Menschenrechte

Thomas Rachel kämpft für Maria Kolesnikowa und die Opposition in Belarus

Thomas Rachel hält ein Bild von Maria Kalesnikowa vor sich, auf dem Free Maria (Freiheit für Maria) steht

Thomas Rachel setzt sich für die inhaftierte belarussischen Oppositionspolitikerin Maria Kalesnikowa ein. (DBT/Inga Haar)

Im Alter von 15 Jahren hat er zum ersten Mal in der Fußgängerzone von Düren gestanden und Unterschriften gesammelt. Seit seinem damaligen Engagement für den DDR-Bürgerrechtler Niko Hübner setzt sich der Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel (CDU/CSU) für die Befreiung politischer Gefangener ein. Sein Credo: Jeder Mensch, egal wo auf der Welt, hat ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Diese Überzeugung habe er schon vor seinem Gang in die Politik und bereits lange vor seiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter geteilt.

Demokratiebewegung gerät aus dem Blickfeld 

Heute setzt sich der Unionspolitiker dafür ein, dass Maria Kolesnikowa, eines der Gesichter Demokratiebewegung in Belarus, verurteilt zu elf Jahren Lagerhaft, und mit ihr die demokratische Oppositionsbewegung in dem Land, nicht vergessen wird. In Belarus sei die Situation für Oppositionelle seit dem russischen Angriff auf die Ukraine noch unangenehmer und prekärer geworden, sagt Rachel. Die internationale mediale Aufmerksamkeit richte sich fast nur noch auf das Kriegsgeschehen. 

Die Regierung des Präsidenten Alexander Lukaschenko, „eine brutale Willkürdiktatur“, habe, im Windschatten dieser Ereignisse, die Demokratiebewegung zurückgedrängt, und deren Vorkämpferinnen und Vorkämpfer ins Gefängnis geworfen. „Die Demokratiebewegung in Belarus hat keinen Raum mehr zum atmen.“ Es bestehe die Gefahr, dass durch den Krieg das Engagement derjenigen, die sich für die Demokratie in Belarus eingesetzt haben, aus dem öffentlichen Blickfeld schwindet. „Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass das nicht passiert.“

Rachel: Sie ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit

Das Bemerkenswerte an Maria Kolesnikowa sei, dass diese als Musikerin, die lange Zeit in Deutschland gelebt und gearbeitet habe, zusammen mit zwei anderen Frauen an die Spitze der Demokratiebewegung in Belarus getreten sei; nachdem die Männer, die sich als alternative Präsidentschaftskandidaten zu Lukaschenko beworben hatten, wie Viktor Babaryko, vom Regime inhaftiert worden waren. „Man muss diesen Frauen dafür höchsten Respekt zollen, dass sie sich trotz der damit verbundenen erheblichen Gefahren, die dann auch eingetreten sind, mutig für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Meinungsfreiheit in Belarus eingesetzt haben“, unterstreicht Rachel die Leistung von Kolesnikowa und ihrer Mitstreiterinnen. 

Als es um die Zukunft des Landes gegangen sei, im Wahlkampf 2020, um die Frage, ob Pluralismus, demokratische Parteien und Meinungsfreiheit sich in Belarus durchsetzen würden, sei Kolesnikowa in ihr Land zurückgekehrt und habe sich dort mit höchstem Engagement für diese Werte eingesetzt und so Millionen ihrer Landsleute Hoffnung vermittelt. Als einfache Bürgerin, nicht als Politikerin, habe sie sich berufen gefühlt, Freiheitsrechte, die für uns in Deutschland, in Westeuropa selbstverständlich sind und wie sie die UN-Charta allen Menschen zugesteht, auch für die Menschen in Belarus zu erstreiten. Nach dieser bemerkenswerten persönlichen Entscheidung sei Kolesnikowa zu einer mutigen Stimme der Demokratiebewegung geworden, habe, zu Dritt mit zwei anderen, die Führungsrolle der belarussischen Opposition übernommen, dieser ein Gesicht gegeben.

Dafür sei sie unter anderem im Mai 2022 mit dem internationalen Aachener Karlspreis ausgezeichnet worden, den ihre Schwester stellvertretend für sie entgegengenommen habe. Die von Lukaschenko manipulierte Wahl im August 2020 hatte der oppositionellen Demokratiebewegung in Belarus Auftrieb gegeben. Internationale Organisationen wie auch Menschenrechtsorganisationen hatten die Wahl als nicht frei und nicht demokratisch bezeichnet. Zudem wurde kritisiert, dass Lukaschenkos Sicherheitskräfte mit unverhältnismäßiger Härte gegen friedliche Demonstranten vorgegangen waren. 

