Mangel an Fachkräften zur Versorgung geflüchteter Kinder
Einen Mangel an Fach- und Sprachkräften vor allem im Bereich der Trauer- und Traumabewältigung bei aus der Ukraine geflüchteten Kindern beklagten die Sachverständigen im öffentlichen Expertengespräch der Kinderkommission des Deutschen Bundestages (KiKo) zum Thema „Welche Projekte unterstützen Kinder und Jugendliche konkret hier in Deutschland? Beispiele aus der Praxis“ am Mittwoch, 6. Juli 2022.
Vorstellung unterschiedlicher Projekte
Ihre Projekte zielten zunächst vor allem darauf, Kindern auf der Flucht ein sicheres Umfeld zu gewähren, in dem sie Abstand vom Kriegsgeschehen gewinnen könnten, betonten die Expertinnen von Hilfsorganisationen. Die Grundausstattung von Hilfseinrichtungen versuche man durch private Spendengelder zu verbessern, in einem Pilotprojekt in Berlin habe man die Kinder an der Gestaltung ihrer Unterkünfte beteiligt. Von Politik und Verwaltung forderten die Expertinnen eine Verstetigung von Projektgeldern und eine schnellere Antragsbewilligung.
Mitentscheiden, wie ihr Heim gestaltet wird, und auch eine Budgetverantwortung übernehmen konnten Kinder in vier Flüchtlingsunterkünften in Berlin-Mitte im Rahmen des Projekts „Kinder- und Jugendparlament“ 2020/21, berichtete Projektleiterin Hannah Weber von der Berliner Stadtmission. Ziel des Projekts sei gewesen, „Beteiligungsmöglichkeiten“ für Kinder zu stärken und „nachhaltige Beteiligungsstrukturen“ aufzubauen. Verantwortung übertragen zu bekommen, habe den Kindern ein Mehr an Selbstwertgefühl gegeben. „Es ist wahnsinnig gut angekommen und angenommen worden.“
Situation in den Notunterkünften
Im Auftrag von Ländern und Kommunen baue und unterhalte man Unterkünfte und Betreuungseinrichtungen in ganz Deutschland, sagte Anne Ernst, Bereichsleiterin Krisenmanagement und Nothilfe bei der Johanniter-Unfall-Hilfe. Von 50 mit 5,8 Millionen Euro aus privaten Spendengeldern finanzierten Projekten richteten sich die Hälfte ausschließlich an Kinder. Die Situation gerade in den Notunterkünften, in denen Familien und Kinder oft mehrere Wochen verweilten, sei für diese nicht immer einfach.
„Stellen Sie sich vor, Sie kommen mit ihren Kindern in einer Turnhalle unter, von den Nachbarn abgeschottet lediglich durch Vorhänge und Leichtbauwände.“ Es gebe dort einen ständigen Lärmpegel, der einen nicht richtig schlafen lasse, man habe kaum eine Privatsphäre, die tägliche Hygiene finde in Gemeinschaftswaschräumen statt, ein Standardessen komme von einem Caterer.
Fehlende Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten
„Es gibt große Schwierigkeiten.“ Seien es fehlende Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten oder die Ernährungsweise, all das steigere das Konfliktpotenzial und die Wahrscheinlichkeit, dass es Streit gebe. Kindern fehlten Spielflächen und eine feste Tagesstruktur. „Wir nutzen jede Form der Kreativität, um die Situation zu verbessern“, sagte Ernst. „Über die privaten Spenden kaufen wir zu, von Hygieneartikeln bis zu Kinderkleidung.“ Als Leuchtturmprojekte nannte sie die Anmietung leerstehender Gebäude zur Unterbringung von Geflüchteten in München, einen „Spielbus“ in Magdeburg und einen „Spielcontainer“ in Frankfurt.
Um die traumatisierende Erfahrungen von Kindern aus Kriegsgebieten zu bearbeiten und langfristige psychische Folgen vermeiden, gebe es leider zu wenige wenige Behandlungsplätze und Fachkräfte. Die Johanniter leisteten in mehreren Städten psychosoziale Unterstützung und schulten eigene Mitarbeiter im Umgang mit Traumaerfahrungen, um Angebote im nierdigschwelligen Bereich machen zu können. Auch Muttersprachler in Ukrainisch kämen dabei zum Einsatz. Fehle diesen die fachliche Qualifikation als Voraussetzung für eine Einstellung werde ihr Einsatz über Spenden finanziert. Die Personalsituation sei schwierig, auch wegen der zeitlichen Befristung der Projekte. Die Kräfte vor Ort wünschten neben ausreichenden finanziellen Mitteln „vor allem Offenheit und Flexibilität, statt dem Schreiben von Anträgen.“
Besuch der Kitas als ein wichtiger Baustein
Iris Naumann-Söllner, Bereichsleiterin „Kinder, Jugend und Familien“, ebenfalls Johanniter-Unfall-Hilfe, ergänzte, es gelte „punktuelle und kurzfristige Einsätze“ zu „verstetigen“. So müsse man die zu über 100 Prozent aus Spenden finanzierten Projekte für trauernde Kinder auf Dauer schalten. Man schule jetzt Mitarbeitende und Ehrenamtliche in Einrichtungen, bringe ein „Hospiz für Kids“ auf den Weg. Für so wichtige Themen im Bereich des Kinderschutzes gebe es leider „keine verstetigten Gelder.“
Aus der Erfahrung mit Geflüchteten in den fast 1800 vom Deutschen Roten Kreuz betriebenen Kindertagesstätten, in denen man fast 130.000 Kinder jeglicher Herkunft betreue, berichtete Luisa Springer, Teamleitung „Kinder, Jugend und Bildung“ beim Deutschen Roten Kreuz Bundesverband. In erster Linie wolle man den Kindern dort ein sicheres Umfeld bieten, in dem sie „ausgelassen sein können, Abstand von dem Thema Krieg bekommen“. Der Besuch der Kitas sei zudem ein wichtiger Baustein, damit der Übergang in das Schulsystem gelinge. Den Eltern biete man damit eine Entlastung, damit diese sich um ihre Arbeit und Behördengänge kümmern könnten.
Fortbildung von Mitarbeitern und Fachkräften
Wo der Schuh die Kitas bei ihrer Arbeit besonders drückt, machte Birgit Poschmann vom Kreisverband Coesfeld e.V. des Deutsches Roten Kreuzes deutlich. Obwohl Kinder schnell in der Lage seien, nicht-sprachlich zu interagieren, suche man natürlich weiter nach Mitarbeitern mit ukrainischer Sprachkompetenz. Wichtig sei auch, Mitarbeiter und Fachkräfte in der Frage fortzubilden, welche Themen die Kinder aktuell beschäftigten. Bei der Weiterbildung könne man an die Erfahrungen von 2015 anknüpfen.
Die Politik müsse schließlich dafür sensibilisiert werden, dass in den Kitas nicht mehr nur Erzieherinnen und Erzieher arbeiteten, sondern man dort für eine angemessene Versorgung der Kinder auch auf die Mitarbeit etwa von Therapeuten angewiesen sei, die jedoch entsprechend ihrer fachlichen Qualifikation bezahlt werden müssten. (ll/06.07.2022)