Svenja Schulze: Soziale Sicherheit wichtiger denn je
Aufgabe der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist es, eine globale Strukturpolitik umzusetzen. Das hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Svenja Schulze (SPD) am Mittwoch, 18. Januar 2022, im Bundestag betont. In der ersten Regierungsbefragung im neuen Jahr sagte die Ministerin, davon profitiere ganz Deutschland. Sicherheit sei eine Grundvoraussetzung: Es gehe um Energie, um Ernährungssicherheit, soziale Sicherheiten, menschenwürdige Arbeit. Dies weltweit zu stärken, sei das Ziel ihrer Entwicklungspolitik, die auch Sicherheitspolitik sei.
Ministerin: Mit sozialem Netz besser durch die Krise
Für die menschliche Sicherheit sei bereits viel erreicht worden. Das von ihr initiierte Bündnis für globale Ernährungssicherheit sorge dafür, dass die Hilfe bei den Menschen ankomme, die am stärksten von Hunger und Mangelernährung betroffen sind, sagte Schulze. Soziale Sicherheit sei in Krisenzeiten wichtiger denn je: „Wo ein soziales Netz aufgespannt ist, kommen alle besser durch die Krise.“
Aufbau sozialer Sicherungssysteme
Vier Milliarden Menschen hätten keinen Zugang zu sozialer Sicherung und müssten die Risiken alleine schultern. Die Bundesregierung setze sich dafür ein, soziale Sicherheit auf- und auszubauen, durch Projekte mit Partnerländern und durch globale Initiativen. Mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und der Weltbank habe sie vereinbart, soziale Sicherungssysteme aufzubauen und menschenwürdige Arbeit zu fördern.
Das Sofortprogramm zugunsten der Ukraine hat nach den Worten der Ministerin geholfen, dem Land das zu geben, was es vor allem braucht: medizinische Versorgung, Wasser, Strom. Die Welt sei im Umbruch, und mit ihrer Entwicklungspolitik gestalte die Bundesregierung diesen Umbruch.
CDU/CSU fragt nach Etatkürzungen
Volkmar Klein (CDU/CSU) fragte die Ministerin, weshalb angesichts der von ihr angesprochenen Herausforderungen der Etat des Ministeriums zweimal in Folge gesenkt worden sei: „Ist das die Zeitenwende in der Entwicklungspolitik?“ Schulze erwiderte, der Haushalt sei insgesamt geschrumpft, weil die in den Corona-Jahren beschlossenen Ausnahmen weggefallen seien. Prozentual sei der Anteil des Entwicklungsetats am gesamten Bundesetat aber von 2,49 auf 2,55 Prozent gestiegen.
Auf die Frage des CSU-Abgeordneten Dr. Wolfgang Stefinger, wo die Ministerin im Haushalt 2024 den Rotstift ansetzen werde, antwortete Schulze, sie sei im Dialog mit dem Finanzminister und zuversichtlich, zu guten Lösungen zu kommen. Am besten gegen den Hunger helfe, wenn lokal produzierte Lebensmittel vor Ort gekauft werden könnten. Für sie komme es auch darauf an, dass Landwirte vor Ort schnell an Saatgut herankommen, sagte sie auf eine weitere Frage Stefingers.
Der CDU-Abgeordnete Thomas Rachel sprach die Ministerin auf neue Züchtungstechnologien und die sogenannte Genschere an, die viel Potenzial böten. Für Afrika stelle sich diese Frage nicht, entgegnete Schulze, für die Länder dort seien diese Technologien nicht bezahlbar. Sie setze dagegen auf „Projekte, die funktionieren“.
SPD: Frauen leiden stärker Hunger als Männer
Die SPD-Abgeordnete Nadja Sthamer wollte wissen, wie das Ministerium dem Befund entgegenwirken will, dass Frauen stärker Hunger leiden als Männer. Schulze bestätigte, dass Frauen zuerst auf Lebensmittel verzichten, meist zugunsten der Kinder und der Familie. In der Landwirtschaft seien Frauen die Trägerinnen des Know-hows, die die Landwirtschaft voranbringen hin zu einer eigenen Lebensmittelproduktion. Von Sthamer auf die Ernährungskrise in Indien angesprochen sagte Schulze, Indien sei ein wichtiger strategischer Partner beim Klimaschutz und bei der Ernährungssicherheit.
