Parlament

Bundesregierung hätte Bundestag frühzeitig informieren müssen

Vor dem Gerichtsgebäude steht auf einem Steinblock der Schriftzug Bundesverfassungsgericht.

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Bundesregierung den Bundestag frühzeitig über das Krisenmanagementkonzept für die Militäroperation „Eunavor Med Operation Sophia“ hätte informieren müssen. (picture alliance/dpa | Uli Deck)

Die Bundesregierung hätte den Bundestag frühzeitig über das Krisenmanagementkonzept für die Militäroperation „Eunavor Med Operation Sophia“ informieren müssen. Wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch, 26. Oktober 2022, bekanntgab, hat der Zweite Senat entschieden, dass die Bundesregierung die Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) verletzt hat. Zum einen habe sie diesen nicht umfassend und frühestmöglich über den Entwurf eines Krisenmanagementkonzepts für die Militäroperation „Eunavor Med Operation Sophia“ im Mittelmeerraum informiert. Zum anderen habe die Bundesregierung nicht nachvollziehbar dargelegt, dass ein an die damalige Bundeskanzlerin gerichtetes Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten vom 23. September 2015 nicht der Unterrichtungspflicht nach Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz unterfällt.

Gemeinsamen Verantwortung von Exekutive und Legislative

Die Fraktionen Bündnis 90/die Grünen und Die Linke im Deutschen Bundestag hatten im Wege des Organstreits die Verletzung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages geltend gemacht. Die in Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz verankerte Pflicht der Bundesregierung zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung sei Ausdruck der gemeinsamen Verantwortung von Exekutive und Legislative für Angelegenheiten der Europäischen Union und Voraussetzung für eine effektive Wahrnehmung der dem Bundestag zukommenden Mitwirkungsrechte. Ihre Erfüllung habe daher den Informationsbedürfnissen des Bundestages in sachlicher, zeitlicher und förmlicher Hinsicht zu genügen. Die Unterrichtung des Bundestages müsse in sachlicher Hinsicht umfassend sein, in zeitlicher Hinsicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt und in einer zweckgerechten Weise erfolgen.

Die Verpflichtung der Bundesregierung zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung des Bundestages gelte auch für Maßnahmen in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Diese Verpflichtung gelte gegenüber dem Bundestag insgesamt und werde nur erfüllt, wenn die Informationen allen Abgeordneten und damit auch der Öffentlichkeit frei zugänglich sind. Seine Repräsentationsfunktion nehme der Deutsche Bundestag grundsätzlich in seiner Gesamtheit wahr, durch die Mitwirkung aller seiner Mitglieder, nicht durch einzelne Abgeordnete, eine Gruppe von Abgeordneten oder die parlamentarische Mehrheit.

Grenzen der Unterrichtungspflicht

Auch eine klassifizierte, das heißt Geheimschutzregelungen unterliegende Information des Bundestages werde den Anforderungen von Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz grundsätzlich nicht gerecht, weil die Information des Parlaments zugleich dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit diene. Entscheidungen von erheblicher Tragweite müsse grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhalte, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen in öffentlicher Debatte zu klären.

Grenzen der Unterrichtungspflicht der Bundesregierung können sich aus dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung oder dem Staatswohl ergeben. Sollte die Bundesregierung ihre Informationspflicht deshalb ganz oder teilweise nicht erfüllen wollen, müsse sie sich gegenüber dem Deutschen Bundestag darauf berufen und die Gründe für den Verzicht auf seine umfassende und frühestmögliche Unterrichtung darlegen. Durch das Begründungserfordernis sei gewährleistet, dass der Bundestag die Gründe der Verweigerung einer Unterrichtung beziehungsweise einer Einstufung erfährt und in die Lage versetzt wird, sie nachzuvollziehen und die Erfolgsaussichten einer Inanspruchnahme verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes abzuschätzen. Eine substantielle Begründung sei zudem unentbehrliche Grundlage der (verfassungs-)gerichtlichen Kontrolle, die andernfalls weitgehend zur Disposition der Bundesregierung stünde. (eis/26.10.2022)

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