Kinderkommission

Experten: Aufklären gegen Cybermobbing und Deepfakes

Zwei junge Frauen sitzen in einem Park und schauen auf ein Smartphone (gestellte Szene).

Die Kinderkommission widmete sich in einem öffentlichen Fachgespräch dem Thema Cybermobbing. (picture alliance / Christin Klose | Christin Klose)

Sensibilisieren statt verbieten, Eltern und Lehrer mit ins Boot nehmen, die Kinder möglichst früh in Rollenspielen aufklären: Wie sie Schülerinnen und Schüler gegen Cybermobbing und Erniedrigungen durch Deepfakes ertüchtigen, das zeigten die Experten im öffentlichen Fachgespräch der Kinderkommission des Deutschen Bundestages (Kiko) am Mittwoch, 15. März 2023

Kinderschutz im Umgang mit dem Handy

Der Generation, die vom ersten Tag an einen Datenstrom von sich im Internet hinterlasse, mit dem sie bei jedem künftigen Schritt in im Leben konfrontiert würden, könne man nicht mit Verboten kommen, sondern müsse ihnen für die Gefahren die Augen öffnen, indem man ihre Sprache spreche, erklärte Cem Karakaya, Experte für Internetkriminalität, Autor und Gründer des Blackstone432-Teams. Dafür tauche er mit den Kindern in die faszinierende Welt der Spiele und Netzwerke ein. „Zocken ist toll“. Allerdings: „Bis sie sechs alt war, hat meine Tochter kein Smartphone in die Hand bekommen.“

Aber auch in diesem Alter könne man bereits mit dem Kinderschutz im Umgang mit dem Handy beginnen. Vor allem gelte es die Erwachsenen zu sensibilisieren, damit sie die Kinder in der aktuellen Medienwelt begleiten können und um Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Viele Kinder nutzten da bereits ein Smartphone, das ja viel mehr sei als nur ein Mobiltelefon: ein Computer mit einem Betriebssystem, mit dem man über zahlreiche Anwendungen die Welt an sich heranlasse, und leider auch ein Einfallstor für Kriminalität.

Frust und Langeweile als Motive

Rollenspiel an einer Münchner Schule. Eine Gruppe Jugendlicher gerät in Streit, eine will nicht mit ins Schwimmbad. Und gerät zum Mobbing-Opfer. Aus Frust und Langeweile starten die anderen nach deren Weggang eine Hass-Gruppe und bringen ein Fake-Video in Umlauf. Immer mehr schließen sich an, das Grauen nimmt seinen Lauf. Beleidigungen, Drohungen, Erpressung. Manche Opfer treibe das im Erstfall in den Selbstmord. 

Auch wenn ein Movie später als Fälschung entlarvt werde - bei knapp über der Hälfte gelinge das. Die Schande bleibe im Netz. Das Rollenspiel kläre auf: Wie entstehen täuschend echte deep fakes, wie erkenne ich sie und was machen sie mit dem Opfer. Alle verstünden nach so einem Workshop: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Und: so etwas möchte niemand erleiden. Niemand trete nach einem solchen Intensivkurs noch einer Hass-Gruppe gegen Klassenkameraden bei, so Karakaya.

Technische und rechtliche Aufklärung

Die technische und rechtliche Aufklärung öffne den Kindern die Augen. Peinliche Sachen bei TikTok verfolgen einen ein Leben lang, machen einen erpressbar, manipulierbar. Bewerbungsunterlagen schauten heute viele Personaler kaum mehr an, sondern machten sich mit den Angaben Name, Geburtsdatum und Adresse schnell ein Bild von dem Kandidaten im Internet. Identitätsdiebstahl müsse in Deutschland endlich zu einem Straftatbestand werden, um den Opfern besseren Schutz zu gewähren, fordert Karakaya. Bei einem Mobbing-Vorfall sollte der Täter die Schule wechseln müssen, nicht das Opfer, das dadurch doppelt bestraft werde. 

Als größtes Problem im Kampf gegen die Untiefen der Internetnutzung hat der Cyberexperte jedoch den Zeit- und Personalmangel ausgemacht. Eltern und Lehrkräfte seien überfordert und desinteressiert. Lehrer gehörten zu den wesentlichen Multiplikatoren. Man brauche zudem noch mehr geschulte Jugendbeamte. Es gelte jetzt schnell zu handeln. „Sonst verlieren wir eine komplette Generation. Wir müssen das alles mit den Kindern gemeinsam durchgehen. Eltern und Lehrer müssen sich interessieren.“ Gegenseitiges Vertrauen und Kommunikation seien die beste Investition, um über die Gefahren im Internet aufzuklären. Ohne bösen Zeigefinger müsse man den Kindern klarmachen: Ladet nicht so viel Bildmaterial von euch hoch, bewegt euch mit Fantasienamen. 

Vor allem hätten viele Erwachsene großen Nachholbedarf. „Heute zeigen die Kinder uns was. Eigentlich sollte es umgekehrt sein“, gibt Karakaya zu bedenken. Es gebe zum Glück sehr viele Beratungsstellen, an die man sich wenden könne. Gute pädagogische Ansätze und Materialien stünden bereit. „Die Internetseite www.klicksafe.de ist die beste Seite für Kinder, Eltern und Lehrer.“ 

„Sensibilisierung ist das mächtigste Tool

„Auch erfahrene Experten können deep fake nur zu etwa 50 Prozent richtig einordnen, je besser es gemacht ist“, sagte Sebastian Froede, Cyber Security Engineer, whitelisthackers GmbHDeep fake sei mittlerweile schon ein lange bekanntes Phänomen, so der Cyberexperte, und verweist auf das gefälschte Obama-Video von vor fünf Jahren. Deep fake werde aber immer perfektionierter und immer häufiger in allen qualitativen Ausführungen angewendet. „Es ist ganz einfach, jeder kann es in wenigen Minuten machen. Man braucht nur ein Foto.“ 

Es werde aber auch mit einfachen Sprachnachrichten praktiziert, beispielsweise für Erpresseranrufe. Die Technologie werde aber heute auch für positive Zwecke genutzt, beispielsweise, um mit künstlichen Kinderporträts Pädophile auf eine von Ermittlern gelegte Fährte zu locken. „Sensibilisierung ist das mächtigste Tool“, über das wir verfügen, sagte Froede. Wir müssen alle Menschen für die Gefahren aus dem Internet sensibilisieren. Nur so könne man sich schützen. 

Den Schülern zeige man, wie man deep fake erkennen könne: Seht her, es passieren Fehler, ob bei der Kleidung, bei Schmuckstücken oder an den Bildrändern und -hintergründen. „Verbieten“ könne man deep fake nicht. Gegen Identitätsdiebstahl helfe nur: die eigene Sicherheit verbessern und nicht zu viel zu posten. „Alle Daten im Netz sind dauerhaft irgendwo.“ Zur Aufklärung brauche es „Schüler-Eltern-Projekte. Kinder setzen sich irgendwie im Internet mit dem Phänomen auseinander, probieren herum. Man muss ihnen eine sichere und legale Spielwiese schaffen und dort einen Lerneffekt erzeugen.“ Die sechsköpfige Kinderkommission ist ein Unterausschuss des Familienausschusses und vertritt die Interessen von Kindern und Jugendlichen im Parlament. (ll/15.03.2023)

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