Fraktionen erinnern an Einzug der Nationalversammlung in die Paulskirche vor 175 Jahren
Der Bundestag hat am Donnerstag, 11. Mai 2023, in einer Vereinbarten Debatte des Einzugs der deutschen Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche vor 175 Jahren am 18. Mai 1848 und der Ausarbeitung der ersten gesamtdeutschen Verfassung gedacht. Redner aller Fraktionen mahnten an, dass diese demokratische Tradition Deutschlands wieder verstärkt in der Erinnerungskultur berücksichtigt werden müsse. Die Debatte offenbarte zugleich jedoch auch sehr unterschiedliche Sichtweisen auf das Jubiläum.
SPD: Opferreicher und mühevoller Weg zur Demokratie
Die SPD-Parlamentarierin Marianne Schieder führte an, die Geschichte der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche als erstes gesamtdeutsches Parlament zeige, wie „opferreich und mühevoll“ der Weg zur Demokratie sei. Neben der Schaffung eines deutschen Nationalstaates sei es um die Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung und die Durchsetzung grundlegender Bürgerrechte gegangen.
Die jüdischen Gemeinden in Deutschland hätten damals große Hoffnungen auf die Nationalversammlung und die Gewährung der Religionsfreiheit gesetzt. Auch das Scheitern der Nationalversammlung am Widerstand der monarchistischen Kräfte gehöre zur Geschichte der Demokratie. Umso wichtiger sei es, die Demokratie gegen all ihre Feinde zu verteidigen.
CSU/CSU: Verfassung ist ein Dokument des Fortschritts
Yvonne Magwas (CDU/CSU) bezeichnete die von der Nationalversammlung ausgearbeitete Verfassung als ein „Dokument des Fortschritts“. Sie habe erstmals die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz festgeschrieben. Allerdings seien Frauen damals von den Wahlen und von der Paulskirche ausgeschlossen gewesen. Dies sei eine „Blindstelle“, räumte Magwas ein. In Deutschland habe die Paulskirche in der Erinnerung lange Zeit „ein Schattendasein“ geführt.
Es sei der amerikanische Präsident John F. Kennedy gewesen, der sie als „Wiege der deutschen Demokratie“ bezeichnet. Ebenso wie Marianne Schieder mahnte Magwas an, die Nationalversammlung stärker in der Erinnerungskultur zu verankern. Die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte und das Haus der Demokratie müssten in der Fläche wirken.
Regierung: Demokratie braucht den Kompromiss
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, Einheit und Freiheit seien die beiden großen Themen in der Frankfurter Paulskirche gewesen. In der heutigen modernen Einwanderungsgesellschaft bedeuteten Einheit und Freiheit aber auch „Vielfalt“, der Schutz und die Rechte von Minderheiten und geschlechtlichen und sexuellen Identitäten. Deutschland sei diverser, vielfältiger und bunter geworden. Die Demokratie wolle die Kontroverse, aber sie brauche den Kompromiss.
Auch wenn sich der „Traum von der Freiheit“ 1848/49 gegen die Obrigkeit nicht habe durchsetzen können, so sei er bis heute „nicht ausgeträumt“. Der Traum von der Freiheit gehöre „zur DNA Europas“. Dies zeige sich auch in der Ukraine angesichts der russischen Aggression. Dies wüssten auch Machthaber wie Russlands Präsident Wladimir Putin.
AfD kritisiert Traditionsvergessenheit
Der AfD-Abgeordnete Götz Frömming führte an, alle Abgeordneten der Paulskirche von links bis rechts habe trotz aller politischen Unterschiede damals ein „glühender Patriotismus“ geeint. Von diesem Patriotismus sei heute nur noch wenig zu spüren. 1848 sei auch die Zeit „vaterländisch gesinnter“ Turn- und Gesangsvereine und Burschenschaften gewesen.
Doch heute würden ehemalige Abgeordnete der Paulskirche wie Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndt „vom Sockel gestürzt“ und der damalige Präsident der Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, wahrscheinlich im Verfassungsschutzbericht erwähnt. Dies offenbare eine „seltsame Traditionsvergessenheit“, die bereits der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog angemahnt habe.
FDP: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit
Der FDP-Parlamentarier Thomas Hacker hielt Frömming entgegen, dass der Liberale Heinrich von Gagern es verdiene, „auch von einem Liberalen zitiert zu werden“. Er wies darauf hin, dass die Demokratie „nie eine Selbstverständlichkeit“ gewesen sei und es auch nie sein werde. „Aber am Ende wird sie sich immer behaupten.“ Aber sie müsse auch immer gegen ihre Feinde verteidigt werden, sagte Hacker und wies dabei mit der Hand in die Reihen der AfD-Fraktion. Trotz ihres Scheiterns sei die von der Nationalversammlung ausgearbeitete Verfassung die Grundlage späterer deutscher Verfassungen, führte Hacker aus. Dies sei ihr „großes politisches Vermächtnis“.
Linke erinnert an die Märzrevolution
Janine Wissler (Die Linke) hingegen erinnerte an die revolutionären Grundlagen der Nationalversammlung von 1848. Ohne die Märzrevolution hätte die Nationalversammlung nie zusammentreten können. Auf den Barrikaden hätten damals vor allem Angehörige der verarmten Arbeiterschicht gegen die monarchistische Oberschicht gekämpft und sie hätten auch die meisten Opfer zu beklagen gehabt.
Die Märzrevolution von 1848 sei die Geburtsstunde der Arbeiterbewegung in Deutschland gewesen. So feiere eben nicht nur die Nationalversammlung ihr 175. Jubiläum, sondern auch das Kommunistische Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels. (aw/11.05.2023)