Parlament

Abschließende Beratungen ohne Aussprache

Ohne Debatte hat der Bundestag am Donnerstag, 16. März 2023, über eine Reihe von Vorlagen entschieden:

Aufenthaltsgesetz: Der Bundestag stimmt mit der Mehrheit von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und AfD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke für einen Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/5333) zur Durchführung der EU-Verordnungen über ein Ein- und Ausreisesystem (Entry/Exit System – EES) und über ein Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystems (Etias). Die Abstimmung erfolgt auf Grundlage einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat (20/5945). Die sogenannte EES-Verordnung sieht laut Vorlage die Speicherung des Zeitpunkts und Orts der Ein- und Ausreise und etwaiger Einreiseverweigerungen von Drittstaatsangehörigen im EES vor, die für einen Kurzaufenthalt in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen. Für Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein stelle die Verordnung eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstandes im Rahmen der jeweiligen Assoziierungsabkommen dar. Die „Etias-Verordnung“ regelt den Angaben zufolge die Einrichtung eines europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems („European Travel Information and Authorization System“). Ziel des Systems sei festzustellen, „ob ein von der Visumpflicht befreiter Drittstaatsangehöriger zur Einreise in den Schengenraum berechtigt ist und ob mit seiner Einreise ein Risiko für die Sicherheit, ein Risiko der illegalen Einwanderung oder ein hohes Epidemierisiko verbunden ist“. Der Gesetzentwurf enthält laut Bundesregierung zwei neue Stammgesetze mit speziellen Vorschriften zur Durchführung der beiden Verordnungen, die unmittelbar und allgemein gelten. Zudem sieht er unter anderem „die infolge der Einführung der europäischen Mechanismen EES und Etias notwendigen Anpassungen des Aufenthaltsgesetzes und weiterer Gesetze vor“. Hierbei werde sichergestellt, dass eine erforderliche europäische Reisegenehmigung Voraussetzung für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet wird.

Sportvereine: Keine Mehrheit gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Grüne, FDP und Linke fand ein Antrag der AfD mit dem Titel „Euro-Inflation und Energiekrise – Schutz der Sportvereine vor hausgemachter Preissteigerungen“ (20/5367). Der Entscheidung lag eine Empfehlung des Sportausschusses (20/5801) zugrunde. Aus Sicht der Antragsteller ist vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Schließung von Schwimmbädern und Sportstätten in den vergangenen beiden Jahren und den schwerwiegenden Folgewirkungen für die Gesellschaft, insbesondere auch für Kinder, Jugendliche und Ältere, eine erneute Schließung „unbedingt zu verhindern“. Die AfD-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, zum Ausgleich von Härtefällen einen zusätzlichen Hilfsfonds einzurichten und die Beantragung von Förderprogrammen für energetische Sanierung zu erleichtern und Investitionsanreize zu setzen, die für kommunale Sportstätten ebenso wie für Anlagen im Vereinsbesitz gelten.

Gedenken: Direkt abgestimmt und mit der breiten Mehrheit der übrigen Fraktionen des Bundestages wurde ein Antrag der AfD-Fraktion (20/6002) abgelehnt, der „dem 18. März als Tag der deutschen Demokratiebewegung den Status eines gesetzlichen nationalen Gedenktages“ verleihen will. Die Fraktion fordert die Bundesregierung darin auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Auch soll die Bundesregierung dem Antrag zufolge die sie tragende Koalition veranlassen, „im Deutschen Bundestag am 18. März 2023 eine Gedenkstunde für die am 18. März 1848 gefallenen Patrioten zu veranstalten“. In der Vorlage schreibt die Fraktion, dass sich am 18. März dieses Jahres „die nationale bürgerliche Revolution vom 18. März 1848“ zum 175. Mal jähre, ein „Meilenstein in der deutschen Demokratiebewegung“. Wie sie ferner ausführt, mussten die „sich für Freiheit und Demokratie einsetzenden Aufständischen aus allen Schichten der Bevölkerung“ bei den Barrikadenkämpfen in Berlin 270 Tote beklagen und rund 1.000 Verletzte. Der Aufstand habe den Weg für weitere bedeutsame Entwicklungen in der deutschen Demokratie- und Freiheitsbewegung geebnet wie zum Beispiel die Frankfurter Nationalversammlung in der Paulskirche, heißt es in dem Antrag weiter. Wie die Fraktion zugleich darlegt, fanden am 18. März 1990 in der DDR die ersten und einzigen freien und demokratischen Wahlen zur Volkskammer statt. Die Wahlen seien ein „Wegbereiter hin zur Deutschen Einheit“ gewesen.

