Petitionen

Seltener Einblick: Petitionsausschuss besichtigt US-Gefahrstofflager

Blick durch einen Zaun auf den US-Stützpunkt in Germersheim (Rheinland-Pfalz).

Das US-Depot am Rande der rheinland-pfälzischen Kreisstadt Germersheim. (picture alliance / Maximilian Perseke/dpa | Maximilian Perseke)

Der Mann, der an diesem grauen Montag, 6. März 2023, im historischen Bürgersaal des Germersheimer Stadthauses sein Anliegen vorträgt, heißt Gerald Seibel, 65, und ist Mitgründer der Bürgerinitiative „Kein Gefahrstofflager“. Eigentlich sei dieser Name aber veraltet, sagt er mit ruhiger Stimme und holt aus. Schließlich hatten sich seine Mitstreiter und er 2017 als Reaktion auf die geplante Erweiterung eines Gefahrstofflagers auf dem nahegelegenen US-Depot zusammengeschlossen – und die ist mittlerweile durch. „Korrekt wäre jetzt: Für ein sicheres Gefahrstofflager“, schiebt er hinterher. 

Denn in puncto Sicherheit sieht Seibel Handlungsbedarf und hofft dabei auf die Unterstützung vom Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Endlich, schließlich habe sich die Bürgerinitiative bereits 2019 unter der Vorgängerregierung an das Parlament gewandt, sagt er und blickt, die Lesebrille aufgesetzt, abwechselnd auf seinen Notizzettel und in die Runde. Seitdem sei auch einiges passiert, erläutert die Abgeordnete Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die Grünen), nur eben hinter den Kulissen: Akten wurden studiert, Stellungnahmen eingeholt. Jetzt wollen sie und ihre drei Berichterstatter-Kollegen aus dem Ausschuss sich vor Ort ein Bild machen und sind „da hingereist, wo die Geschichte spielt“. Ins südpfälzische Germersheim. 

Gebäude 7915: „hazard material storage

Es ist ein seltener Einblick, den die Delegation erhält, als sie gegen Mittag das streng bewachte Tor zum US-Depot passiert – bleibt das Gelände doch für gewöhnlich hinter hohen Zäunen und Stacheldraht verborgen. Ein noch seltenerer als sie jene Halle betritt, die die Bürgerinitiative seit so vielen Jahren umtreibt: Nummer 7915. Mit grüner Wellblech-Fassade und der Aufschrift „hazard material storage“. Eines von zwei Depots, in dem die US-Armee, genauer ihr Dienstleister Defense Logistics Agency (DLA), gefährliche Stoffe lagert. In Zukunft bis zu 1.900 Tonnen, wie im vergangenen Jahr genehmigt wurde. 

Dabei sollte man sich den Begriff „gefährlich“ schon mal genauer anschauen, sagt Deputy Commander Neil G. Flanagan. Schließlich könne man einige der Produkte, die im US-Depot im Gefahrstofflager aufbewahrt werden müssten, genauso gut auch in verschiedenen Geschäften in Deutschland finden: Reinigungsmittel und Handseife zum Beispiel. Mit gelber Warnweste über dem Nadelstreifenanzug, führt er die Gruppe durch die spärlich gefüllten Lagerräume. Vor ein paar Dutzend Fässern bleibt er stehen. „Motoröl“, sagt Flanagan auf Englisch. „Und das hier“, er zeigt auf die eingeschweißten Papiersäcke einige Meter weiter, „das sind Holzkohlebriketts“. 

Abgeordnete und Vertreter der US Army Garrison Rheinland-Pfalz stehen vor einer grünen Halle. Manche tragen orangefarbene Warnwesten.

Eine Delegation um die Abgeordnete Corinna Rüffer besichtigte das jüngst erweiterte Gefahrstofflager der amerikanischen Streitkräfte. (US Army Garrison Rheinland-Pfalz)

„Das ist nicht mehr zeitgemäß“ 

Das Depot gehört zum Logistikzentrum der US-Streitkräfte. Von Germersheim aus beliefert die DLA Truppen in Europa, Afrika und Teilen des Nahen Ostens. Sie verteilt Baumaterial, Kleidung – und eben Frostschutzmittel, Batterien und Motoröle, wie sie in Gebäude 7915 lagern. Dabei ist der Gefahrstofflagerkomplex auf dem Militärgelände nicht der einzige in Germersheim. Ein zweiter, ziviler liegt am Hafen der rheinland-pfälzischen Kreisstadt. Allerdings, und hier setzt die Kritik der Petenten an, unterliegen die beiden Depots unterschiedlichen Bestimmungen. 

