eine lange kontroverse Debatte um den Wiederaufbau der Streitkräfte sowohl im Parlament als auch in der Gesellschaft. Die Verschärfung des Ost-West-Konflikts und der Beginn des Korea-Krieges im Sommer 1950 ließen die Aufstellung bundesdeutscher Streitkräfte außenpolitisch unausweichlich erscheinen. 

Zur Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle 

Im Zusammenhang mit der gesetzgeberischen Vorbereitung des Wiederaufbaus der Streitkräfte hatte Ende 1952 der Abgeordnete Ernst Paul (SPD, 1897-1978) als Mitglied des damaligen Bundestagsausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit (ab dem 10. Januar 1956 „Ausschuss für Verteidigung“) eine entsprechende Einrichtung für Deutschland zur Verstärkung der parlamentarischen Kontrolle über die Bundeswehr vorgeschlagen. 

Sein Vorschlag wurde besonders vom Vorsitzenden des Ausschusses, Bundestagsvizepräsident Dr. Richard Jaeger (CDU/CSU, 1913-1998), und dem stellvertretenden Vorsitzenden, Fritz Erler (SPD, 1913-1967), unterstützt. Ein Jahr später, am 11. Dezember 1953, beschloss der Ausschuss für Fragen der europäischen Sicherheit eine Kommission von zwei Abgeordneten mit dem Auftrag nach Schweden zu entsenden, Einrichtungen des schwedischen Wehrwesens zu studieren und dadurch Anregungen für die innere Führung einer künftigen deutschen Armee zu gewinnen. Dabei sollte besonders die Einrichtung des Militärbevollmächtigten berücksichtigt werden. Die Studienreise fand im Januar 1954 statt; die gemachten Erfahrungen wurden in einem Bericht vom 11. Februar 1954 festgehalten. 

Kompromiss im Rahmen der folgenden Wehrgesetzgebung

Mit dem Nato-Beitritt der Bundesrepublik am 6. Mai 1955 und dem damit beginnenden Aufbau der Bundeswehr einigten sich die Regierungkoalition bestehend aus CDU/CSU, FDP, DP (Deutsche Partei) und GB/BHE (Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten) und die sozialdemokratische Opposition schließlich als Kompromiss im Rahmen der folgenden Wehrgesetzgebung auf die Einführung eines solchen Amtes. Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollte die neu gegründete Bundeswehr nicht nur einer besonderen Kontrolle unterliegen, ein möglicher Machtmissbrauch durch das Militär sollte auch ausgeschlossen werden. Mit den Grundsätzen der Inneren Führung und dem neuen Leitbild vom Staatsbürger in Uniform sollten sich die neuen deutschen Streitkräfte von der Wehrmacht absetzen.

Das Amt des Wehrbeauftragten wurde in Artikel 45b des Grundgesetzes im Rahmen der neuen Wehrverfassung verankert und die nähere Ausgestaltung einem Ausführungsgesetz überlassen. Erst nach der Einberufung der ersten Wehrpflichtigen der Bundeswehr am 1. April 1957 wurde am 11. April 1957 mit dem Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages ein entsprechendes Ausführungsgesetz verabschiedet. 

Uneinigkeit in der Frage der Berufung und der Abberufung

Hatte man sich in der Frage der Einrichtung des Amtes des Wehrbeauftragten und auch bezüglich seiner Aufgaben über die Fraktionsgrenzen hinweg einigen können, so entstand selbst innerhalb der Regierungskoalition Uneinigkeit über die Art der Berufung des Wehrbeauftragten und der Möglichkeit seiner Abberufung. Ursprünglich hatte man sich im Gesetzentwurf darauf geeinigt, dass der Wehrbeauftragte mit der Mehrheit der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestages gewählt werden sollte und wenn nötig auch wieder abberufen werden konnte. 

Gegen die Stimmen von SPD und GB/BHE hatte die Unionsfraktion in der dritten Beratung des Gesetzentwurfes über den Wehrbeauftragten des Bundestages eine Änderung des Gesetzentwurfes durchgesetzt. Der Wehrbeauftragte sollte danach nur noch mit Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages abberufen werden können. Sinn der Vorschrift sei es, wie es Dr. Richard Jaeger für die Unionsfraktion formulierte, den Wehrbeauftragten nur abberufen zu können, wenn ganz außerordentliche Umstände vorliegen, die praktisch dem ganzen Hause die Abberufung nahelegen, weil man den Wehrbeauftragten im Grunde für gar nicht abrufbar halte, um ihn nicht zu einer rein politischen Institution zu machen. 

Für die SPD-Fraktion erwiderte Fritz Erler, „dass es nicht die Abberufbarkeit, sondern die von Ihnen beschlossene Art der Wahl ist, welche aus dem Wehrbeauftragten eine politische Figur macht“.  Über die Abberufbarkeit mit einer Mehrheit von zwei Dritteln dieses Hauses ließe sich sofort reden, wenn sie nicht dieser Entscheidung praktisch doch den Stempel aufdrückte, dass eine Partei, die weiß, dass sie nicht mit der absoluten Mehrheit in dieses Haus zurückkehrt, diesem Hause einen Wehrbeauftragten ausschließlich ihres Vertrauens zu bescheren und dann diesen Wehrbeauftragten auch noch unter Denkmalschutz zu stellen. 

