Parlament

Frank Schwabe: Osman Kavala muss freigelassen werden

Frank Schwabe während einer Rede am Pult im Deutschen Bundestag

Frank Schwabe (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV) (picture alliance / photothek | Felix Zahn)

Den Europarat weiterentwickeln und soziale und ökologische Rechte stärker in den Blick nehmen wollen die Parlamentarier der Versammlung des Europarates und hegen entsprechende Erwartungen an den bevorstehen Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Mai. Das unterstreicht Frank Schwabe (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV) nach der 1. Sitzungswoche der Versammlung, die vom 23. bis 26. Januar 2023 in Straßburg stattfand.

Dabei sollen insbesondere die Positionen der jungen Leute Gehör finden. „Sie sind stärker und ungefilterter in ihren Forderungen. In ihren Debatten spiegelt sich ihre Lebensrealität wider“, sagt der SPD-Politiker. Über den Reformbedarf und die Rolle der Organisation in Europa, die mit den Wahlen in der Türkei verbundenen Hoffnungen und den möglichen Beitritt des Kosovo zum Europarat spricht Schwabe im Interview. Das Interview im Wortlaut:

Herr Schwabe, auf dem 4. Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Mitglieder des Europarates im Mai will sich die Organisation im internationalen Gefüge neu positionieren. Was geben die Parlamentarier den Regierungen dazu mit auf den Weg?

Zunächst mal muss klar sein, dass die Regeln des Europarats gelten. Die Länder haben sich verpflichtet zu kooperieren. Also müssen sie auch kooperieren. Vor allem bei der Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Die sind heilig. Das müssen alle verstehen. Wir wollen den Europarat aber auch weiterentwickeln, auch soziale und ökologische Rechte stärker in den Blick nehmen. Alles das muss auch finanziert werden. Der Europarat ist chronisch unterfinanziert. Das muss sich mit dem Gipfel ändern.

Welche Erwartungen haben Sie dabei an den Beitrag der Bundesregierung?

Deutschland hat sich den Ruf einer führenden Nation im Europarat erarbeitet. Durch eine aktive Rolle im Umgang mit Russland, durch neue inhaltliche Impulse beispielsweise beim Thema der Menschenrechte in der digitalen Welt, aber auch durch gesteigerte finanzielle Beiträge. Das ist gut, steigert aber auch die Erwartungshaltung. Der muss Deutschland jetzt gerecht werden.

Panzer, Werte, Klimaschutz - in allen Themen von internationaler Tragweite ist Deutschland, die deutsche Haltung gefragt. Welche Rolle sollte Deutschland im Europarat und darüber hinaus in Europa und global spielen?

Viele Debatten konzentrieren sich auf Deutschland. Das hat etwas mit unserer enormen ökonomischen Stärke zu tun. Die müssen wir aber auch in politische Handlungsfähigkeit übersetzen. Mit Selbstbewusstsein, aber ohne Überheblichkeit. Und einer Politik, die Realitäten in den Blick nimmt, aber auch immer stark menschenrechtsorientiert ist. Diese Mischung macht’s.

Im Dezember hatte die deutsche Delegation in der Parlamentarischen Versammlung Jugendliche aus ganz Europa zu einer Konferenz geladen, um Ideen für die Zukunft des Europarats zu entwickeln und zu sammeln. Was haben die jungen Leute Ihnen gesagt? Welche Ideen insbesondere der jungen Menschen werden Sie dem Gipfel im Mai zukommen lassen?

Vor allem wollen die jungen Leute gehört werden. Und das soll auf dem Gipfel auch sichergestellt werden. Sie sind stärker und ungefilterter in ihren Forderungen als die an der Realität abgeschliffenen Positionen von Regierungen. In ihren Debatten spiegelt sich ihre Lebensrealität wider. Das ist die Verbindung von Klimaschutz und Menschenrechten, Menschenrechten in der digitalen Welt und einer Selbstverständlichkeit im Umgang mit den Rechten von queeren Menschen.

Was bedeutet die Neuaufstellung der Organisation für die künftige Zusammenarbeit von Europarat und Europäischer Union und welches Alleinstellungsmerkmal hat der Europarat?