Inhaftierung, Anklage, Prozess, düstere Perspektiven

Maria Kolesnikowa geriet durch ihr Auftreten als Unterstützerin von Präsidentschaftskandidat Babaryko und dann ihre wachsende Rolle als Oppositionspolitikerin sofort ins Visier des amtierenden Präsidenten und seiner Regierung. Im September 2020 hatte die belarussische Führung zunächst versucht, sich Kolesnikowa zu entledigen und sie außer Landes zu bringen. Diese konnte sich jedoch gegen die Abschiebung zur Wehr setzen: An der Grenze zur Ukraine zerriss sie ihren Pass. Ohne das Dokument konnte sie nicht ausgewiesen werden. Die internationale Presse berichtete über den spektakulären Schritt.

Sie wurde dann in ihrer Heimat sofort in Untersuchungshaft genommen. Im Mai 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen sie. Die Vorwürfe: Kolesnikowa gefährde die nationale Sicherheit, habe eine extremistische Organisation gegründet und angeführt sowie an einer illegalen Machtübernahme gearbeitet. Es folgte im August und September 2021 in Minsk ein Gerichtsprozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das Urteil lautete: elf Jahre Strafkolonie. Das sei so ziemlich das Schlimmste was einem passieren könne, gibt Rachel zu bedenken. „Das Allerschlimmste aber wäre, wenn die Öffentlichkeit sie vergisst.“

Rachel: Inhaftierte müssen Aufmerksamkeit erhalten 

Das drohende Vergessen sei für ihn der treibende Faktor, sich für politische Gefangene einzusetzen, sagt Rachel. Wer zu Unrecht weggesperrt werde, dem müsse zunächst durch gesteigerte Aufmerksamkeit geholfen werden. Alle seien gefordert: Es brauche die professionelle Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen, das Engagement Prominenter, das Gewicht eines international angesehenen Verfassungsorgans wie des Deutschen Bundestages. 

Früher noch als Einzelkämpfer, völlig ohne den Hintergrund eines Vereins, überführe er heute als Abgeordneter sein Engagement für Verfolgte in das Patenschaftsprogramm des Bundestages „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP), das in dieser Wahlperiode zum sechsten Mal aufgelegt wurde: Ein Jahr nach Beginn der 20. Wahlperiode machen bereits fast 100 Abgeordnete bei dem vom Sekretariat des Menschenrechtsausschusses betreuten Programm mit. Auch Maria Kolesnikowa unterstütze er seit kurzem im Rahmen einer PsP-Patenschaft. Jeder kann sich einsetzen, um Inhaftierten zu helfen, so Rachel. Beispielsweise durch die Unterstützung von Menschenrechtsaktionen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) oder von Amnesty International

Gewicht als Parlamentarier in die Waagschale werfen

Als Abgeordneter müsse man erst recht seine Stimme erheben, findet Rachel, sein Gewicht als Mandatsträger in die Waagschale werfen, um „Vertreter eines anderen Landes, einer anderen Regierung, rechenschaftspflichtig zu machen. Ich nutze meine besonderen Möglichkeiten, um diplomatisch und öffentlich zu wirken und Aufmerksamkeit zu erzeugen.“ Als Abgeordneter eine PsP-Patenschaft zu übernehmen, bedeute eine zusätzliche Verantwortung gegenüber einem Schutzsuchenden, schaffe aufgrund ihres offiziellen Charakters zusätzliche Verbindlichkeit und lenke zusätzliche Aufmerksamkeit auf den Fall. 

Bereits mehrfach habe er in den vergangenen Jahren Inhaftierte aus der Haft freibekommen können, erinnert sich der CDU-Politiker. Momentan kümmere er sich noch um andere Menschenrechtler, habe weitere Patenschaften übernommen, beispielsweise für einen Iraner, der als christlicher Konvertit wegen seiner religiösen Überzeugung verfolgt wurde. Seit seinem ersten Engagement setze er dabei auf das Wissen der IGFM, um Fälle ausfindig zu machen und sich von der Wahrhaftigkeit und Authentizität jedes einzelnen Falls zu überzeugen. 