Dem Koalitionspartner FDP hatte die Union mit dieser Änderung die Zustimmung zum Gesetzentwurf schwer gemacht, wie es Dr. Ewald Bucher (1914-1991) im Namen seiner Fraktion formulierte: „Denn wenn man sich auch im ganzen Hause gerade bezüglich der Aufgaben des Wehrbeauftragten einig war, so ist doch hier nun eine sehr bedauerliche Uneinigkeit über die Art seiner Berufung und seiner Abberufung entstanden. Hier hat sich eine Atmosphäre des Misstrauens ausgebreitet. 

Für den Koalitionspartner GB/BHE war es ein schlechter parlamentarischer Stil, am Anfang die Verantwortung auf zwei Drittel des Hauses zu laden und die Durchführung dann mit Hilfe der einfachen Mehrheit auf andere Weise zu erzwingen. Mit Bedauern stellte der BHE-Wehrexperte Dr. Willy Reichstein (1915-1978) fest, dass wichtige Gesetze, die unsere Bundeswehr berühren, schon in ihrer Geburtsstunde dem Schicksal der wechselnden Mehrheiten dieses Hauses ausgeliefert würden. 

Auch der Bundesrat war mit der so beschlossenen Änderung nicht einverstanden und hatte daraufhin am 3. Mai 1957 den Vermittlungsausschuss angerufen. Der am 24. Mai beschlossene Vermittlungsvorschlag stellte die ursprüngliche Fassung des Gesetzentwurfes wieder her und wurde am 29. Mai vom Bundestag angenommen. Danach benötigen nun Wahl und Abberufung die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. Am 26. Juni konnte das Gesetz über den Wehrbeauftragten in Kraft treten. 

Erster Wehrbeauftragter 1959

Fast zwei weitere Jahre dauerte die Suche nach einem geeigneten Kandidaten. Am 28. Januar 1959 schließlich, schlug der Ausschuss für Verteidigung den Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte Helmuth von Grolman (1898-1977) für dieses Amt vor.

Der ehemalige Wehrmachtsgeneral von Grolman hatte bereits von 1955 bis 1957 im Personalgutachterausschuss für die Bundeswehr mitgearbeitet. Der Ausschuss sollte dazu beitragen, die Bundeswehr von solchen Führungspersonen freizuhalten, die durch ihr Verhalten im Nationalsozialismus belastet waren.

Erster Jahresbericht

Als Grolman am 3. April 1959 das Amt übernahm, musste er sich neben Eingaben der Soldaten auch dem Aufbau seiner Dienststelle widmen. Bereits sein 1960 vorgelegter erster Jahresbericht sorgte für Aufsehen.

Grolman sah durch das Tempo des Bundeswehraufbaus die Truppe überfordert. Stimmung und Motivation seien daher schlecht. “Der zu schnelle Aufbau der Bundeswehr und der zeitweise parallel laufende Umbau des Heeres haben zu einer Personalbewegung geführt, die zum Teil notwendig oder unvermeidlich gewesen sein mag, die aber zwangsläufig die Truppe nicht zur Ruhe kommen ließ. Ständige Versetzungen, insbesondere bewährter Kompaniechefs und Kommandeure, in der mit allen Schwierigkeiten belasteten Aufbauzeit haben sich auf Erziehung und Menschenführung wie auf die Organisation und Leitung der Ausbildung fühlbar nachteilig ausgewirkt.„ Weiterhin kritisierte er die unzulängliche Ausrüstung und ungenügenden Ausbildungsmöglichkeiten. 

Unterausschuss zur Prüfung der Kontrollbefugnisse

Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU, 1915-1988) zeigte sich über diese Kritik nicht erfreut. Er fand unter anderem den Hinweis auf den zu raschen Aufbau der Bundeswehr unstatthaft und warf dem Wehrbeauftragten vor, seine Kompetenzen überschritten zu haben. Von einzelnen Unionspolitikern wurde ihm außerdem vorgeworfen, seine Kontrollbefugnisse zu weit ausgelegt zu haben. 

Die Ausführungen seines ersten Jahresberichts, führten zur Einrichtung eines Unterausschusses des Verteidigungsausschusses, der sich mit den Rechten des Wehrbeauftragten befasste und sich mit von Grolman darauf verständigte, dass der Wehrbeauftragte nicht zu politischen Entscheidungen von Parlament und Regierung Stellung nimmt.

Die Wehrbeauftragten seit 1959

Auf Helmuth von Grolman (1959-1961) folgten im Amt des Wehrbeauftragten Hellmuth Guido Heye (1961 bis 1964), Matthias Hoogen (1964 bis 1970), Fritz Rudolf Schultz (1970 bis 1975), Karl Wilhelm Berkhan (1975 bis 1985), Willi Weiskirch (1985 bis 1990), Alfred Biehle (1990 bis 1995), Claire Marienfeld-Czesla (1995 bis 2000), Dr. Willfried Penner (2000 bis 2005), Reinhold Robbe (2005 bis 2010), Hellmut Königshaus (2010 bis 2015) und Dr. Hans-Peter Bartels (2015-2020). Seit dem 25. Mai 2020 bekleidet Dr. Eva Högl das Amt.

Auch heute findet der Jahresbericht des Wehrbeauftragten große Aufmerksamkeit. Ganz selbstverständlich nimmt der Wehrbeauftrage in den vergangenen Jahren auch zum Zustand der Bundeswehr Stellung. (klz/04.04.2022)
 

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