Leni Breymaier steht Frauenrechtlerin aus Afghanistan bei
Sie ist ehemalige Parlamentarierin, fast derselbe Jahrgang, sie hat dasselbe Sternzeichen, aber sie kann nicht so leben wie Frauen anderswo oder wie die Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier (SPD): die Frauenrechtlerin und ehemalige Parlamentarierin Zuhra Mutaher Ahmadzai aus Afghanistan. Der überhastete Abzug der internationalen Schutztruppen ließ sie die Flucht vor den Taliban ergreifen und es verschlug sie nach Australien. Aber nicht alle aus ihrer Familie schafften die Flucht. Breymaier fühlt sich ihr verbunden, ja, verpflichtet, ihr zu helfen. Und hat für sie eine Patenschaft im Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) des Bundestages übernommen. „Ich empfinde große Solidarität mit ihr.“
„Auf einmal waren alle in Not“
Kennengelernt hat Breymaier Zuhra Ahmadzai im März 2021 in Berlin. Die Dinge liefen da für Afghanistan noch relativ normal, erinnert sich die SPD-Abgeordnete, obwohl sich in dem Land bereits Angst vor dem Rückzug der internationalen Truppen breit machte. Eine Gruppe afghanischer Politikerinnen, Frauenrechtlerinnen, die sich an den Familienausschuss des Deutschen Bundestages gewandt hatte, traf sich in jenem Frühling im Bundestag mit Ausschussmitgliedern, um ihre internationale Vernetzung voranzutreiben, mit Bundestagsabgeordneten ein Frauennetzwerk zu gründen und die Frauenrechte zu stärken.
Nur wenige Monate später, im August, ließen dann der Abzug der internationalen Schutzmächte und die Machtübernahme der Taliban die bisherige Ordnung in Afghanistan zusammenbrechen. „Niemand hatte für möglich gehalten, dass die in zwei Jahrzehnten aufgebauten Strukturen so schnell hinweggefegt würden“, sagt Breymaier. Der rasche Abbau der internationalen Präsenz, allen voran der USA, habe alle überrollt. „Auf einmal waren alle in Not“, erinnert Breymaier an diejenigen, die an einem demokratischen Afghanistan mitgearbeitet hatten. „Vor allem Frauen.“ Sie hätten schließlich in dem Weltbild der Taliban keinen vernünftigen Platz, waren diesen nun ausgeliefert, wurden angefeindet, angegriffen, gedemütigt, ja getötet. Die internationalen Evakuierungen aus Afghanistan waren bald beendet. „Dann mussten die Leute auf eigene Faust über die Grenze.“
Entschluss zur Patenschaft
Deutschland befand sich zu dieser Zeit im Wahlkampf-Modus. Auch die SPD-Abgeordnete kämpfte in ihrem Wahlkreis um ein neues Mandat für den Bundestag. „Aber wir fragten uns: Was passiert jetzt mit diesen Frauen“, so Breymaier. „Ich habe mich dann entschlossen, für Zuhra Ahmadzai eine Patenschaft in dem PsP-Programm des Bundestages zu übernehmen.“ Umgehend nach der Machtübernahme der Taliban im August habe sie zudem an die damaligen Bundesminister des Äußeren, des Inneren und der Verteidigung geschrieben, die Frauen bei der Evakuierung zu berücksichtigen oder diese bei ihren Ausreisebemühungen zu unterstützen.
Aus ihrem Wahlkreis und über ihre frauenpolitischen Netzwerke habe sie über 250 Gesuche an das Auswärtige Amt weitergeleitet mit der Bitte, Ahmadzai und weiteren Afghaninnen und Afghanen zu helfen. Während einigen wenigen der Frauen des geplanten Netzwerks die Ausreise etwa über doppelte Staatsbürgerschaften oder ausländische Partner gelang, glückte Zuhra Ahmadzai die Flucht zunächst nicht. Im Frühjahr dieses Jahres konnte sie schließlich nach Australien ausreisen, wo sie in Sicherheit und erst einmal mit dem Nötigsten versorgt sei, berichtet Breymaier.
Familie noch in Afghanistan
Dennoch befinde sich die Afghanin weiterhin in einer dramatischen Situation. Nicht nur, dass sie nicht mehr in ihrem Heimatland leben und arbeiten könne. Außer ihrem Sohn befinde sich zudem noch ihre Familie in Afghanistan. Die hätten es dort nicht einfach als Angehörige einer ehedem bekannten Frauenrechtlerin, die sich in den letzten zehn Jahren politisch sehr exponiert hatte. Sie fänden keine Beschäftigung, kämen finanziell kaum über die Runden, würden angefeindet.
Ahmadzai war 2021 stellvertretende Vorsitzende des „Hohen Rates für nationale Aussöhnung“ und zuvor Vertreterin eines Provinzrates, dann stellvertretende Gouverneurin für soziale und kulturelle Angelegenheiten der Provinz Paktia. Seit 2003 hatte sie bereits für das „Ministerium für Frauenangelegenheiten“ als Ausbilderin gearbeitet und war für verschiedene Einrichtungen als Lehrerin tätig gewesen.
„Ihr zeigen, dass sie nicht vergessen wird“
Die Bemühungen von Ahmadzai und Breymaier richten sich nun darauf, der Familie in Afghanistan finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen und ihr zu ermöglichen, ebenfalls nach Australien auszureisen. „Ein leider nicht sehr Erfolg versprechendes Unterfangen“, meint Breymaier mit Blick auf die Ausreise. Selbstverständlich werde sie auch einen Aufenthalt in Deutschland unterstützen, falls es nach Australien partout nicht klappen sollte. Aber der Zielort habe für Ahmadzai keine Priorität, sondern es gehe jetzt vor allem um die Familienzusammenführung in Sicherheit.
