Parlament

Heidi Reichinnek macht sich für eine Kinder­grundsicherung stark

Heidi Reichinnek mit einem Laptop vor der Glaskuppel des Deutschen Bundestages.

Heidi Reichinnek (Die Linke) war viele Jahre in verschiedenen Bereichen der Jugendhilfe tätig. (DBT/photothek/Xander Heinl)

Heidi Reichinnek ist eine von 257 Frauen im 20. Deutschen Bundestag. Sie arbeitete vor ihrem Einzug in den Bundestag als pädagogische Mitarbeiterin in der Jugendhilfe und ist jetzt Abgeordnete der Fraktion Die Linke. Sie bezeichnet sich selbst als Sozialistin, Feministin und Antifaschistin. Heidi Reichinnek wurde über die Landesliste Niedersachsen in den Bundestag gewählt und ist die jüngste Abgeordnete der Linksfraktion. Zudem ist sie seit drei Jahren eine der beiden Landesvorsitzenden der niedersächsischen Linken.

Warum sie sich parteipolitisch engagiert, bringt sie so auf den Punkt: „Ich interessierte mich schon als Jugendliche für Politik und eine gerechte Gesellschaft. Ganz oben auf der Liste der Dinge, die mich frustrierten, stehen die Hartz-IV-Gesetze, die ich abschaffen möchte. Die Gleichberechtigung von Frauen liegt mir genauso am Herzen wie eine effektive und bessere Kinder- und Jugendhilfe sowie eine Kindergrundsicherung, die arme Familien unterstützt.“

Auslandssemester während der Ägyptischen Revolution

Die aus Sachsen-Anhalt stammende Politikerin trat 2015 in die Partei Die Linke ein. Nach dem Bachelorabschluss an der Universität Halle wechselte sie zur Universität Marburg und absolvierte während des Masterstudiums ein Auslandssemesters in Kairo. „Die Menschen in Ägypten kämpften damals für Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit und ich war begeistert, was Menschen erreichen können, wenn sie zusammenstehen. Leider war die Revolution, die mehr Demokratie im Land erreichen wollte, am Ende nicht von Erfolg gekrönt“, erinnert sich die Abgeordnete.

Warum sich Heidi Reichinnek entschied, in die Partei Die Linke einzutreten, erklärt sie so: „Auch wenn mich Politik immer interessiert hat, den Schritt, in eine Partei einzutreten, wolle ich lange nicht gehen. Irgendwann wollte ich aber nicht mehr frustriert auf dem Sofa sitzen und nur zuschauen. Ich wollte helfen, die Lebensverhältnisse für Frauen, Kinder und arme Menschen zu verbessern.“

Tattoo von Rosa Luxemburg auf dem Arm

Als bekennende Feministin hat die Linke-Abgeordnete auch Vorbilder, denen sie dankbar ist und die sie auf ihrem Weg begleiten. Frauen, wie ihre Mutter, die jahrzehntelang in Schichten gearbeitet hat oder die Wissenschaftlerin Ivesa Lübben, die Heidi Reichinnek linke Politik nähergebracht hat. Auch ihre Ratskollegin und ehemalige Vorsitzende der Linken in Niedersachsen, Giesela Brandes-Steggewentz, hat sie immer bestärkt und unterstützt, sich als junge Frau in der Politik durchzusetzen.

Heidi Reichinnek sagt: „Es sind also nicht unbedingt berühmte Frauen, mit denen ich mich identifiziere, sondern Frauen, die mich begleitet und unterstützt haben“. Eine Ausnahme macht die Politikerin. Rosa Luxemburg, die politische Leitfigur der Linken ist für sie eine Persönlichkeit, an der sie sich orientieren kann. Wie sehr sie Rosa Luxemburg schätzt, zeigt sich daran, dass sie sich ihr Porträt auf den linken Arm tätowieren ließ. Es ist ein Statement.

„Lobbyarbeit im besten Sinne“

Dass Heidi Reichinnek im September 2021 in den deutschen Bundestag gewählt wurde, ist für sie einerseits mit sehr viel Verantwortung verbunden, andererseits könne sie sich endlich dort politisch einbringen, wo an den großen Stellschrauben der Politik gedreht werde, in der Bundespolitik.

„Auf Bundesebene kann ich daran mitwirken, dass die Themen Kindergrundsicherung, Kinder- und Jugendsozialarbeit sowie deren struktureller Finanzierung endlich mehr Beachtung erfahren, denn sie war viele Jahre in verschiedenen Bereichen der Jugendhilfe tätig. Lobbyarbeit im besten Sinne zu machen, dafür hat man im Bundestag optimale Möglichkeiten“, erklärt Heidi Reichinnek.

