Parlament

Abschließende Bera­tungen ohne Aussprache

Ohne Debatte hat der Bundestag am Donnerstag, 7. Juli 2022, eine Reihe von Vorlagen abgestimmt:

Vermeidung von Doppelbesteuerung: Die Abgeordneten des Bundestages stimmen mit der breiten Mehrheit der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD bei Stimmenthaltung der Fraktion Die Linke für den von der Bundesregierung eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 29. Oktober 2021 zur Änderung des Abkommens vom 7. Oktober 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Mauritius zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen“ (20/1960). Mit demselben Stimmenergebnis haben die Abgeordneten den Gesetzentwurf der Bundesregierung „zu dem Protokoll vom 8. Oktober 2021 zur Änderung des Abkommens vom 9. Juli 2008 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Mexikanischen Staaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen“ (20/2243) angenommen. Mit dem ersten Entwurf sollen entsprechend den BEPS-Mindeststandards nicht nur Doppelbesteuerungen, sondern auch Nichtbesteuerungen oder reduzierte Besteuerungen vermieden werden. Das Verfahren zur Streitbeilegung werde um die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens ergänzt, heißt es in dem Gesetzentwurf. Im zweiten Entwurf geht es insbesondere darum, Empfehlungen des gemeinsamen Projekts von OECD und G20 gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung in das bestehende Doppelbesteuerungsabkommen zu implementieren. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (20/2611) zugrunde.

Saisonarbeitskräfte: „Voller Sozialversicherungsschutz für ausländische Saisonarbeitskräfte“ lautet der Titel eines Antrags (20/1730) der Fraktion die Linke, der mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen gegen das Votum der Abtragsteller abgelehnt wurde. Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (20/2431) zugrunde. Die Linke verweist in ihrem Antrag auf das Modell der „kurzfristigen Beschäftigung“ (bis zu 70 Arbeitstage und „nicht berufsmäßig“ ausgeübt). Diese Beschäftigung ist steuer- und abgabenfrei, weil von einer Absicherung im Heimatland ausgegangen wird. In der Praxis treffe dies jedoch oft nicht zu, schreibt die Fraktion und kritisiert das „Ausbeutungssystem in der Landwirtschaft“: Denn zum fehlenden Sozialversicherungsschutz kämen vielfach Lohnbetrug oder ungerechtfertigte Lohnabzüge dazu. Die Abgeordneten fordern deshalb neben dem vollen Sozialversicherungsschutz ab dem ersten Einsatztag unter anderem die elektronische Aufzeichnung der Arbeitszeiten, mehr Kontrollen durch Zoll- und Arbeitsschutzbehörden sowie verbindliche Qualitätsstandards für private Arbeitsvermittler.

Abgesetzt: Völkermord an den Jesiden: Von der Tagesordnung abgesetzt wurde ein Antrag der AfD, der die „Anerkennung und Verurteilung des Völkermordes an den Jesiden“ fordert (20/2033). „Am 3. August 2014 überfielen die Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staates (IS) mitsamt ihrer Unterstützer die hauptsächlich von Jesiden bewohnte Region Sindschar im Nordirak und leiteten damit einen Massenmord ein“, schreiben die Abgeordneten. Die gezielte Gewalt habe dazu gedient, die Präsenz religiöser Minderheiten im Irak vollständig auszulöschen, insbesondere die der Jesiden, die vom IS als Teufelsanbeter verschrien worden seien. Die Terroristen hätten diejenigen hingerichtet, die sich weigerten, zu konvertieren, und unzählige Schreine, Kirchen, Tempel und andere kulturelle Stätten zerstört. Etwa 5.000 Jesiden seien ermordet und in Massengräbern verscharrt worden, mehr als 7.000 Menschen, vor allem Mädchen und junge Frauen, seien versklavt, vergewaltigt und verkauft worden. Vor dem IS-Überfall hätten etwa 600.000 Jesiden in der Sindschar-Region gelebt, nach der Vertreibung durch die Dschihadisten nur noch rund 40.000. Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung auf, „den Völkermord an den Jesiden im August 2014 anzuerkennen“ und sich auch für eine entsprechende UN-Resolution einzusetzen. Außerdem solle sie die „Taten des Islamischen Staates (IS) beim Völkermord an den Jesiden und all derer, die den IS dabei unterstützt haben, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilen. Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe legt hierzu eine Beschlussempfehlung vor.

