Kinderkommission

KiKo: Experten mahnen Integration ukrainischer Kinder an

Symbolbild zum Thema Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine

Die Kiko befasste sich mit den Bedürfnissen von Kindern und Jugendliche in Deutschland nach der Flucht aus einem Kriegsgebiet. (© picture alliance / Zoonar | DesignIt)

Eine bessere Datengrundlage darüber, wie viele geflüchtete Kinder sich in Deutschland aufhalten, haben Dr. Sebastian Sedlmayr, Abteilungsleiter Advocacy und Politik von Unicef Deutschland, und Sophia Eckert aus dem Bereich „Public Affairs“ der Organisation „terre des hommes“ Deutschland am Mittwoch, 22. Juni 2022, in einem öffentlichen Expertengespräch der Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (Kinderkommission, Kiko) zum Thema „Was brauchen Kinder und Jugendliche in Deutschland nach der Flucht aus dem Kriegsgebiet?“ gefordert. Die rasche Klärung der Frage des Sorgerechts bei Kindern, die getrennt von ihrer Familie einreisen, gehören für die beiden Experten ebenso ganz oben auf die Agenda wie die bessere psychosoziale Unterstützung privat Engagierter, die Kinder aufnehmen. Kitas und Heime wiederum müssten mehr Betreuer und Erzieher erhalten sowie pädagogische und Spielmaterialien.

Rund 300.000 Kinder aus der Ukraine in Deutschland

Über Sofortmaßnahmen hinaus müsse sich die Politik Gedanken machen über eine dauerhafte Integration von Kindern, denen die Rückkehr in ihre Heimat auf absehbare Zeit verwehrt bleibe. Die beiden Sachverständigen mahnten schließlich an, dass die Belange der Kinder, aus welchen Ländern auch immer diese kämen, bei den kommenden Haushaltsverhandlungen „nicht unter die Räder kommen“.

 „Wahnsinnig dynamisch“ sei die Situation rund um die aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen, sagte Sedlmayr. Niemand wisse, wie lange der Krieg dauern, welchen Verlauf er nehmen werde und wie sich die Lage in den umkämpften Gebieten gestalte. Für die meisten Geflüchteten werde es „sehr schwierig in Kürze in der Ukraine wieder ein geordnetes Leben zu führen.“

7,7 Millionen Menschen befänden sich innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Etwa ebenso viele seien ins Ausland geflüchtet. Schätzungsweise 300.000 Kinder aus der Ukraine hielten sich derzeit in Deutschland auf. Nicht alle hätten bislang einen Antrag auf Asyl gestellt. Aktuell seien 138.670 ukrainische Kinder an Schulen in Deutschland gemeldet. Darüber hinaus gebe es eine vermutlich hohe Dunkelziffer von nicht gemeldeten Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren.

Forderung nach Ausbau der Betreuung

„Der Wert derer, die nicht damit rechnen bald zurückzukehren, wird steigen“, sagte Sedlmayr. Aber auch wenn nur eine kurze Aufenthaltsdauer absehbar sei, solle man die Integrationsbemühungen für diese Kinder verstärken. Man müsse ihnen gute Sport- und Freizeitangebote machen und Zugang zu Bildung gewähren. Neben privatem Engagement und ehrenamtlichen Helfern brauche es mehr Fachpersonal in Betreuungseinrichtungen sowie mehr psychosoziale Unterstützung der Kinder, die häufig traumatische Erlebnisse gehabt hätten.

Eine solche Unterstützung müsse auch den aufnehmenden Familien zuteil werden. „Das muss nicht immer gleich eine Therapie sein.“ Hilfe könne in vielen Abstufungen geleistet werden, oft helfe bereits Fußballspielen. Ebenso müsse man die vielen geflüchteten Mütter unterstützen, indem man weiter daran arbeite, die Kitabetreuung hierzulande auszubauen. „Die Frauen wollen arbeiten.“ Sedlmayr regte zudem an, den mit geflüchteten Kindern befassten nachgeordneten Behörden klare Handreichungen zu geben, um diese in die Lage zu versetzen, angemessene Entscheidungen im Sinne des Kindeswohls zu treffen.

Frühzeitige Einbeziehung der Kinder- und Jugendhilfe

Eckert mahnte, die geflüchteten Kinder nicht allein der Zuständigkeit der Ausländerbehörden zu überlassen, sondern frühzeitig und dauerhaft in den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe einzubeziehen und die Jugendämter einzuschalten. Wenn man Kindeswohl und Kinderschutz ernst nehme, müsse bei Kindern und Jugendlichen, „die ohne ihre Kernfamilie einreisen, die Datenerfassung bei der Einreise von den Jugendämtern“ vorgenommen werden.

Am besten seien Kinder in ihrer eigenen oder einer Pflegefamilie aufgehoben. Diese Familien müssten künftig für ihre beziehungsweise die aufgenommenen Kinder statt der Zuwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Mittel nach dem Achten Sozialgesetzbuch beziehen können. Es gehe darum, die geflüchteten Kinder schnell „aus Fluchtkontexten in Regeldienstleistungen für Kinder der Mehrheitsgesellschaft“ zu überführen.

Gebot der Gleichstellung

Über die ukrainischen Flüchtlinge gelte es, nicht die Kinder aus anderen Herkunftsländern zu vergessen und das Gebot der Gleichstellung zu beachten. In Gemeinschaftsunterkünften hingen Asylbewerber aus anderen Ländern oft seit längerem fest, während die Verfahren von Menschen aus der Ukraine zügiger vorankämen. Das führe zu Frust bei den Asylsuchenden anderer Länder. Grundsätzlich sollten alle Flüchtlinge die Erstaufnahmeeinrichtungen möglichst nach einem Monat verlassen und in eine eigene Wohnung ziehen. Einrichtungen seien für die Betroffenen „nie ein schönes Thema“. Sie hielten sich dort meistens mehrere Monate auf.

Beim Aufenthalts- und Bleiberecht müsse man im Zuge der geplanten Gesetzesänderung zu Verbesserungen kommen. Die Geflüchteten brauchten eine Perspektive für die Zeit nach dem Auslaufen ihres dreijährigen Schutzstatus. Die Politik müsse sich frühzeitig damit befassen. Einige werden zurückkehren, viele werden bleiben wollen. „Gut Integrierten“ könne eine Ausweitung des Aufenthaltsstatus gewährt werden. Zudem müsse die Möglichkeit des Familiennachzugs für schutzberechtigte Geschwister geschaffen werden. (ll/22.06.2022)

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