Kultur

Evelyn Zupke: Anerkennung von SED-Opfern vereinfachen

Die Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke, hat ihre Forderung nach einer vereinfachten und schnelleren Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden bei Opfern der SED-Diktatur in der ehemaligen DDR bekräftigt. Neun von zehn Antragstellern scheiterten mit der Anerkennung von gesundheitlichen Folgeschäden, da nach Jahrzehnten der Zusammenhang zwischen staatlichen Repressionen wie zum Beispiel Gefängnishaft und physischen oder psychischen Schäden kaum nachzuweisen sei, führte Zupke am Mittwoch, 9. November 2022, vor dem Kulturausschuss aus.

Der Ausschuss hatte seine öffentliche Sitzung anlässlich des 33-jährigen Jahrestages des Mauerfalls am 9. November 1989 ganz unter den Aspekt der Aufarbeitung der SED-Diktatur gestellt. So stellte die Robert-Havemann-Gesellschaft ihre Machbarkeitsstudie für ein Forum Opposition und Widerstand auf dem Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg vor. Dort soll die Geschichte der DDR-Opposition und ihr Kampf um Freiheit dargestellt werden. Dieses Konzept wird auch von Zupke unterstützt. Darüber hinaus lag der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2021 (19/31840) vor. 

„Ich werde bei diesem Thema nicht nachlassen“

Zupke warb vor dem Ausschuss eindringlich dafür, im Fall eines eindeutigen Krankheitsbildes und dem Nachweis einer politischen Haftstrafe oder anderer staatlicher Repressionen die Beweislast bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden umzukehren. Dies sollte nach dem Vorbild der Anerkennung von posttraumatischen Belastungsstörungen von Bundeswehrsoldaten in Einsätzen geschehen. In diesen Fällen soll nach den Vorstellungen Zupkes von einer 30-prozentigen Gesundheitsschädigung ausgegangen werden, da dies die Grenze für Entschädigungszahlungen sei.

In ihrem Jahresbericht (20/2220) forderte Zupke zudem eine Erhöhung und Dynamisierung der Opferrenten und die Schaffung eines bundesweiten Härtefallfonds für SED-Opfer. Viele von ihnen lebten heute an der Armutsgrenze, führte Zupke aus. Sie wies zudem darauf hin, dass längst nicht alle SED-Opfer als solche anerkannt würden. Dies betreffe zum Beispiel die Opfer von Zwangsdoping im Sport oder Fluchthelfer, die in anderen sozialistischen Staaten zu Haftstrafen verurteilt worden seien. Zupke begrüßte, dass sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag auf eine Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze geeinigt hätten. „Ich werde bei diesem Thema nicht nachlassen“, sagte Zupke.

Lob für Arbeit der SED-Opferbeauftragten

Die Opferbeauftragte betonte zudem die gesamtdeutsche Verantwortung für die Aufarbeitung des SED-Unrechts. Dazu gehöre auch die Auseinandersetzung mit der Zwangsarbeit politischer Häftlinge in den DDR-Gefängnissen, von der westdeutsche Konzerne beispielsweise in der Textil- und Möbelindustrie profitiert hätten.

Alle Fraktionen lobten ausdrücklich Zupke für ihre geleistete Arbeit als Opferbeauftragte seit ihrer Wahl durch den Bundestag im Jahr 2021. Sie sei die „richtige Person“ für diese wichtige Arbeit, hieß es übereinstimmend.

Ausschuss gedenkt früherem DDR-Bürgerrechtler

In seiner Sitzung gedachte der Ausschuss auch an den am Mittwoch verstorbenen früheren DDR-Bürgerrechtler und späteren Bundestagsabgeordneten Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen).

Schulz war auf einer Veranstaltung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue zum 9. November zusammengebrochen und gestorben.

Bericht der SED-Opferbeauftragten

Der erste Jahresbericht führt aus, welche konkreten Schritte folgen müssten, um die soziale Lage der Opfer zu stabilisieren, um Gerechtigkeitslücken in den Gesetzen zu schließen und die Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden zu vereinfachen. Bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden scheitere aber die breite Mehrheit der Opfer. Seit mehr als zwanzig Jahren werde probiert, durch Änderungen und Ergänzungen der bestehenden Regelungen eine Verbesserung zu erreichen.