Mit Ahmadzai stehe sie in regelmäßigem Kontakt, erzählt Breymaier. Es funktioniere leidlich gut: „Wir tauschen uns per Video mit Webex aus.“ Ahmadzai spreche noch kaum Englisch, ihr Sohn übersetze. Auch Briefe habe sie bereits geschrieben, ihr darin ihre Unterstützung versichert, solange sie es wünsche. „Es geht mir in erster Linie darum, ihr zu zeigen, dass sie nicht vergessen wird, sie spüren zu lassen, dass uns ihr Schicksal weiter interessiert.“
„Afghanistan ist ein geschundenes Land“
Bei der überhasteten Evakuierung im vergangenen Spätsommer habe die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf dem Rückzug des Militärs und auf der Rettung der sogenannten Ortskräfte gelegen. Man hätte aber noch viel stärker auf die bedrohliche Lage der Frauen achten und diesen mehr Ausreisemöglichkeiten geben müssen. In Afghanistan sei die Staatengemeinschaft leider „erbärmlich gescheitert“, so Breymaier. Man habe versucht, dem Land demokratische Strukturen zu geben, habe zivile, militärische und Polizeikräfte ausgebildet. „Aber man hat dann nicht verstanden, warum das nicht gefruchtet hat.“ Innerhalb von kürzester Zeit hätte die Mehrheit der einst für das demokratische Afghanistan rekrutierten Leute für die Taliban gearbeitet.
„Wir haben dem Land leider nicht helfen können. Afghanistan ist ein geschundenes Land, das ausblutet.“ Momentan fliehe, wer könne. Afghanen habe es in die ganze Welt verschlagen. Die müssten sich erst einmal um sich selbst kümmern, persönlich wieder Tritt fassen, bevor sie sich irgendwie politisch engagieren könnten. „Aber der Samen der Demokratie und Freiheit ist gesät bei den Menschen aus Afghanistan. Es sind diese Menschen, die ihr Land verändern müssen.“ Und es gebe viele, die das wollten. „Wir werden dieses Land nicht von außen verändern können. Das können nur die Menschen dort.“
Schwierige Lage der Frauen
Die Lage von Ahmadzai mache ihr immer wieder aufs Neue deutlich, wie schwer Frauen es anderswo, und wie gut sie es hierzulande hätten, so Breymaier. Schon diese Erkenntnis sei für sie eine Verpflichtung für die Rechte der Frauen zu kämpfen, die Unterstützung für Ahmadzai als Teil ihrer Arbeit als Bundestagsabgeordnete zu begreifen und sich nicht in einer Wohlfühlblase auszuruhen. „Diese Leichtigkeit hier muss eine Verpflichtung sein.“
Innerhalb unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung habe sie alle Möglichkeiten, sich für andere, denen es nicht so gut gehe, einzusetzen, könne die Themen setzen, die ihr wichtig seien, ordnet Breymaier ihr Engagement für Ahmadzai in einen größeren Zusammenhang ein. Dazu gehört ihr Einsatz für Menschen- und insbesondere für Frauenrechte weltweit, betont die SPD-Politikerin. „Da kann ich mich nicht ausruhen.“
Als frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion betrachtet Breymaier die Entwicklung der Lage der Frauen weltweit mit Sorge. „Frauenrechte werden überall geschliffen, egal, ob ich nach Afghanistan, in die Türkei, nach Polen oder Ungarn schaue.“ Sie mache seit Langem Politik für Frauen. Das sei immer eine Entwicklung nach vorne gewesen – mal schneller, mal langsamer. „Seit einiger Zeit aber geht es nicht mehr voran.“ Sie wolle das gar nicht an einzelnen Ländern festmachen, das sei ein globales Phänomen.
Unterstützung für Ahmadzai persönliches Anliegen
Die schwierige Situation aber gebe ihr Antrieb, weiterzumachen und das Erreichte zu verteidigen. Dazu müssten sich die Frauen gegenseitig Mut machen. Das sei auch ihre Botschaft an Ahmadzai: „Ich habe dich im Auge. Und wenn es Schwierigkeiten gibt oder es persönlich gar nicht weitergeht, versuche ich dir zu helfen.“ Die Unterstützung Ahmadzais sei ihr ein persönliches Anliegen, sagt Breymaier. „Ich möchte mit der Patenschaft erreichen, dass sie wieder ein gutes Leben führen kann, auch wenn sie sicher nicht in fünf Jahren wieder in einem Parlament wird sitzen können.“
Ahmadzai habe versucht ihr Land besser zu machen und es dann geschafft, ihr Leben zu retten. Jetzt müsse es darum gehen, dass sie ein sicheres und auskömmliches Leben führen könne. Das PsP-Programm des Deutschen Bundestages helfe bedrohten Kolleginnen und Kollegen sowie Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtlern weltweit. Abgeordnete aller Fraktionen übernehmen darin Patenschaften. Voller Wertschätzung sei sie für den Einsatz Ahmadzais und anderer für Demokratie und Menschenrechte, betont Breymaier. „Sollte hier bei uns einmal etwas passieren, wäre ich auch froh über jede Hilfe.“ (ll/19.07.2022)