Auswärtiges

EU soll 55 Prozent der Treib­hausgasemissionen bis zum Jahr 2030 einsparen

Der Unterausschuss Internationale Klima- und Energiepolitik des Auswärtigen Ausschusses und der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union haben sich am Mittwoch, 22. Juni 2022, in einer gemeinsamen Sitzung mit dem European Green Deal und dem EU-Klimapaket Fit for 55 befasst. 55 Prozent der Treibhausgasemissionen soll die Europäische Union bis zum Jahr 2030 einsparen, so sehen es eine Reihe von Gesetzesentwürfen - das sogenannte „Fit for 55-Paket“ - der EU-Kommission vor, denen nun das Europaparlament zugestimmt hat. Über den Stand und die Wirksamkeit der europäischen Klimaschutzmaßnahmen haben am Mittwoch, 22. Juni 2022, der Ausschuss für die Angelegenheit der Europäischen Union des Deutschen Bundestages und der Unterausschuss Internationale Klima- und Energiepolitik im Rahmen eines gemeinsamen öffentlichen Expertengesprächs diskutiert.

„Die EU ist groß und relevant genug, die Rahmenbedingungen zu setzen“

„Ein sehr großer Schritt für die EU“ sei das Gesetzespaket und die Zustimmung des EU-Parlaments, auch wenn die Maßnahmen noch nicht ausreichten, um den Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert auf 1,5 Grad zu begrenzen, sagte Dr. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheit der Europäischen Union. Die Klimakrise bedrohe uns alle. Daher sei die EU „genau die richtige Ebene“, dem zu begegnen, denn „die EU ist groß und relevant genug, die Rahmenbedingungen zu setzen, um aus den fossilen Rohstoffen auszusteigen und dabei Gerechtigkeit zu schaffen“ zwischen reicheren und ärmeren Mitgliedstaaten. Die Klimawende dürfe im Übrigen nicht nur als Gefahrenabwehr verstanden werden, sondern biete Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft große Chancen. Man müsse die eingeleiteten Schritte „in knapper Zeit“ nun „nachschärfen“. Die Bundesregierung solle im Europäischen Rat entsprechend verhandeln.

„Im Schulterschluss mit Frankreich“ gelte es den Klimaschutz in Europa nun vorantreiben, sagte Lisa Badum (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzende des Unterausschusses Internationale Klima- und Energiepolitik. „Wir sind auf einem guten Pfad und dürfen das jetzt nicht verwässern.“ Angesichts der Energiekrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine biete sich die Chance, bei der Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energieträger und auf dem Weg zu größerer Energieunabhängigkeit voranzuschreiten und auch skeptische und ärmere Länder wie die mittelosteuropäischen Staaten mitzunehmen. Die EU müsse letztlich noch über das jetzt debattierte Fit for 55-Arrangement hinaus gehen. Die Diskussion der bisherigen Ergebnisse in gemeinsamer Sitzung sei aber bereits eine Sternstunde des Parlaments„ gewesen. Und die erste öffentliche Sitzung eine Premiere für den neu geschaffenen Unterausschuss Internationale Klima- und Energiepolitik.

Reduktion der Emissionen bis 2030 um 55 Prozent

“Wir sind auf der Zielgeraden„, berichtete Anna Lührmann (Bündnis 90/Die Grünen), Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt für die Bundesregierung über den Stand der Aushandlung des Gesetzespaketes zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten. Das EU-Parlament habe einen Kompromiss gefunden. Sie hoffe auf einen konstruktiven Dialog zwischen Rat und Parlament im Herbst. Es gelte die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren und bis 2050 CO2-neutral zu werden. Auf keinen fall dürften diese Ambitionen verwässert werden.

“Wir gehen daran wie in Haushaltsverhandlungen„, erklärte Lührmann. Jeder der irgendetwas aus dem angestrebten CO2-Budget streichen wolle, müsse einen entsprechenden Gegenvorschlag machen, um das zu kompensieren. Es gehe jetzt darum, den europäischen Emissionshandel auf den Bau- und Verkehrssektor auszuweiten und ein weiteres Emissionshandelssystem, das “ETS II„, einzurichten. Zudem müsse man den sozialen Ausgleich hinbekommen. Dem diene der Klimasozialfinds, mit dem ärmeren Mitgliedstaaten unter die Arme gegriffen werde. Die Vertreterin der Bundesregierung zeigte sich im Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen im Rat und im “Trilog„ mit Kommission und Parlament optimistisch, da sich sich die einzelnen Seiten bei den parlamentarischen Verhandlungen nun aufeinander zu  bewegt hätten.

