Recht

Sachverständige begrüßen Etablierung von Commercial Courts

Die Etablierung sogenannter Commercial Courts ist bei einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am Mittwoch, 1. März 2023, auf einhellige Zustimmung der acht geladenen Sachverständigen aus Richterschaft, Anwaltschaft und Wissenschaft gestoßen. Diese speziellen Senate an den Oberlandesgerichten sollen für große internationale Streitigkeiten in Handelssachen erstinstanzlich zuständig sein. Die Verhandlungen sollen gänzlich in englischer Sprache geführt werden können. Vorgeschlagen wird zudem, auch an den Landgerichten spezielle Spruchkörper für internationale Handelssachen einzurichten.

Der Anhörung lagen ein Gesetzentwurf des Bundesrates (20/1549), ein Antrag der Unionsfraktion (20/4334) sowie ein Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums (BMJ) zugrunde. Die inhaltlich gleichgerichteten Vorlagen unterscheiden sich im Grad der Ausgestaltung und in Detailregelungen. Alle drei Initianten argumentieren, dass die Einführung der speziellen Spruchkörper dazu dienen soll, den „Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig [zu] stärken“, wie es im BMJ-Eckpunktepapier heißt.

Justiz als Standortfaktor

In der Anhörung unterstrich der Vorsitzende Richter am Landgericht Stuttgart, Patrick Melin, dass eine staatliche Justiz, die umfangreiche Streitigkeiten zwischen internationalen Parteien effektiv und sachgerecht erledigt, ein ganz wesentlicher Standortfaktor sei. Melin betonte in seiner Stellungnahme zudem, dass die staatliche Gerichtsbarkeit eine „notwendige Ergänzung zur Schiedsgerichtsbarkeit“ sei, um zur Rechtsfortbildung beizutragen. In machen Rechtsgebieten, wie etwa dem Unternehmenskaufrecht, gebe es keine obergerichtlichen Entscheidungen mehr, weil die Parteien in der Regel eine Schiedsklausel vereinbarten, so Melin.

Rechtswissenschaftlerin Gisela Rühl, Lehrstuhlinhaberin an der Humboldt-Universität zu Berlin, begrüßte die vorgeschlagenen Regelungen, mahnte aber, die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben. Im Vergleich mit der Schiedsgerichtsbarkeit werde die deutsche Justiz auch nach den angestrebten Änderungen „erhebliche Nachteile“ haben. Auch internationale Erfahrungen mit Commercial Courts zeigten, dass es alles andere als leicht sei, internationale Parteien vor staatliche Gerichte zu ziehen, sagte Rühl. Die Möglichkeit, Verfahren gänzlich auf Englisch zu führen, wurde von den Expertinnen und Experten einhellig begrüßt. Die Vorsitzende Richterin am Landgericht Hamburg, Heike Hummelmeier, nannte es einen „Anachronismus, dass in Deutschland nicht auf Englisch verhandelt werden kann“. Sie verwies auf die Praxis an Schiedsgerichten und attestierte Deutschland auch im Vergleich mit anderen Ländern erheblichen Nachholbedarf.

Kleinere und größere Änderungen

Bei grundsätzlicher Zustimmung mahnten die Sachverständigen diverse kleinere und größere Änderungen an und bezogen sich dabei vor allem auf den Gesetzentwurf des Bundesrates. Dieser sieht unter anderem vor, dass die Commercial Courts an den Oberlandesgerichten ab einem Streitwert von zwei Millionen Euro zuständig sein sollen.

Diese Vorgabe sahen mehrere Expertinnen und Experten kritisch. So argumentierte Rechtswissenschaftlerin Rühl, dass durch den zu hohen Streitwert die Gefahr bestünde, dass zu wenige Verfahren bei den neuen Spruchkörpern landeten und so der gewünschte Spezialisierungseffekt nicht eintrete. Weitere Vorschläge der Sachverständigen bezogen sich etwa auf die Ausweitung der Möglichkeit englischsprachiger Verfahrensführung auf weitere Zivilsachen sowie zur Ausstattung der Gerichte.

Änderungen im materiellen Recht

Mehrere Sachverständige forderten zudem Änderungen im materiellen Recht und insbesondere im AGB-Recht, um Deutschland als Rechts- und Wirtschaftsstandort zu stärken. Die Anwendung der entsprechenden Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie die strenge Auslegung des Bundesgerichtshofes (BGH) zur Inhaltskontrolle führten dazu, dass internationale Unternehmen gegebenenfalls andere Rechtsordnungen für ihre Verträge wählten, so der Tenor der Expertinnen und Experten.

„Der Commercial Court wäre zum Misserfolg verdammt, wenn die starre AGB-Kontrolle, wie sie vom BGH für den unternehmerischen Geschäftsverkehr gehandhabt wird, nicht geändert wird“, betonte etwa Rechtsanwalt Werner Müller vom Deutschen Anwaltverein vor den Abgeordneten.

Gesetzentwurf des Bundesrates

In seinem „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten“ schreibt der Bundesrat zur Begründung, die zunehmende Globalisierung, die wachsende Komplexität der Rechtsbeziehungen sowie die veränderten Erwartungen der Rechtssuchenden an die Justiz erforderten Anpassungen des Gerichtsverfassungs- und Prozessrechts, um auch künftig die hohe Qualität und Attraktivität der Ziviljustiz insbesondere in Wirtschaftsstreitverfahren zu sichern.

Mit dem Entwurf solle die staatliche Ziviljustiz im Bereich des Wirtschaftsrechts – und mittelbar auch allgemein – nachhaltig gestärkt werden. Den Ländern solle die Möglichkeit eröffnet werden, an einem Oberlandesgericht einen oder mehrere Senate einzurichten, vor denen Handelsverfahren mit internationalem Bezug und einem Streitwert von mehr als zwei Millionen Euro – bei entsprechender ausdrücklicher Gerichtsstandsvereinbarung – auch erstinstanzlich geführt werden können (Commercial Court). 

Antrag der Union 

Die Unionsfraktion macht sich in ihrem Antrag für die Einführung von Commercial Courts an Oberlandesgerichten stark. Diese sollen für Handelssachen mit internationalem Bezug ab einem Streitwert von über zwei Millionen Euro zuständig sein. Dabei soll es die Möglichkeit geben, „das gesamte Verfahren einschließlich Verhandlung, Schriftsätze und Urteil in englischer Sprache zu führen“, wie die Fraktion ausführt. Für internationale Handelssachen, die nicht in die Zuständigkeit der vorgeschlagenen Commercial Courts fallen, sollen nach Willen der Union ferner spezialisierte Kammern an den Landgerichten entstehen.

Für die Umsetzung soll die Bundesregierung eine entsprechende Landesöffnungsklausel im Gerichtsverfassungsgesetz einfügen sowie die Zivilprozessordnung und das AGB-Recht anpassen, fordern die Abgeordneten. Von der Einführung der Commercial Courts, die – wie die Union anführt – auch vom Bundesrat vorgeschlagen wird, versprechen sich die Abgeordneten eine nachhaltige Stärkung der staatlichen Ziviljustiz in internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten. Zudem sieht die Union eine mögliche Stärkung des Gerichtsstandortes Deutschland im internationalen Wettbewerb. (scr/irs/01.03.2023)

Zeit: Mittwoch, 1. März 2023, 11 Uhr bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101

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