Kinderkommission

Kinder fordern mehr Mit­bestimmung bei Gestaltung von Schule als Lernort

Zwei Kinder une ein Erwachsener sitzen vor einem Computerbildschirm und befassen sich mit einem Spiel.

Die Kiko befasste sich in eine Fachgespräch mit der Digitalisierung und Medienpädagogik. (picture-alliance/ dpa | Waltraud Grubitzsch)

Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages (Kiko) hat sich am Mittwoch, 14. Juni 2023, mit dem Thema „Bildung, Schule, Digitalisierung und Medienpädagogik“ befasst. Während des öffentlichen Fachgesprächs machten die Kindersachverständigen und jugendlichen Experten den Kiko-Mitgliedern klar, wie sehr die Lebensrealität und die Vorstellungen junger Leute einerseits und Schulalltag und Bildungssystem in Deutschland andererseits auseinanderklaffen.

„Um zu wissen, wie wir Bildung und Schule so gestalten können, dass alle Kinder sich wohlfühlen“, und um damit der Verantwortung des Bundestages und dem Selbstverständnis der Kinderkommission gerecht zu werden, habe man die Kinder und Jugendlichen eingeladen, ihre Erfahrungen, Ideen, Kritik und politischen Forderungen direkt den Abgeordneten zu kommunizieren, die sich im Parlament um die Belange von Kindern und Jugendlichen kümmern, sagte die Kiko-Vorsitzende Emilia Fester (Bündnis 90/Die Grünen).

Kinder wollen Schule als Lernort mitgestalten

Wie 30 junge Menschen zwischen 16 und 26 mit unterschiedlichen Bildungswegen aus ganz Deutschland die Bildungslandschaft in der Bundesrepublik zukunftsfest machen wollen, davon berichtete Amelie Paassen vom Jugend-Panel zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, youpaN. Die Schule, wie sie sie erlebt habe, bereite weder auf das Leben noch wenigstens auf das Studium vor, berichtete die 21-Jährige. Die Kompetenzen, die man im Leben brauche, würden dort nicht vermittelt. „Ich bin dort keine mündige Bürgerin geworden. Das leistet gerade Schule nicht.“ Sie sei in der Schule nicht zu demokratischer Teilhabe befähigt worden und fühle sich beispielsweise als Schulabgängerin nicht kompetent, eine politische Wahlentscheidung zu treffen.

Dabei solle Schule über eine interdisziplinäre Wissensvermittlung hinaus jungen Menschen Kernkompetenzen fürs Leben vermitteln, solle „ein Sozialraum sein, wo wir zu mündigen Bürgern erzogen werden“. Dazu müsse man dringend die Lehrpläne verändern und mit aktuellen Themen einen Bezug zur Lebensrealität schaffen. Es gelte zudem, die Schule in einen Lernort zu verwandeln, den die Schülerinnen und Schüler mitgestalten dürfen, statt immer nur etwas vorgesetzt zu bekommen.

Stärken jedes Einzelnen individuell fördern

Sayen Asiri Ramirez Betancourt von der Schülervertretung des Gymnasiums Lerchenfeld und Preisträgerin bei Jugend debattiert 2022, sprach sich ebenfalls dafür aus, dass den Kindern und Jugendlichen mehr Mitbestimmung bei der Gestaltung der Schule als Aufenthalts- und Lernort sowie bei der Auswahl Lerninhalte zugestanden wird.„Schule ist für uns Alltag, sie ist extrem präsent. Aber wir werden bei dem Thema nicht gehört.“ Es gebe nicht genug Partizipation, in der Schule werde „nicht gezeigt, was für Verhandlungsspielräume wir haben“. In der Schülervertretung habe man nicht das Gefühl, etwas verändern zu können. Die Schule sei leider „kein Ort, den Kinder mitgestalten können“. Die Lehrpläne würden von oben herab festgelegt und hätten keinen Bezug zur Lebensrealität der Kinder und Jugendlichen.

Die Schülervertreterin störte auch, dass Schule nicht individuell bildet. Von allen werde das gleiche verlangt, alle bekämen die gleichen Aufgaben, der Wettbewerbs- und Konformitätsgedanke stehe zu sehr im Mittelpunkt, statt der Stärken des Einzelnen. Das führe zu Leistungsdruck und Stress und verderbe den Spaß am Lernen. „Aber wir sind nicht gleich. Jeder hat sein eigenes Potenzial. Das sollte individuell gefördert werden.“ Um wichtige Themen umfassend zu behandeln, müssten auch Unterrichtszeiten viel flexibler gehandhabt werden.