Eingestuft als militärischer Sicherheitsbereich, gelten für das Lager der amerikanischen Streitkräfte Sonderregeln im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG). So ist es etwa von der Störfallverordnung ausgenommen. „Das ist nicht mehr zeitgemäß“, kritisiert Seibel und fordert, der Gesetzgeber müsse nachschärfen. Kontrolliert wird das Depot vom Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw), deren Präsidentin, Ulrike Hauröder-Strüning, versichert: „Wir überprüfen das Lager genau so, als ob es ein ziviler Bereich wäre.“ Möglich mache das die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Amerikanern, die aus eigenem Antrieb Daten bereitstellten und gemeinsam mit der Kreisverwaltung einen Katastrophenschutzplan erarbeiteten.

Trotzdem brauche es dafür einen rechtlichen Rahmen, kontert Petent Gerald Seibel. „Denn hätten sich die US-Streitkräfte nicht freiwillig bereiterklärt, die Daten zur Verfügung zu stellen, hätten wir heute noch keinen Entwurf für einen Katastrophenschutzplan.“ 

„Ein sicheres Umfeld schaffen“ 

Um den Eindruck maximaler Transparenz ist man im US-Depot auch an diesem Tag sichtlich bemüht. „Wir verpflichten uns, ein sicheres Umfeld zu schaffen“, sagt Oberst Reid E. Furman, Kommandeur der US-Garnison Rheinland-Pfalz, in Kampfuniform. Die Delegation fährt da gerade mit einem Reisebus über das 180-Hektar-Gelände. Vorbei an bunten Containern und Lastwagen. Ein einzelner Panzer steht etwas verloren auf dem kurzgemähten braunen Rasen. 

An einem mehrstöckigen Gebäude, die Flaggen von USA, Deutschland und DLA wehen vor dem Eingang, kommt der Bus zum Stehen. Hier, im Gebäude 7983, in dem sich das zweite Gefahrstofflager befindet, haben die Gastgeber eine Präsentation vorbereitet. Durch die Fenster kann man einen Blick ins Lager werfen. 

Landesverteidigung oder Infrastruktur 

Als „transparent und offen“ wird Rüffer das vertrauliche Gespräch später beschreiben. Und ohnehin sei es „relativ unspektakulär“, was sie und ihre Kollegen hinter den hohen Zäunen des Depots gesehen hätten – anders, als sie sich das beim Durcharbeiten der Akten im Büro noch ausgemalt habe. Auch Gerald Seibel will seine Petition nicht als Ablehnung der Gaststreitkräfte verstehen. Doch statt wie bisher auf den guten Willen der Amerikaner zu setzen, müsse das Parlament den Rechtsrahmen anpassen. Es gehe schließlich auch um andere Gefahrstofflager, sagt der 65-Jährige.

Die Bürgerinitiative spricht sich deshalb in ihrer Petition dafür aus, in Zukunft zwischen militärischen Einrichtungen der „unmittelbaren Landesverteidigung“ und „Infrastruktureinrichtungen“ zu unterscheiden. Letztere sollten dann denselben gesetzlichen Bestimmungen unterliegen wie zivile Anlagen. 

Umwelt- oder Sicherheitsrabatt 

Wie sinnvoll eine solche Klassifizierung wirklich wäre und welche Auswirkungen sie hätte, damit werden sich die Abgeordneten beschäftigen, wenn sie zurück in Berlin sind. „Die grundsätzliche Frage lautet doch“, meint der Abgeordnete Alexander Ulrich (Die Linke), „ob es bei militärischen Einrichtungen einen Umwelt- oder Sicherheitsrabatt gibt. Und ob der Bundestag es für richtig hält, dass die Einrichtungen gleich behandelt werden sollten.“ Und zwar unabhängig davon, ob er und die anderen Abgeordneten während ihres Termins Gefahren wahrgenommen hätten – oder eben nicht. 

„Wir werden hier und heute keine Entscheidung treffen“, sagt Corinna Rüffer. Aber der Ortstermin sei eine gute Grundlage, um der Petition weiter nachzugehen, bevor sie später auf der Tagesordnung des Ausschusses landen wird. Dann werden die Grünenabgeordnete und ihre Kollegen darüber abstimmen, wie der Bundestag mit dem Anliegen der Bürgerinitiative umgehen soll. (irs/09.03.2023)

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