Zittern am Wahlabend

Dass sie das Bundestagsmandat gewonnen hat, stand allerdings erst in allerletzter Minute fest. Heidi Reichinnek wurde auf den als sicher geltenden dritten Listenplatz in Niedersachsen gewählt. Durch das schlechte Wahlergebnis der Linken schaffte sie den Einzug aber nur knapp. „Als das Endergebnis der Wahl feststand, schlugen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits war ich glücklich über meinen Erfolg, andererseits war es sehr ernüchternd. Ein Wahlergebnis unter fünf Prozent hieß, dass Die Linke nur mit drei Direktmandaten überhaupt die Chance hatte, in den Bundestag einzuziehen“, sagt die Abgeordnete.

Natürlich sei abzusehen gewesen, dass ihre Partei Prozente verlieren könnte, aber dass sie so schwach abschneiden würde, war ein Schock. „Ich hätte mir eine starke Linke im Bundestag gewünscht. Da das nicht geklappt hat, gilt jetzt umso mehr, für linke Positionen zu werben und für die Umsetzung linker Themen Mehrheiten zu finden“, sagt Heidi Reichinnek.

Gänsehaut im Plenarsaal

Der Wahlkampf im Corona-Jahr fand vorwiegend in den Sozialen Medien statt, um auch junge Leute zu erreichen. Aber es gab auch die klassischen Infostände in den Fußgängerzonen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Ich bin jemand, der das persönliche Gespräch sucht und den Menschen zuhören kann. So erfährt man, welche Probleme die Bürger haben und was sie von einer linken Partei erwarten. In solchen Gesprächen habe ich auch immer wieder erfahren, dass die Linke als ernstzunehmende demokratische Partei wahrgenommen wird“, sagt die Abgeordnete.

Als Heidi Reichinnek am Tag nach der Bundestagwahl mit der Bahn nach Berlin fuhr und am Hauptbahnhof ausstieg, hatte sie den Bundestag vor Augen. „Es war ein überwältigendes Gefühl und ich dachte: Ich bin angekommen und gehe gleich als Abgeordnete in den Deutschen Bundestag“, erinnert sich Heidi Reichinnek und fügt an: „Beeindruckend war auch der Moment, als ich den Plenarsaal betrat. Ich bekam eine Gänsehaut, weil ich mir der Verantwortung bewusst wurde.“

Den Menschen im Wahlkreis etwas zurückgeben

„Als Bundestagsabgeordnete habe ich permanent einen komplett gefüllten Terminkalender“, sagt Heidi Reichinnek. Ohne ihre großartigen Büromitarbeiter könnte sie das kaum schaffen. Ausschuss- und Fraktionssitzungen, Treffen der verschiedenen Arbeitsgruppen und viele andere Termine müssen koordiniert werden. „Mit einer guten Organisation ist das alles zu realisieren und ich bin sehr dankbar, dass ich als Bundestagsabgeordnete den Menschen, die mich gewählt haben, etwas zurückgeben kann, in dem ich mich für sie einsetze“, sagt die Politikerin. 

Besonders stolz ist Heidi Reichinnek auf den Fraktionsverein, den die Linksfraktion gegründet hat. Alle Abgeordneten der Bundestagsfraktion spenden einen Teil ihrer Diäten an diesen Verein, damit Projekte finanziert werden können. Bürger können einen Antrag auf Unterstützung stellen, zum Beispiel für einen Aktionstag für Jugendliche, Unterstützung für die Arbeit mit Geflüchteten oder für die Obdachlosenhilfe. Der Antrag wird geprüft und dann kann es unbürokratische finanzielle Unterstützungen aus dem Fraktionsverein geben. „Dem Fraktionsverein gehören alle Mitglieder der Linksfraktion an und mir ist keine andere Fraktion im Deutschen Bundestag bekannt, die etwas ähnliches tut. Ich finde, es ist eine gute Möglichkeit, Menschen ganz praktisch zu helfen“, sagt die Abgeordnete.

Kindergrundsicherung und mehr Frauenhäuser

Als Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Jugend und Frauen ist Heidi Reichinnek im Sozialbereich für Kinder und Jugendliche zuständig und setzt sich für eine Kindergrundsicherung ein. „Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut, das ist ein Skandal. Ich möchte, dass sich in dieser Legislaturperiode daran etwas ändert. Die Kinder- und Jugendhilfe muss strukturell besser finanziert werden, dafür werde ich mich stark machen“, sagt Heidi Reichinnek.

Als frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion setzt sie sich außerdem für Alleinerziehende ein, um die Situation von Müttern zu verbessern. Und es geht Heidi Reichinnek um die Aufwertung klassischer Frauenberufe, Pflege und Erziehungstätigkeiten, die besser bezahlt werden sollten sowie um bessere Arbeitsbedingungen. „Besonders am Herzen liegt mir der großen Themenkomplex Gewalt gegen Frauen. In Deutschland fehlen 14 000 Plätze in Frauenhäusern und hier eine schnelle Lösung zu finden, ist eine Aufgabe, die mich sicher bis zum Ende der Legislaturperiode beschäftigen wird“, sagt die Politikerin. Es scheint, als würde Heidi Reichinnek den Satz von Rosa Luxemburg beherzigen: „Du wirst nicht danach beurteilt, was du sagst, sondern was du tust.“ (bsl/12.04.2022)

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