Die seit Jahren sinkende Zahl von tarifgebundenen Betrieben hat am Donnerstag, 25. Mai 2023, den Deutschen Bundestag beschäftigt. Im Jahr 2021 galt nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Deutschland für rund jeden zweiten Beschäftigten ein Tarifvertrag – das sind rund 20 Prozentpunkte weniger als noch 25 Jahre zuvor. Die Linke fordert deshalb von der Bundesregierung einen „Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung“. Einen entsprechenden Antrag der Fraktion (20/6885) überwies das Parlament nach der Debatte zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Linke: Machen Sie einen Aktionsplan und kein Stückwerk
Immer mehr Unternehmen würden sich ihrer sozialen Verantwortung entziehen und auf „schmutzige Wettbewerbsvorteile durch zum Beispiel Lohndumping“ setzen, sagte Pascal Meiser (Die Linke). Um dem entgegenzusteuern, brauche es Tarifverträge, die „für gute Arbeitsbedingungen und höhere Löhne“ sorgen würden. Nur noch jeder zweite Arbeitnehmer falle heutzutage unter den Schutz des Tarifvertrages, mahnte Meiser.
Den Staat sieht der Linken-Abgeordnete in der Pflicht, das Tarifsystem zu stärken und bessere Rahmenbedingungen zu gewährleisten: „Machen Sie einen Aktionsplan, kein Stückwerk“, sagte Meiser. Seine Fraktion fordert in dem debattierten Antrag unter anderem, Tarifverträge künftig leichter als allgemeinverbindlich erklären zu können und durch ein Tariftreuegesetz zu verhindern, dass öffentliche Gelder durch Ausschreibungen an Betriebe fließen, die keiner Tarifbindung unterlägen. Während im Jahr 2000 noch 100 allgemeinverbindliche Tarifverträge existierten, liege die Zahl mittlerweile bei 34.
SPD: Tarifflucht darf kein Zukunftsmodell sein
Rund die Hälfte der Beschäftigten arbeite in Deutschland in tarifgebundenen Betrieben. Dies sei zu wenig, sagte Michael Gerdes (SPD). Die Vorteile eines Tarifvertrags zeigten sich beispielsweise mit Blick auf die Arbeitszeit. So müssten Arbeitskräfte ohne Tarifvertrag etwa eine Stunde mehr in der Woche arbeiten. Gerdes befürwortete viele der Forderungen aus dem Antrag, setze bei der Stärkung des Tarifsystems allerdings auf die Vorhaben der Ampel-Koalition.
So solle künftig die „Betriebsausgliederung mit dem Zweck der Tarifflucht unterbunden werden“. Unternehmen dürften sich ihrer unternehmerischen Verantwortung nicht entziehen und die Tarifflucht „kein Zukunftsmodell“ werden. Außerdem kündigte Gerdes an, dass das Bundestariftreuegesetz noch in diesem Sommer auf den Weg gebracht werden solle.
Union: Keine Tarifpflicht durch die Hintertür
Gegen das Vorhaben, öffentliche Gelder künftig nur noch an Unternehmen und Betriebe mit Tarifbindung zu vergeben, sprach sich Maximilian Mörseburg (CDU/CSU) aus. Dadurch werde der Wettbewerb verzerrt und ein „falsches Signal zum falschen Zeitpunkt“ gesendet. Deutschland könne es sich in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage nicht leisten, nicht-tarifliche Betriebe als schlecht abzustempeln. Die Realität sei, dass sich schon jetzt kaum Betriebe auf öffentliche Ausschreibungen bewerben würden. Eine Verpflichtung zur Tariftreue wird die Lage laut Mörseburg noch verschärfen.
Besonders in Krisenzeiten müsse der Arbeitsmarkt anpassungsfähig sein. Die Kurzarbeitsregelungen seien der beste Beweis dafür, dass Flexibilität und nicht Starrsinn den Arbeitsmarkt retten würden. Der Fraktion Die Linke warf Mörseburg vor, dass sie eine „Tarifpflicht durch die Hintertür“ plane. Der Unionsabgeordnete lehnte dieses Vorhaben ab und forderte stattdessen, die Tarifautonomie hochzuhalten.