„Mehrfacher Respekt“ vor dem Engagement Kolesnikowa

Total fasziniert - und dann schockiert - habe ihn, was mit Maria Kolesnikowa passiert sei: deren Entschluss, ihrem Land zu helfen, sowie, dass sie nach ihrem Einsatz für die Demokratiebewegung festgenommen und inhaftiert worden sei. Obwohl sie außer Landes hätte gehen können. Das nötige einem „mehrfachen Respekt“ ab. Anfang 2021 habe sein Entschluss schnell festgestanden: „Da kann ich nicht tatenlos zusehen.“

Dreieinhalbtausend Unterschriften habe er in seinem Wahlkreis und darüber hinaus gesammelt. Damit äußerten die Teilnehmer und er ihre Kritik an der willkürlichen und absurden Anklage gegen Kolesnikowa und forderten von der belarussischen Staatsführung die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen, erklärt Rachel. Sein Engagement für Maria sei zugleich immer eines für die politisch Inhaftierten in Belarus insgesamt. „Auch die Menschen in Belarus haben Anspruch auf Freiheit und Demokratie“, sagt der Rheinländer. 

„Werden internationales Interesse wach halten“

Um die Unterschriften zu überreichen, habe ihm der belarussische Botschafter tatsächlich ein einstündiges Gespräch gewährt, erzählt der CDU-Politiker, bei dem er seine Kritik und Forderungen gegenüber der Regierung in Minsk vorgetragen habe. Es gehe darum, jede Möglichkeit, Aufmerksamkeit für inhaftierte Menschen zu bekommen, zu nutzen.

Seine Botschaft an den belarussischen Präsidenten sei: Lukaschenko solle sich nicht täuschen. „Das internationale Interesse an Maria Kolesnikowa und den anderen politischen Inhaftierten wird bleiben. Wir werden es wach halten. Wir stehen fest an der Seite der friedlichen Bevölkerung. Wir werden weiterhin die schockierende Repression und Gewalt kritisieren. Wir werden weiterhin die Einhaltung von Menschenrechten auch in Belarus einfordern.“

Ziel: Freilassung ohne Bedingungen 

„Ich werde dran bleiben bis sie freikommt, sie muss sofort ohne Bedingungen aus der Haft entlassen werden“, hat sich Rachel als Ziel seiner Patenschaft gesetzt. Unmittelbar müsse Maria zudem eine Verbesserung der Haftbedingungen und eine angemessene medizinische Unterstützung zugesichert werden, fordert Rachel, sowie, dass deren Familie, aber auch Organisationen wie das dortige Rote Kreuz regelmäßigen Zugang zu ihr bekämen. Regelmäßige Kontakte würden dazu beitragen, dass ihr nichts passiert. Auch das Auswärtige Amt ermutige er, sich um die politischen Inhaftierten in Belarus zu kümmern.

Um sich über die Lage in Belarus und den aktuellen Zustand von Kolesnikowa auf dem laufenden zu halten stehe er mit dem Auswärtigen Amt und der IGFM in Kontakt. Darüber hinaus hat Rachel auch auch mit der Schwester der Inhaftierten und der belarussischen Zivilgesellschaft in Berlin Kontakt aufgenommen. Auch als Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland setze er sich für die Belange der politischen Inhaftierten in Belarus ein. „Ich versuche, alle Kanäle, die sich bieten, zu nutzen.“ Ins Gefängnis habe er Maria Kolesnikowa „ein mutmachendes Schreiben“ geschickt. „Hoffentlich hat es sie erreicht.“ 

Christliches Menschenbild und Diktaturerfahrungen

Hauptmotivation für sein Engagement sei sein christliches Menschenbild, sagt Thomas Rachel: „Jeder Mensch ist einzigartig, jeder hat eine von Gott gegebene Menschenwürde und muss die Möglichkeit haben, sich frei zu entfalten.“ Es komme hinzu, „dass wir in Deutschland für ein Schicksal wie das von Maria Kolesnikowa besonders sensibel sein müssen. Weil wir zwei Diktaturen im eigenen Land gehabt haben.

Den Nationalsozialismus, wo willkürlich Menschen auch wegen anderer religiöser und politischer Überzeugung inhaftiert und umgebracht wurden und Massenmord begangen wurde. Und die DDR-Diktatur, die politisch Andersdenkende inhaftiert hat, ihnen Berufsverbot erteilt und die Demokratiebewegung jahrzehntelang bespitzelt und unterdrückt hat.“ Auch aus den beiden totalitären Diktaturen im eigenen Land resultiere eine besondere Verantwortung für Menschen, denen es nicht gut geht. (ll/06.03.2023)

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