Covid: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen des Bundestages einen von der AfD-Fraktion vorgelegten Antrag mit dem Titel „COVID-19-Impfungen gegen SARS-CoV-2 bei Minderjährigen aussetzen“ (20/4891) abgelehnt. Dazu lag den Parlamentariern eine Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (20/5885) vor. Laut Antrag hätten Studien gezeigt, dass bei Kindern und Jugendlichen die meisten Covid-19-Infektionen entweder unbemerkt oder als leichte grippale Infekte verliefen. Schwere Verläufe seien in diesem Alter eher eine seltene Ausnahme, Todesfälle kämen noch seltener vor. Die Abgeordneten schlagen daher vor, die Impfungen von Minderjährigen mit und ohne Vorerkrankungen sofort bis zur Auswertung der Studie des Deutschen Herzzentrums bezüglich der Herzmuskelentzündungen nach Corona-Impfungen auszusetzen und die Erteilung einer Zulassung für die Impfung von Kleinkindern ab sechs Monaten sowie die Erprobung der Impfung für die genannte Altersgruppe zu unterbinden. Zudem sollten Nebenwirkungen und Einflüsse auf die körperliche und geistige Entwicklung durch Impfungen gegen Covid-19 bei Minderjährigen weiter erforscht werden.

Streitverfahren: Das Parlament hat mit den Stimmen von SPD, Grünen, FDP und Linke bei Stimmenthaltung von CDU/CSU und AfD auf Basis der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (20/6013) empfohlen, in den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (2 BvC 4 / 23 und 2 BvC 5 / 23) Stellung zu nehmen, die Bundestagspräsidentin zu bitten, eine Prozessbevollmächtigte oder einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen sowie den Verfahren beizutreten. Konkret geht es um Wahlprüfungsbeschwerden, die sich gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 richten, mit dem die dritte Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses zu Einsprüchen anlässlich der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag am 26. September 2021 (20/4000) angenommen wurde. Die CDU/CSU-Fraktion beantragt in ihrer Wahlprüfungsbeschwerde unter dem Aktenzeichen 2 BvC 4 / 23 den Beschluss des Bundestages vom 10. November aufzuheben und über die Gültigkeit der angefochtenen Wahl und die sich aus einer Ungültigkeit ergebenden Folgen zu entscheiden. Die Abgeordneten vertreten die Auffassung, dass die Bundestagswahl im Land Berlin als Erststimmenwahl in den Wahlkreisen 76 und 77 zu wiederholen sei. Als Zweitstimmenwahl sei die Wahl zumindest in den Wahlkreisen 75, 76, 77, 79, 80 und 83 sowie in den weiteren im Beschluss des Bundestages näher benannten Wahlbezirken zu wiederholen. Die AfD-Fraktion beantragt in ihrer Wahlprüfungsbeschwerde unter dem Aktenzeichen 2 BvC 5 / 23 den Beschluss des Bundestages vom 10. November aufzuheben, die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag im gesamten Wahlgebiet des Landes Berlin für ungültig zu erklären und eine Wiederholungswahl durchzuführen.

Petitionen: Darüber hinaus hat das Parlament über neun Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses zu Petitionen abgestimmt, die beim Bundestag eingegangen sind und vom Petitionsausschuss beraten wurden. Dabei geht es um die Sammelübersichten 283 bis 291 (20/5833, 20/5834, 20/5835, 20/5836, 20/5837, 20/5838, 20/5839, 20/5840, 20/5841). 

