Menschenrechte

Derya Türk-Nachbaur macht sich für Menschenrechts­anwältin Eren Keskin stark

Die Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur zeigt ein Foto der türkischen Menschenrechtsanwältin Eren Keskin.

Die Abgeordnete Derya Türk-Nachbaur hält ein Foto der Menschenrechtsanwältin Eren Keskin in den Händen, für die sie sich im Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ des Deutschen Bundestages einsetzt. (Büro Türk-Nachbaur)

Die Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur (SPD) setzt sich im Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ des Deutschen Bundestages für die bekannte türkische Menschenrechtsanwältin Eren Keskin ein. Wegen ihres Engagements insbesondere für die Rechte der Kurden und von Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden, aber auch wegen ihres Eintretens für Meinungs- und Pressefreiheit, ist Keskin ins Visier der türkischen Sicherheitsbehörden und Justiz geraten und wird von diesen seit Jahren mit Verfahren und Haftstrafen überzogen. Menschenrechtsorganisationen und die internationale Presse berichten regelmäßig über den Fall. Wiederholt äußerten Politiker aus aller Welt Kritik gegenüber der türkischen Regierung, Keskin erhielt internationale Beistandsbekundungen.

Anklagen, Gerichtsverfahren, Haftstrafen

Immer wieder angeklagt, inhaftiert, zu teils mehrmonatigen oder gar mehrjährigen Haftstrafen oder zu hohen Geldstrafen verurteilt wurde Keskin, beispielsweise weil sie in Zeitungsartikeln, Interviews oder bei Podiumsdiskussionen das Wort Kurdistan benutzt hatte und damit oder darüber hinaus die türkische Nation und deren Präsidenten beleidigt haben soll, weil sie aus Solidarität mit der kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“, die behördliche Repressionen erfuhr, eine Zeit lang als deren symbolische Chefredakteurin fungiert, oder weil sie der türkischen Armee den Vorwurf gemacht hatte, bei der Bekämpfung der kurdischen PKK Frauen sexuell missbraucht zu haben und behauptet hatte, die Armee sei verantwortlich für das Attentat auf ein Mitglied des türkischen Staatsrates 2006, berichtet die Bundestagsabgeordnete.

Oder, weil sie den Streitkräften insgesamt eine zu große Macht im Staatsgefüge, zu großen Einfluss auf Justiz und Politik, bescheinigte, was die Demokratisierung der Türkei behindere. Im Februar 2021 wurde die Menschenrechtsanwältin erstinstanzlich im Hauptverfahren gegen die Zeitung „Özgür Gündem“ zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Begründung:  Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Meistens, wie auch in diesem Fall, würden die verhängten Haftstrafen in Geldstrafen oder Hausarrest umgewandelt, weiß Türk-Nachbaur.

Strafverfolgungsbehörden und Richter in der Türkei beriefen sich bei Ihrem Vorgehen gegen Keskin und andere Menschenrechtsverteidiger meist auf eine Verletzung des Artikels 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der die „Beleidigung des Türkentums, der Republik und der Institutionen und Organe des Staates“ unter Strafe stellt, erläutert Türk-Nachbaur. Über die bislang über 100 Gerichtsverfahren hinaus wurde gegen Keskin zudem wegen ihrer Äußerungen in den Medien ein Disziplinarverfahren bei der Anwaltskammer Istanbul eingeleitet, was zum Entzug ihrer anwaltlichen Lizenz hätte führen können. Außerdem erhält Keskin seit Jahren Morddrohungen, unter anderem seitens der ultra-nationalistischen „Türkischen Rachebrigade“ und ist physischen Angriffen ausgesetzt.

Schikanen und politische Urteile gegen Eren Keskin

„Die Verfahren und Urteile der türkischen Justiz gegen Eren Keskin sind klar politisch motiviert“, eine mutige Stimme für eine unabhängige Justiz und Zivilgesellschaft und gegen politische Einflussnahme solle so mundtot gemacht werden, erklärt Türk-Nachbaur und fordert von der türkischen Regierung ein Ende der juristischen Schikanen gegen die Anwältin sowie, dass diese ihre Menschenrechtsarbeit ungehindert und ohne Angst vor Repressalien fortführen kann.

