Aktuelle Stunde

Gegenseitige Vorwürfe in der Debatte über den Medikamentenmangel

Der Mangel an wichtigen Medikamenten sorgt für heftigen Streit zwischen Regierung und Opposition. Redner von Union, Linke und AfD bezweifelten in einer Aktuellen Stunde am Donnerstag, 15. Juni 2023, dass der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf gegen Arzneimittel-Lieferengpässe (20/6871) nachhaltige Lösungen bringen werde. Abgeordnete der Ampel-Koalition verteidigten die Vorlage, räumten aber ein, dass die Problemlage komplex sei und Korrekturen Zeit in Anspruch nähmen. 

Union: Protest der Apotheker zeigt den Ernst der Lage

Tino Sorge (CDU/CSU) sprach mit Blick auf den Medikamentenmangel von einem ernsten Problem. Er warf Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor, die Herausforderungen kleinzureden und viel zu spät auf die Engpässe reagiert zu haben. Der Protest der Apotheker zeige den Ernst der Lage, die Probleme seien aber nicht neu, sondern schon im vergangenen Jahr Thema gewesen. Die Ampel-Koalition habe Vorschläge der Union abgelehnt, während einfachste Medikamente nicht mehr verfügbar seien, darunter Kinderarzneimittel. 

Sorge kritisierte, in der Gesundheitspolitik werde immer deutlicher, dass sich Lauterbach nicht gegen Finanzminister Christian Lindner (FDP) durchsetzen könne. Lauterbach agiere wie ein Boxer, der oberhalb seiner Gewichtsklasse kämpfe und sich dann über Niederlagen wundere. Der Gesetzentwurf gegen Lieferengpässe sei in der Anhörung von Experten „zerrissen“ worden. Er forderte die SPD auf, selbstkritischer an die Reform heranzugehen.

SPD: Probleme haben sich über Jahre aufgebaut

Rednerinnen von SPD, Linken, Grünen reagierten empört und erinnerten die Union daran, dass sie selbst als Regierungspartei über Jahre keine entscheidenden Regelungen zur Sicherung der Arzneimittelversorgung beschlossen habe. Heike Baehrens (SPD) forderte die Union auf, verpasste Chancen in der Vergangenheit selbstkritisch einzugestehen. Die Medikamentenversorgung sei derzeit nicht so, wie sie sein solle, räumte die SPD-Politikerin ein und mahnte, insbesondere schwer kranke Patienten müssten jederzeit die Medizin bekommen können, die sie bräuchten. Allerdings sei nicht nur Deutschland von Lieferengpässen betroffen, sondern auch andere Länder. Sie verwies auf die von der Bundesregierung angestoßenen Sofortmaßnahmen. Ein Ziel sei, den deutschen Generikamarkt wieder attraktiver zu machen. 

Die aktuellen Probleme hätten sich über Jahre aufgebaut und vielschichtige Ursachen. Gemeinsam mit der Union seien in der Vergangenheit einzelne Regelungen gegen Lieferengpässe beschlossen worden, aber Vorschriften etwa zur Lagerhaltung oder Rabattverträgen seien mit der Union nicht durchsetzbar gewesen. Baehrens versprach: „Wir werden alles tun, damit die Menschen auch bei globalen Krisen auf eine hochwertige Arzneimittelversorgung setzen können.“

Grüne werfen Union Populismus vor

Dr. Paula Piechotta (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Union vor, mit der „rhetorischen Heißluftpumpe“ an die akuten Probleme heranzugehen. Bei dem ernsten Thema verbiete sich jeder Populismus, es sei kompliziert und komplex, einfache Lösungen gebe es nicht. Sie erinnerte an den sehr langen Vorlauf für bestimmte Regelungen gegen den Mangel an Medikamenten. Seit 2011 sei wenig oder gar nichts passiert, jedenfalls nicht genug, sagte Piechotta. Es habe dabei Beschwichtigungen gegeben und einen Pharmadialog, mit der Pandemie und der Infektionswelle im Winter 2022/23 seien die Lieferengpässe dann ein großes Thema geworden.