Dr. Karamba Diaby (SPD) wies darauf hin, dass bei den Lebensmittelimporten viele Länder abhängig seien von Weizen, Reis, Mais und Kartoffeln. Dabei müssten seiner Meinung nach lokale Produkte stärker produziert werden. Schulze stimmte dem zu und sprach lokale Sorten von Maniok, Gerste und Hirse an, die klimaangepasst seien. Brot könne beispielsweise mit Gerstensorten anstatt mit Weizen gebacken werden.
Grüne: Ernährungssicherheit braucht intakte Ökosysteme
Dr. Jan-Niclas Gesenhues (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte daran, dass Ernährungssicherheit intakte Ökosysteme brauche. Die Ministerin zeigte sich froh, dass es bei der Weltbiodiversitätskonferenz im Dezember in Montreal gelungen sei, gute Ergebnisse zu erzielen, die nun konkret umgesetzt werden müssten, um Räume für Tiere und Pflanzen zu erhalten. Es sei absolut notwendig, stimmte sie Gesenhues zu, Klimaschutzprojekte aufzustocken.
Susanne Menge (Bündnis 90/Die Grünen) fragte nach der Unterstützung von Frauen in Mobilitätsprojekten. Es werde darauf geachtet, dass die gesamte Gesellschaft an solchen Projekten beteiligt wird, entgegnete die Ministerin.
FDP: Chancen durch den Export von Wasserstoff
Till Mansmann (FDP) sprach die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung an und wollte wissen, ob der globale Süden große Chancen mit Blick auf den Export von Wasserstoff biete, da Deutschland ein Energieimportland bleiben werde.
Schulze bestätigte, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien eine große Perspektive für den afrikanischen Kontinent darstelle. Kenia erzeuge bereits 95 Prozent erneuerbare Energien und werde bald mehr produzieren, als das Land selber brauche. Die Bundesregierung helfe bei der Infrastruktur, zwei Wasserstoffentwicklungsfonds seien bereits auf den Weg gebracht worden, einer in ihrem Ministerium mit 250 Millionen Euro.
AfD: Parlamentarische Kontrolle unverzichtbar
Edgar Naujok (AfD) sagte, eine umfassende parlamentarische Kontrolle der Entwicklungszusammenarbeit sei unverzichtbar. Ihr Ministerium verhindere diese Kontrolle aber regelmäßig, etwa indem Projektnummern nicht zur Verfügung gestellt oder „unangenehme Dinge“ als Verschlusssache geführt würden. Die Ministerin wies dies entschieden zurück, das Parlament erhalte alle Informationen: „Über alles, was wir tun, gibt es Berichte.“ Was nicht mitgeteilt werde, seien interne Abstimmungen.
Naujoks Fraktionskollege Dietmar Friedhoff machte die Bevölkerungsdynamik für die Ernährungsunsicherheit mitverantwortlich. Diese Analyse teilte Schulze nicht. Die Ursache für Hunger liege darin, dass die Menschen sich die Lebensmittel nicht leisten könnten. Jedes Prozent Kostensteigerung führe dazu, dass weniger Lebensmittel gekauft würden. Deshalb seien soziale Sicherungssysteme so wichtig.
Linke fragt nach der Rolle der Agrarökologie
Cornelia Möhring (Die Linke) fragte nach der Rolle der Agrarökologie in der Entwicklungszusammenarbeit. Dazu sagte die Ministerin, im Bündnis für globale Ernährungssicherung sei eindeutig, dass die ökologische Landwirtschaft vor Ort das Richtige sei, um Abhängigkeiten zu reduzieren und mehr Resilienz zu schaffen.
Das Bündnis sei keine Konkurrenz zur Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO, weil es versuche, das Wissen mehrerer Organisationen zusammenzuführen. Nächstes Ziel sei die Umgestaltung der Landwirtschafts- und Ernährungssysteme. (vom/18.01.2023)