In einem demokratischen Rechtsstaat, wie die Türkei vorgebe einer zu sein, müsse eine Menschenrechtsanwältin ihrem Job nachgehen können ohne selbst zur Zielscheibe von Angriffen zu werden, vor allem nicht vonseiten des Staates. „Eine Demokratie muss es aushalten, dass die Regierung kritisiert wird. Die Demokratie ist in Gefahr, wenn freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und Menschenrechte nicht mehr gewährleistet sind.“ Seit vielen Jahren hätten die autoritären Tendenzen in der Türkei immer mehr die Oberhand gewonnen, konstatiert Türk-Neubaur. Angesichts der bevorstehenden Wahlen und der momentan schlechten Umfragewerte für die regierende AKP von Präsident Erdogan, werde dessen Regierung die Zügel ihres restriktiven Kurses wohl noch weiter anziehen, vermutet die Bundestagsabgeordnete.

Die Menschenrechtslage in der Türkei sei leider katastrophal. Deutschland und andere seriöse Partner der Türkei müssten Ankara weiter dazu drängen, die in der Charta der Vereinten Nationen und der Europäischen Menschenrechtskonvention kodifizierten Rechte einzuhalten. Die Türkei habe sich zu diesen weltweit geltenden Werten bekannt, sei Nato-Mitglied und Beitrittskandidat der Europäischen Union.

„Keskin fasst Tabuthemen an“

Menschenrechtsorganisationen berichten seit langem über die 1959 geborene Anwältin, die seit den 1980er Jahren als Strafverteidigerin arbeitet und überwiegend mit politischen Fällen befasst ist. Keskin hat den Menschenrechtsverein der Türkei (IHD) mitbegründet, dessen Ko-Vorsitzende sie ist, sowie das Projekt „Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell misshandelt wurden“. 2001 erhielt sie für ihr Engagement den Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International. Zudem ist sie Trägerin des Aachener Friedenspreises 2004.

Eine äußerst engagierte, unerschrockene Anwältin sei Eren Keskin, die sich seit Jahrzehnten für die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei, als Grundbedingung des menschlichen Zusammenlebens und der staatlichen Ordnung, einsetze, sagt Türk-Nachbaur über die Menschenrechtlerin aus Istanbul. Deren Engagement für Minderheiten, für Frauen, politische Gefangene oder auch für die queere community beeindrucke sie zutiefst, so Türk-Nachbaur. „Keskin fasst Tabuthemen an, wo andere zurückschrecken.“

Was sie tue passe der türkischen Regierung von Präsident Erdogan verständlicherweise nicht in den Kram. Die Regierung Erdogan setze daher missbräuchlich den Staatsapparat gegen Keskin in Bewegung. „Aber Eren Keskin lässt sich nicht klein kriegen.“ Sondern setze sich stattdessen weiter unerschrocken für Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie ein.

Keskins Unterstützer müssen zusammenarbeiten

Obwohl es sich bei Eren Kesken bereits um eine in der Türkei und darüber hinaus bekannte Persönlichkeit handele, gelte es, den Druck auf die türkischen Verantwortlichen durch eine weiterhin informierte Öffentlichkeit aufrecht zu halten, sagt Türk-Nachbaur. Damit die unterschiedlichen Hilfsangebote für Keskin Wirkung entfalten könnten, müssten sich ihre Unterstützer zusammentun und eng miteinander kooperieren. Sie stehe deswegen mit Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International in Kontakt. Durch eine Patenschaft im Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ wolle sie als Bundestagsabgeordnete die internationale Unterstützung für Eren Keskin verstärken, sagt Türk-Nachbaur.

Nicht nur humanitäre Gründe geböten es sich für Keskins Schicksal zu interessieren. Aus dem Privileg, als Bundestagsabgeordnete in Freiheit seinem Mandat nachgehen und frei seine Meinung äußern zu dürfen, ohne verfolgt zu werden, resultiere eine Verpflichtung, sich für Kolleginnen und Kollegen, Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler weltweit einzusetzen, für die dies nicht selbstverständlich sei, begründet Türk-Nachbaur Ihren Einsatz für Eren Keskin.