Es ist höchste Zeit, dass die EU dem europäischen Menschenrechtssystem beitritt. Das ist überfällig und würde die Europäische Menschenrechtskonvention massiv stärken. In Reykjavik (beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs des Europarates am 16. und 17. Mai 2023, Anm. d. Red.) könnte das endlich gelingen. Der Europarat kann in allen Ländern des Europarats, und das sind ja deutlich mehr als die Länder der EU, intervenieren. Der Gerichtshof kann verbindliche Urteile fällen. Das Antifolterkomitee kann alle Gefängnisse besuchen. Die Lage von Demokratie und Menschenrechten ist Gegenstand von Berichten. Wahlbeobachtungsmissionen sind verbindlich. Der Europarat hat also insbesondere in den Ländern, die nicht Mitglied der EU sind, viele Einwirkungsmöglichkeiten, die die Europäische Union nicht besitzt.

Genau zehn Jahre liegt die Korruptionsaffäre zwischen Aserbaidschan und Mitgliedern der Versammlung nun zurück. Jüngst wurde auch das Europäische Parlament von einer Korruptionsaffäre erschüttert. Was wurde in der Versammlung getan, damit sich so etwas im Europarat nicht wiederholt?

Wir haben aufgeklärt, viele Abgeordnete sanktioniert, manche rausgeschmissen. Andere sind von selber gegangen. Und wir haben die Transparenzregeln verschärft. Das reicht aber nicht. Deshalb arbeite ich an einem Bericht, der zu einer ganz neuen Dimension von Transparenz, aber auch Aufklärung und Ahndung führen würde. Letztlich sind aber strafrechtlich die Mitgliedsstaaten zuständig. Also zum Beispiel Deutschland. Deshalb setze ich mich neben Regeländerungen auf Ebene des Europarats auch dafür ein, dass der Paragraf 108e StGB schärfer und realitätsnäher formuliert wird. Es darf nicht sein, dass Abgeordnete mit ihren Machenschaften davon kommen. Bisher ist das leider der Fall.

Die russische Aggression gegen die Ukraine hat zu massiven Menschenrechtsverletzungen geführt. Was schlagen die Europarat-Parlamentarier vor, um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen und die Opfer zu entschädigen?

Der Europarat hilft ganz konkret bei der Dokumentation und der Aufklärung der Verbrechen. Vor allem unterstützen wir aber ein Sondertribunal, um die Hauptverbrecher der Aggression bis zur Spitze des Staates zur Rechenschaft zu ziehen. Wir müssen aber auch die ukrainischen Kapazitäten stärken, um zehntausende Fälle aufzuklären und zu behandeln.

Mit Menschenrechtsverletzungen ringt der Europarat auch in einigen seiner Mitgliedsländer. So wird der Verleger und Menschenrechtsaktivist Osman Kavala immer noch von der türkischen Justiz festgehalten - unter Missachtung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Hat die deutsche Delegation das während der Sitzungswoche angesprochen und was haben Ihnen die türkischen Delegierten geantwortet?

Das sprechen wir immer wieder an. Genauso wie die deutsche Außenministerin in ihrer Rede. Die Antworten darauf sind Ausflüchte, das Beklagen von Doppelstandards. Alles das ist, Entschuldigung, großer Quatsch. Es gibt ein eindeutiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mehrfach bekräftigt, Kavala sitzt seit Jahren zu Unrecht in Haft, der Europarat hat sein schärfstes Schwert gezogen und ein Verfahren nach Artikel 46.4 eröffnet. Was denn noch? Wir brauchen nicht mehr zu diskutieren. Die Türkei muss umsetzten. Kavala muss freigelassen werden.

Meinen Sie, die bevorstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei bringen Bewegung in die Sache?

Das hoffe ich. Die jetzige Regierung scheint mit dem Europarat und mit dem Fall Kavala ein politisches Spiel treiben zu wollen. Das wird sich hoffentlich nach der Wahl ändern. Die Geduld des Europarats ist jedenfalls erschöpft.

Eine in die Zukunft gerichtete Sache ist der bevorstehende Beitritt des Kosovo als neues 47. Mitglied zum Europarat. Der Antrag liegt momentan noch beim Ministerrat, der ihn an die parlamentarische Versammlung weiterleiten muss. Sie sind in Wartestellung, wo hakt es noch?

Es handelt sich natürlich um eine schwierige diplomatische Frage. Und viele Staaten sind skeptisch, weil sie selbst mit Territorialkonflikten konfrontiert sind. Aber Kosovo ist eine Realität. Es macht keinen Sinn, wenn sich die Menschen dort in einem internationalen Niemandsland befinden. Der Europarat entscheidet nicht über die Anerkennung von Kosovo als Staat. Aber der Europarat kann den Menschen dort helfen, ihre Rechte besser durchzusetzen. Übrigens auch der serbischen Minderheit.

(ll/01.02.2023)

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