Mietwagen: Der Bundestag hat mit der breiten Mehrheit der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und AfD bei Stimmenthaltung der Linksfraktion die „Zweite Verordnung zur Änderung der Kassensicherungsverordnung“ (20/2185, 20/2449 Nr. 2) beschlossen. So hätten sich im Nachgang zur Verordnung zur Änderung der Kassensicherungsverordnung Klarstellungsbedarf sowie weitere redaktionelle Änderungen ergeben. Nach Angaben der Regierung wird die INSIKA-Technik (technische Komponente der Integrierten Sicherheitslösung für messwertverarbeitende Kassensysteme) nicht nur in Taxis, sondern auch in Mietwagen eingesetzt. Damit bedürfe es einer entsprechenden Regelung auch für Mietwagen. Nach der Kassensicherungsverordnung müsse ein Taxiunternehmer, der vor dem 1. Januar 2021 die INSIKA-Technik eingesetzt habe, dies bei einem Fahrzeugwechsel dem Finanzamt mitteilen. Dies sei sowohl für die Wirtschaft als auch für die Verwaltung arbeitsaufwendig. Die Mitteilungspflicht soll daher entfallen. Die Abstimmung erfolgte auf der Grundlage einer Beschlussempfehlung des Finanzausschusses (20/2618).

Einsprüche anlässlich der Bundestagswahl: Die Abgeordneten haben zudem eine Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen anlässlich der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021 (20/2300) einstimmig angenommen. Darin empfiehlt der Ausschuss die Zurückweisung von 127 Wahleinsprüchen wegen Unzulässigkeit beziehungsweise Unbegründetheit. Wie aus der Vorlage hervorgeht, reichen die Begründungen dieser Einsprüche vom Nichtzugang von Briefwahlunterlagen über allgemeine rechtliche und politische Vorbehalte bis hin zu Infektionsschutzmaßnahmen gegen die Coronapandemie oder die Auszählung von Stimmbezirken in Dresden. Wie der Ausschuss ausführt, ist die Wahlprüfung laut Grundgesetz-Artikel 41 Sache des Bundestages. Dieser hat nach den Bestimmungen des Wahlprüfungsgesetzes auf der Grundlage von Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses über die Einsprüche anlässlich der Bundestagswahl vom September 2021 zu entscheiden. Insgesamt seien 2.121 Wahleinsprüche eingegangen. Die Beschlussempfehlungen zu den weiteren Einsprüchen werde der Wahlprüfungsausschuss nach Abschluss seiner Beratungen vorlegen.

Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht: Ebenfalls einstimmig angenommen hat das Parlament eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (20/2640). 

Deutsche Minderheit in Polen: Abgelehnt hat der Bundestag einen Antrag der Unionsfraktion mit dem Titel „Deutsche Minderheit in Polen stärken – Diskriminierung beim muttersprachlichen Unterricht beseitigen“ (20/2559). Gegen die Vorlage haben die Ampelfraktionen und die Linksfraktion gestimmt, dafür die Antragsteller sowie die AfD. Die Anzahl der Stunden des muttersprachlichen Unterrichts solle von drei auf eine Stunde wöchentlich reduziert werden - dies solle nur für Schüler gelten, die der deutschen Minderheit angehören. Die Kürzungen stellten eine „ernstzunehmende und unnötige potenzielle Belastung für die bilateralen Beziehungen“ dar, schreiben die Abgeordneten. Sie verstießen zudem gegen maßgebliche Gesetze und völkerrechtliche Verträge, darunter das polnische Gesetz über nationale und ethnische Minderheiten sowie die Regionalsprache, der deutsch-polnische Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit und das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten.

EU-Außengrenze: Nicht abgestimmt, sondern an den Innenausschuss überwiesen wurde ein von der Linksfraktion vorgelegter Antrag mit dem Titel „Leid an der EU-Außengrenze beenden – Illegale Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen effektiv verhindern“ (20/2582). Die Vorlage wurde mit der Mehrheit von SPD, Grüne, FDP und AfD gegen die Stimmen der Antragsteller und Union überwiesen.

Kurzfriste Beschäftigung: Die Abgeordneten haben mit der breiten Mehrheit des Bundestages einen AfD-Antrag abgelehnt, in dem die Fraktion die Ausweitung der kurzfristigen Beschäftigung von 70 auf 102 Arbeitstage fordert (20/1745). Damit solle die Verfügbarkeit von Saisonarbeitskräften und zugleich die Ernährungssicherheit erhöht werden, schreiben die Abgeordneten. Sie verweisen auf die wirtschaftlich angespannte Situation, in der sich Deutschland auf eine Wirtschaftskrise zu bewege. Während der Corona-Pandemie wurde, zeitlich befristet, die Dauer der kurzfristigen Beschäftigung auf 102 Tage erweitert. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (20/2431) zugrunde.