Risiko Ukrainekrieg

Dass das Klimapaket der EU “eine andere Nummer„ sei als alle bisherigen Klimaschutzmaßnahmen, unterstrich Dr. Susanne Dröge, Senior Fellow bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Eine komplexe Materie, eine Fülle neuer Regeln werde nun in kürzester Zeit auf den Weg gebracht. “Das ist eine Erweiterung, alles ist noch im Fluss„. Ein Risiko berge der Ukrainekrieg, infolge dessen man eine starken Anstieg der Energiepreise sehe, und man sich fragen müsse was für Preissteigerungen bei der Verteuerung fossiler Brennstoffe die Gesetzgeber den Konsumenten zumuten wollten.

Ärmere Bürger und Länder müssten über die Einnahmen des Emissionshandels finanzielle Kompensation erhalten. Insgesamt würden die Finanzbedarfe für den Klimaschutz in den Staatshaushalten steigen. Es werde nicht einfacher, da man auch noch die Folgekosten der Pandemie stemmen müsse.

Kostenlose Emissionszertifikate für die Industrie

Nicht ambitioniert genug nannte Antje Mensen, Referentin für EU-Klima- und Energiepolitik beim Deutschen Naturschutzring, dem Dachverband der im Natur- und Umweltschutz tätigen Verbände in Deutschland, das nun vom Europaparlament verabschiedete Klimapaket. Zwar sei es aus Sicht der Umweltverbände ein wichtiger Schritt. “Aber damit befindet man sich keinesfalls auf einem 1,5 Grad-Pfad.„ Dafür müssten die Maßnahmen weiter geschärft werden. So enthalte die Einigung zum Emissionshandel zwar leichte Verbesserungen.

Diese hätten es allerdings “nicht gerechtfertigt, dass das Paket jetzt durchgekommen ist„. Emissionszertifikate dürften der Industrie keinesfalls mehr kostenlos zugeteilt werden, solche “Subventionen mit der Gießkanne„ müssten ein Ende haben. Statt dessen brauche man Einnahmen aus dem Emissionshandel, um gezielt Innovationen zu fördern. Sie forderte die Bundesregierung auf, bei den kommenden Verhandlungen als Treiber und Gestalter in Sachen Klimaschutz aufzutreten und nicht als Bremser, gerade was die Neuregelungen in “schwierigen Sektoren„ wie Bau und Verkehr und den Ausbau des Sozialfonds betreffe.

Klare und ambitionierte Signale für den Klimaschutz

Sämtliche Maßnahmen des Fit for 55-Pakets seien gleich wichtig und nötig, betonte Audrey Mathieu von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch. Man brauche jedoch einen weltweiten Ansatz und müsse die europäischen Klimaschutzbemühungen in einen weiteren, globalen Kontext stellen. Um dem EU-Paket zu einem Erfolg zu verhelfen, müsse man alle Mitgliedstaaten dafür gewinnen und soziale Härten mit dem Klimasozialfonds abfedern. “ETS II kann nur gelingen, wenn dazu ein ein starkes Instrument des sozialen Ausgleichs eingesetzt wird.„ Vielerorts fehlten aber noch Alternativen zu bisherigen Energieträgern und Antriebsarten, es komme zu Energie- und Mobilitätsarmut.

Die Bundesregierung müsse klare und ambitionierte Signale senden: für den Klimaschutz. Und dürfe dabei nicht die Solidarität den Ärmeren gegenüber aufkündigen. Die französische Ratspräsidentschaft trete im Rat zu wenig ambitioniert auf. Dabei sei es nötig, zum Erreichen der Klimaziele jetzt weitere Sektoren in den Emissionshandel einzubeziehen. Damit die EU den  “Green Deal„ schaffe und das Ziel der Klimaneutralität nicht verstolpere, seien “gigantische„ Investitionen nötig. Bis zum Jahr 2030 brauche man “530 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich„. Für Deutschland bedeute das etwa 100 Milliarden. Aber die Finanzierung stehe momentan noch auf sehr wackeligen Beinen, die Vorschläge hierzu seien der schwarze Fleck auf den ansonsten guten Bemühungen der EU-Kommission. (ll/22.06.2022).

Zeit: Mittwoch, 22. Juni 2022, 18.30 Uhr bis 20 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.900

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