In dieser langen Zeit seien die Arzneimittelimporte aus China von eher „inexistent“ in den Milliardenbereich hochgeschnellt. Piechotta resümierte: „Wenn wir früher interveniert hätten, wäre das Problem nicht so groß geworden.“

Linke: Politikversagen mit Ansage

Kathrin Vogler (Die Linke) erinnerte an die verzweifelten Eltern während der Infektionswelle im vergangenen Herbst und Winter, als es keinen Fiebersaft für Kinder mehr gab und auch Zäpfchen und andere wichtige Medikamente fehlten. Hier müsse endlich gehandelt werden, sagte sie und machte die Union mitverantwortlich für die aktuelle Schieflage. In der Vergangenheit seien nur die Profite der Hersteller gesichert worden, nicht aber die Versorgung der Bevölkerung. 

Für neue Medikamente würden Phantasiepreise abgerechnet, während bei Rabattverträgen eine „gnadenlose Abwärtsspirale“ zu beobachten sei, kritisierte Vogler. Den vorliegenden Gesetzentwurf gegen Lieferengpässe wertete sie als „Politikversagen mit Ansage“ und verwies auf die breite Kritik in der Anhörung. Die verlässliche Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sei Teil der staatlichen Daseinsvorsorge. Sie forderte die Bundesregierung auf, die Industrie in die Pflicht zu nehmen.

AfD: Gesundheitswesen wurde an die Wand gefahren

Die AfD-Fraktion warf insbesondere der SPD und der Union Versagen in der Arzneimittelpolitik vor. 
Martin Sichert (AfD) sprach von einem lange bekannten Problem, das die beiden Regierungsparteien nicht angegangen seien. „Sie sind die Hauptverursacher des Medikamentenmangels und spielen jetzt die Empörten.“ Schon 2017 habe die Mehrheit der Apotheker ein Zehntel ihrer Arbeitszeit damit verbracht, sich um nicht lieferbare Medikamente zu kümmern. In 16 Jahren Regierungszeit habe die Union den Medikamentenmangel verschärft statt ihn zu verhindern. SPD und Union hätten das Gesundheitswesen gemeinschaftlich an die Wand gefahren, rügte Sichert und fügte hinzu: „Union, SPD, Grüne und FDP haben Deutschland von der Apotheke der Welt zum Medikamenten-Mangelland gemacht.“

Das Gesundheitswesen sei von einem sozialen Versorgungssystem zu einem Wirtschaftsbetrieb umfunktioniert worden, kritisierte Sichert. Im Jahr 2000 seien noch mehr als die Hälfte der Wirkstoffe in Europa hergestellt worden, heute kämen mehr als 80 Prozent der Wirkstoffe aus China und Indien. Deutschland sei inzwischen völlig abhängig von Asien. „Der Medikamentenmangel ist hausgemacht.“ Die Rabattverträge müssten abgeschafft werden.

FDP: Bedingungen für Pharmaindustrie schaffen

Nach Ansicht der FDP-Fraktion ist mit einer schnellen Lösung nicht zu rechnen. Lars Lindemann machte deutlich, dass eine kurzfristige Abhilfe nicht zu erwarten sei. „Das Problem ist sehr langfristig entstanden, und es wird auch nur sehr langfristig zu lösen sein.“

Lindemann dankte den Apothekern und pharmazeutischen Großhändlern, die in der Pandemie Großartiges geleistet hätten. Nun gehe es darum, Regelungen, die sich in der Pandemie bewährt hätten, zu verstetigen. Zugleich müssten die Rahmenbedingungen für die Pharmaindustrie stimmen, dann gebe es auch keine Engpässe mehr. (pk/15.06.2023)

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