Petitionen: Darüber hinaus stimmt das Parlament über neun Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses zu Eingaben ab, die beim Bundestag eingegangen und vom Petitionsausschuss beraten worden waren. Es handelt sich um die Sammelübersichten 117 bis 139 (20/2377, 20/2378, 20/2379, 20/2380, 20/2381, 20/2382, 20/2383, 20/2384, 20/2385, 20/262620/2627, 20/2628, 20/2629, 20/2630, 20/2631, 20/2632, 22/2633, 20/2634, 20/2635 20/2636, 20/2637, 20/2638, 20/2639). 

Einwanderungsgesetz gegen Fachkräftemangel

Darunter befindet sich auch eine Petition mit der Zielrichtung, dem Fachkräftemangel in Deutschland durch ein Einwanderungsgesetz entgegenzutreten. Zur Begründung ihrer öffentlichen Eingabe (ID 72019) führt die Petentin unter anderem an, dass der Umgang des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht dem Anspruch folge, „durch Einwanderung unsere Wirtschaft zu stärken“.

Im wirtschaftlichen Interesse erscheine es vielmehr zielführend, die Entscheidungsgewalt für die Bewilligung der Einwanderung auf die lokale Ebene zu bringen. Denkbar sei, dass anstelle des Bundesamtes die Innungen und Kammern als Wirtschaftsvertreter der Betriebe zusammen mit den Landrats- und Arbeitsämtern die relevanten Entscheidungen über Bleiberecht und Arbeitsgenehmigung träfen.

Arbeitswille und individuelle Fähigkeiten 

Die Petentin verlangt außerdem, dass abgelehnte Asylbewerber, die gut integriert sind, ein Bleiberecht erhalten sollten. Sie kritisiert, dass überwiegend Menschen mit Abitur oder Studium nach Deutschland kommen dürften. Dabei bestehe gerade auch in Ausbildungsberufen ein Bedarf an geeigneten Mitarbeitern. Relevant seien insbesondere der Arbeitswille und individuelle Fähigkeiten – „nicht nur die Schulbildung“, heißt es in der Petition. 

Die vom Petitionsausschuss in der Sitzung am 22. Juni 2022 verabschiedete Beschlussempfehlung an den Bundestag sieht nun vor, die Eingabe dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sowie dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) „als Material“ zu überweisen. Den Verfahrensgrundsätzen des Petitionsausschusses zufolge bedeutet dies, dass die Bundesregierung die Petition „in die Vorbereitung von Gesetzentwürfen, Verordnungen oder anderen Initiativen oder Untersuchungen einbeziehen soll“.

Trennung von Arbeitsmigration und Asylzuwanderung

In der Begründung zu seiner Beschlussempfehlung macht der Petitionsausschuss darauf aufmerksam, dass in den Asylverfahren, die beim Bundesamt durchgeführt werden, „ausschließlich asylrelevante Gesichtspunkte zu beurteilen sind“. Die Entscheidung über die Zuerkennung eines Flüchtlingsstatus werde damit unabhängig davon getroffen, ob es wirtschaftliche Interessen an dem Verbleib des Ausländers in Deutschland geben könnte. 

Die Erteilung von Aufenthaltstiteln an Ausreisepflichtige – der sogenannte Spurwechsel – sei eine Frage des staatlichen Steuerungsanspruchs, heißt es unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des BMI weiter. Es sei auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber denjenigen, die die Regeln für eine legale Zuwanderung einhalten. „Die Zulassung dieses Spurwechsels könnte ein falsches Signal senden, dass alle, die es unter Umgehung der Einreisebestimmungen irgendwie illegal nach Deutschland geschafft haben, gute Aussichten haben, hier bleiben zu können, wenn sie sich nur integrationswillig zeigen“, heißt es in der Vorlage.

Im deutschen Recht sei eine klare Trennung von Arbeitsmigration und Asylzuwanderung vorgenommen worden, um aussichtslose Asylanträge mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme in Deutschland zu verhindern und Fehlanreize zu vermeiden. Auch würde es laut BMI dem humanitären Anliegen des Asylrechts widersprechen, es mit Nützlichkeitsargumenten für die Wirtschaft zu verbinden. 

Weiterentwicklung des Einwanderungsrechts

Mit Blick auf den Koalitionsvertrag weist der Petitionsausschuss auf das Vorhaben von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hin, das Einwanderungsrecht weiterzuentwickeln. Dazu seien umfangreiche Gesetzgebungsverfahren erforderlich. Einen konkreten Zeitplan für diese Gesetzesänderungen gebe es derzeit noch nicht. Vor diesem Hintergrund sprechen sich die Abgeordneten mehrheitlich für die Materialüberweisung aus.

(hau/ste/irs/07.07.2022)

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