Zupke schlage deshalb vor, dass auf Grundlage klar definierter Kriterien, wie politische Haft oder Zersetzung, und definierter Krankheitsbilder der Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem heutigen Gesundheitsschaden als gegeben vorausgesetzt wird. Eine solche konkretisierte Vermutungsregelung werde seit Jahren erfolgreich für die durch die Auslandseinsätze körperlich und psychisch geschädigten Soldaten angewandt. Mit dieser Regelung für die SED-Opfer würden unnötige Bürokratiekosten gespart und das Vertrauen der Opfer in den Rechtsstaat gestärkt werden.

Dynamisierung der monatlichen Opferrente

In ihrem Bericht verweist Zupke auf eine Studie der Brandenburger Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur aus dem Jahr 2020, nach der fast jeder zweite der in Brandenburg lebenden Betroffenen von SED-Unrecht über ein Haushaltseinkommen von weniger als 1.000 Euro verfügt. Runde 60 Prozent der Betroffenen litten zudem nach eigenen Angaben unter den körperlichen und psychischen Auswirkungen der erlittenen Repressionen. Dies zeige eindrücklich, „wie die Folgen der Diktatur bis heute bei den Betroffenen und ihren Familien fortwirken und ihr tägliches Leben beeinflussen“, schreibt die Opferbeauftragte.

Konkret fordert Zupke eine Dynamisierung der monatlichen Opferrente von aktuell 330 Euro. Aufgrund der aktuell steigenden Inflation sinke der reale Wert der vorangegangenen Erhöhung zunehmend. Deshalb müsse die Opferrente neben einer „spürbaren Erhöhung“ dynamisiert werden, um die wiederkehrende Debatte über die Angemessenheit der Opferrente, die von vielen Opfern der SED-Diktatur als belastend wahrgenommen werde, zu vermeiden. Zudem spricht sich Zupke dafür aus, den Bezug der Opferrente von der Bedürftigkeit der Bezieher zu entkoppeln. Die Opferrente diene „der Würdigung des besonderen Schicksals der politischen Häftlinge und der Opfer, die in Jugendwerkhöfen und Spezialkinderheimen untergebracht wurden“. Ebenso tritt Zupke für die Vererbbarkeit der Opferrente an Ehe- und Lebenspartner ein. In den Genuss der Opferrente sollen nach dem Willen Zupke zukünftig auch alle deutschen Staatsbürger kommen, die außerhalb der ehemaligen DDR im kommunistischen Ausland inhaftiert waren.

Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2021

Nach mehr als drei Jahrzehnten ist aus Sicht der Bundesregierung das wieder vereinte Deutschland „nicht nur wirtschaftlich, sondern auch auf der Ebene der Einstellungen und des subjektiven Empfindens zusammengewachsen“. So lautet das Fazit des Jahresberichts der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2021, der als Unterrichtung (19/31840) vorliegt.

Bei allen Enttäuschungen und Missverständnissen seien diese drei Jahrzehnte durch ein großes solidarisches Miteinander geprägt gewesen. Mindestens ebenso wichtig ist laut Regierung die Aussage, „dass das vereinte Deutschland mit großem Optimismus in die Zukunft schauen kann“. Die trotz Pandemie guten wirtschaftlichen Aussichten und der starke gesellschaftliche Zusammenhalt böten eine tragfähige Grundlage für die weitere gemeinsame und erfolgreiche Entwicklung des vereinten Deutschlands.

Eine wechselseitige Kenntnis und Auseinandersetzung mit den kollektiven Erinnerungen in den alten und neuen Bundesländern seien eine wichtige Grundlage, diesen Prozess weiter zu fördern, heißt es in dem Bericht. Mindestens ebenso wichtig sei es, gemeinsam in die Zukunft zu schauen und sich konstruktiv damit auseinanderzusetzen, wie Deutschland die großen Herausforderungen wie die Folgen der Pandemie, Globalisierung, Migration, Digitalisierung, Klimawandel und die ungünstige demografische Entwicklung meistern kann. „Die Grundlage dafür ist trotz des tiefen Einschnitts durch die Covid-19-Pandemie in der zurückliegenden Legislaturperiode gefestigt worden“, urteilt die Bundesregierung. (eis/aw/hau/09.11.2022)

Zeit: Mittwoch, 9. November 2022, 14 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.400

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