Türk-Nachbaur: Die Patenschaft soll gelebt werden

Ihre Funktion als Mitglied im Menschenrechtsausschuss werde sie dazu nutzen, Entscheidungsträger der Türkei zu treffen, die an Keskins Lage etwas ändern können, hat sich die Politikerin vorgenommen. Sie werde jede mögliche politische und mediale Plattform nutzen, um ihre Kritik an der türkischen Regierung zu äußern, aber auch, um Dialogbereitschaft zu signalisieren, um Keskin und den vielen anderen tausenden politisch Bedrängten oder Inhaftierten in der Türkei zu helfen.

Unter ihrem Eintreten als Patin für Keskin verstehe sie mehr als nur Briefe zu schreiben und ihr verbal Mut zu machen. Sie werde darüber hinaus den türkischen Botschafter in Berlin auf Keskins Schicksal ansprechen sowie weitere Verantwortliche in Parlament und Regierung der Türkei. Falls es zu einem erneuten Verfahren gegen die Menschenrechtlerin komme, werde sie von ihrem Recht Gebrauch machen, als Prozessbeobachterin anwesend zu sein. Eine gelebte Patenschaft solle es werden, blickt die SPD-Abgeordnete voraus, bei der sie auch mit Keskin zusammentreffen wolle.

Etwas hoffe sie mit ihrem Engagement zugunsten von Keskin bewirken zu können, sagt Türk-Nachbaur. Diese kleine Hoffnung auf irgendwelche, wenn auch kleine Verbesserungen, Erleichterungen, seien bereits Grund genug für ein ernsthaftes Engagement. Zumindest, hoffe sie, sei dies ein Signal, neben vielen anderen Unterstützern, dass Keskin, aber auch die Kräfte der Opposition, die Zivilgesellschaft in der Türkei, nicht allein, nicht vergessen seien, dass man sich im Ausland für sie interessiere und einsetze. Auch gegenüber den Verantwortlichen sei dies ein Signal, dass man das Schicksal von Keskin und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Auge behalte.

Menschenrechtspolitikerin aus Überzeugung

„Ich bin Menschenrechtspolitikerin aus Überzeugung“, sagt die die SPD-Abgeordnete, die ordentliches Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ist. Bereits bevor sie ihr Bundestagsmandat angetreten habe, habe sie sich für die Einhaltung der Menschenrechte, wo auch immer auf der Welt, eingesetzt. Die Staatengemeinschaft habe mit den Menschenrechten einen nicht verhandelbaren Schatz geschaffen, den es zu bewahren und durchzusetzen gellte.

„Diese Werte wollen verteidigt werden.“ Inhaftierungen, nur weil man seine Meinung sage, das dürfe es nicht geben. Auch kulturelle Argumente müssten gegenüber der Universalität der Menschenrechte zurücktreten. Die Einhaltung der Menschenrechte sei keine Frage, die man im Christentum oder im Islam anders beantworten könne. „Sie gelten überall, sind universal. Mit ihrem Schutz fangen wir bei uns im Wahlkreis, im Schwarzwald, an. Und wenn in der Türkei etwas nicht in Ordnung ist, sagen wir es auch“, so die türkischstämmige Politikerin, die früher einmal als Journalistin in Izmir gearbeitet und in Deutschland eine neue Heimat gefunden hat.

Sie verstehe es als Pflicht, sich aus der privilegierten Position, die sie in Deutschland habe, einzusetzen für Menschen, die nicht in den Genuss echter Demokratie und funktionierender Rechtsstaatlichkeit kommen, für die Wahrung dieser Werte. „Ich fände es nicht in Ordnung, wenn ich das nicht nutzen würde.“ Keskin trage mit ihrer Arbeit in dazu bei, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei zu erhalten. „Sie ist eine sehr mutige und beeindruckende Frau, die unser aller Aufmerksamkeit verdient hat.“ (ll/14.02.2023)

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