Grüne: Viele gute Gründe für die Stärkung der Tarifbindung
Laut Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen) gibt es gleich eine ganze Reihe von Gründen für die Stärkung der Tarifbindung: So würden Tarifverträge kollektiv die Beschäftigten schützen, die Sozialversicherungssysteme stärken, gleich Bedingungen und fairen Wettbewerben unter den Unternehmen sichern und seien „ein Mittel gegen die Lohndiskriminierung von Frauen“.
Für Müller-Gemmeke habe die Politik durchaus die Pflicht, das Tarifvertragssystem anzugehen, sollte die Tarifbindung weiter sinken. Dazu zähle auch eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung: „Dort wo es Betriebsräte gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen auch einen Tarifvertrag hat“, sagte Müller-Gemmeke. Außerdem müssten neue Regelungen für Betriebsübergänge gefunden werden. Umstrukturierungen von Unternehmen oder das Gründen einer Tochtergesellschaft, nur um die Tarifbindung zu umgehen, müssten unterbunden werden.
AfD: Deutschland war zu lange ein Niedriglohnland
Lohndumping und prekäre Arbeitsbedingungen gebe es vor allem dort, wo keine Interessenvertretung existiert, sagte Ulrike Schielke-Ziesing (AfD). Zu lange sei Deutschland ein „Niedriglohnland“ gewesen. Dabei sei es wichtig, dass Arbeit angemessen honoriert werde. In Anbetracht der steigenden Kosten seien höhere Löhne „längst kein Luxus mehr, sondern schiere Notwendigkeit“, sagte Schielke-Ziesing.
FDP: Tarifbindung steht der unternehmerischen Freiheit im Weg
Carl-Julius Cronenberg (FDP) mahnte, dass eine hohe Tarifbindung nicht automatisch auch gute Arbeitsbedingungen und eine starke Volkswirtschaft nach sich ziehe. So stehe die Bundesrepublik volkswirtschaftlich besser da als einige ihrer Nachbarstaaten mit höherer Tarifbindung. Als Beispiel nannte Cronenberg Italien, das bei einer 100-prozentigen Tarifbindung niedriges Wachstum und höhere Staatsschulden aufweise.
In der sozialen Marktwirtschaft dürfe der Staat lediglich Mindeststandards festsetzen und müsse sich ansonsten an die Prinzipien der „Subsidiarität und Tarifautonomie“ halten, sagte Cronenberg. Eine höhere Tarifbindung dürfe nicht erzwungen werden, da sie unter anderem der unternehmerischen Freiheit im Weg stehe. So könne ein Unternehmen seine Beschäftigten bei Bedarf nicht mehr übertariflich bezahlen, kritisierte Cronenberg. Dies schwäche die langfristige Bindung von Arbeitnehmern an ein Unternehmen.
Antrag der Linken
Um die Anzahl tarifgebundener Betriebe in Deutschland zu erhöhen, fordert die Fraktion Die Linke von der Bundesregierung einen „Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung“. So solle unter anderem die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtert werden. Hierfür solle es künftig ausreichen, wenn eine Tarifvertragspartei einen entsprechenden Antrag stelle, den der Tarifausschuss wiederum nur noch per Mehrheitsbeschluss ablehnen könne. Durch diese Regelung würden nach Auffassung der Fraktion Beschäftigte aus nicht-tarifgebundenen Unternehmen leichteren Zugang zu geltenden Flächentarifverträgen erhalten.
Außerdem fordert die Fraktion, öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen mit ortsüblichen Tariflöhnen zu vergeben und Mitgliedschaften ohne Tarifbindung – sogenannte OT-Mitgliedschaften – in Arbeitgeberverbänden zu untersagen. Zusätzlich solle auch bei Umstrukturierungen von Betrieben ein Tarifvertrag bestehen bleiben und das Arbeitnehmerentsendegesetz dahingehend geändert werden, dass „allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge“ künftig auch für temporär entsendete Arbeitskräfte aus dem Ausland gelten. (des/25.05.2023)