Wechselmodell als Standard nach Trennung der Eltern 

Darunter befindet sich eine Petition mit der Forderung, das Wechselmodell als Standard im Falle einer Trennung und Scheidung der Eltern gesetzlich zu verankern. Das Wechselmodell solle das Residenzmodell als Standard ablösen und auch gegen den Wunsch eines einzelnen Elternteils angeordnet werden können, heißt es in der Petition. Da Kinder beide Eltern bräuchten habe es negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung und Zukunft, wenn sie ihre Mutter oder ihren Vater im Rahmen des Residenzmodells nur noch selten sehen würden. Das Wechselmodell sei nach wissenschaftlichen Untersuchungen die beste Lösung für Kinder nach einer Trennung der Eltern, schreiben die Petenten. Zudem gebe es berufliche Gleichstellung zwischen Mann und Frau nur mit einer gleichberechtigten Kinderbetreuung mit wöchentlichem oder 14-tägigem Wechsel. 

Die vom Petitionsausschuss in seiner Sitzung am 1. März 2023 verabschiedete Beschlussempfehlung an den Bundestag sieht nur vor, die Petition dem Bundesministerium der Justiz „als Material“ zu überweisen. Den Verfahrensgrundsätzen des Petitionsausschusses zu Folge bedeutet dies, dass die Bundesregierung die Petition „in die Vorbereitung von Gesetzentwürfen, Verordnungen oder anderen Initiativen oder Untersuchungen einbeziehen soll“. 

Umfang des Umgangs gesetzlich nicht vorgegeben 

In der Begründung zur Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses wird darauf verwiesen, dass im Falle einer Trennung der Umfang des Umgangs gesetzlich nicht vorgegeben sei, sondern in der Verantwortung der Eltern liege. Er könne sich beispielsweise auf das Wochenende beschränken, sich aber auch auf Werktage erstrecken, um so auch dem nicht hauptsächlich betreuenden Elternteil zu ermöglichen, am Alltag des Kindes teilzuhaben und es mitzuerziehen (sogenannter erweiterter Umgang). 

Schließlich könnten die Eltern auch eine hälftige Betreuung vereinbaren, bei der sich das Kind in etwa gleich langen Phasen abwechselnd bei dem einen und dem anderen Elternteil aufhält (Wechselmodell). 

Jugendamt soll vermitteln und Hilfestellung leisten 

Im Streitfall entscheide auf Antrag das zuständige Familiengericht, heißt es in der Vorlage. Es habe schon bisher auch einen erweiterten Umgang auf der Grundlage von Paragraf 1684 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) anordnen können, wenn dies im konkreten Fall unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Eltern dem Wohl des Kindes am besten entspricht (Paragraf 1697a BGB). Bei der Herstellung von Umgangskontakten und bei der Ausführung gerichtlicher oder vereinbarter Umgangsregelungen solle das Jugendamt vermitteln oder in geeigneten Fällen Hilfestellung leisten. 

Anfang 2017 habe der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass auch eine gleichmäßige Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells durch eine gerichtliche Umgangsregelung möglich sei und grundsätzlich auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden könne. Entscheidender Maßstab sei auch hier das im Einzelfall festzustellende Kindeswohl, für dessen Prüfung der BGH konkrete Voraussetzungen benannte. 

Expertengruppe gegen gesetzliche Verankerung des Wechselmodells 

Der Petitionsausschuss macht zugleich auf die Erkenntnisse einer vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) im Jahr 2018 eingesetzten Expertengruppe aufmerksam, die sich für eine grundsätzlich gemeinsame Sorge beider Eltern, jedoch gegen eine gesetzliche Verankerung des Wechselmodells als gesetzliches Leitbild eines Betreuungsmodells ausgesprochen habe. Nach Auswertung der von der Arbeitsgruppe erarbeiteten Thesen habe das BMJV im Sommer 2020 einen Referentenentwurf vorgelegt, wonach das Wechselmodell zwar nicht als Regelfall im Gesetz verankert werden soll, der aber unter anderem Regelungen für mehr Rechtssicherheit in der Betreuung von Kindern nach Trennung oder Scheidung der Eltern zum Gegenstand enthielt. „Über die Inhalte des Entwurfs konnte seinerzeit innerhalb der Bundesregierung jedoch keine Einigung erzielt werden“, heißt es in der Vorlage. 

Die im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP für die 20. Wahlperiode verabredete umfassende Reform des Familienrechts sehe jedoch vor, gemeinsam mit den Ländern die Erziehungs-, sowie Trennungs- und Konfliktberatung zu verbessern und dabei insbesondere das Wechselmodell in den Mittelpunkt zu stellen, schreiben die Abgeordneten. (hau/irs/eis/16.03.2023)

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