Wenn die Schule die jungen Leute nicht zur demokratischen Beteiligung in der Gesellschaft befähige, gebe es künftig mehr undemokratische Erwachsene, sagte Malik Sauerbeck Vorsitzender der Schüler:innenkammer Hamburg. Es gehe in der Schule um die Gesellschaft von morgen. Aber das Schulsystem funktioniere nicht. Mit zunehmendem Alter nehme deswegen die Motivation der Schüler ab, während anfangs die Kleinsten noch durch ihre Neugier angetrieben würden. Die Ausstattung sei veraltet, es gebe zu viele „Inhalte, die nichts bringen“ und den Lehrern fehle es an nötigen Kompetenzen. 

Interaktive Lernplattform für Deutschland 

Der Schülervertreter plädierte dafür, die Schule viel stärker für digitale Lehr- und Lernlösungen zu öffnen. Bund und Länder sollten massiv in eine deutschlandweite interaktive Lernplattform investieren. Es müsse dabei sichergestellt sein, dass die Plattform dem individualisierten Lernen für jedes Entwicklungsniveau diene und die Inhalte ständig gepflegt und aktualisiert würden. Keinesfalls handele es sich dabei darum, dass Lehrer wie in Corona-Zeiten einfach Aufgaben für zu Hause hochladen. Die Schüler wollten dort nicht ihr altes Textbuch eingescannt wiedersehen, sondern relevante Inhalte, die mindestens mit ihrem Jahrzehnt zu tun hätten.

Anhand einer solchen interaktiven Lernplattform mit aktuellen und relevanten Inhalten könnten die Schüler eins zu eins betreut werden, statt dass im Klassenraum alle auf die Antwort des einen warteten, und damit die Kompetenzen erwerben, die sie im Leben bräuchten. „Da müssen wir hin. Dazu müssen wir die Chancen der Digitalisierung nutzen.“ Ab der 8. Klasse solle jeder ein Endgerät vor sich haben und der Lehrer künftig nicht mehr vorne stehen, sondern eine moderierende Rolle einnehmen und die Kinder anregen weiter zu lernen. Man müsse jetzt massiv in eine solche Ausstattung und in die entsprechende Fortbildung der Lehrer investieren.

Momentan liefen Schule, Verwaltung und Lehrerschaft der Digitalisierung hinterher. Das zeige sich auch beim Thema Künstliche Intelligenz. Es sei kein Lehrinhalt. Man wünsche sich eigentlich ein zusätzliches Schulfach Digitalisierung und Medienkompetenz. Stattdessen laufende Diskussionen über Verbote gingen an der Realität vorbei. Jeder Schüler nutze mittlerweile die Anwendung ChatGPT. Die sei sehr hilfreich. Bei Hausaufgaben oder sogar im Unterricht. „Sehr viele haben das auf dem Gerät, man hat in zwei Minuten einen Text und nutzt den Rest der für die Aufgabe vorgesehenen zwanzig Minuten, um mit seinem Nachbarn zu sozialisieren.“ Der Lehrer verlasse dabei seine Frontalposition nicht und bleibe in Ahnungslosigkeit. „Das ist die Realität.“

Ganztagsschule als Problem

Zu einem Problem habe sich auch die vielfach angebotene Ganztagsbetreuung entwickelt. Das sei nichts weiter als eine verlängerte Schulzeit, aber „ohne tatsächliche Angebote“ für die Kinder und Jugendlichen. Und nicht nur das: Komme man nach 16 Uhr nach Hause, unternähmen die meisten nichts mehr: keine Treffen mit Freunden draußen, kein Sport, kein Musikunterricht. „Die Potenziale außerhalb der Schule gehen damit verloren. Man macht nicht mehr so viel.“ Wenn man durch sinnlose Ganztagsbetreuung darauf verzichte beispielsweise privat ein Instrument zu erlernen, bremse man die persönliche Entwicklung aus.

Schülerinnen und Schüler der Gemeinschaftsschule Grüner Campus Malchow, Teilnehmende am Projekt „Demokratie-Profis in Ausbildung“ der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein e.V. berichteten über gute Erfahrungen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern und die Zusammenarbeit zwischen der Schule und der Jugendbildungsstätte. „Wir haben tolle Lehrkräfte.“ Die Sitzungsteilnehmerinnen und -teilnehmer kamen zu dem Schluss, dass Schule alle unterschiedlich wahrnehmen.

Seminar: Von der Mecker- zur Umsetzungs-Phase

Beim Projekt „Demokratie-Profis in Ausbildung“ würden Schülersprecherinnen und Klassensprecherinnen etwas über ihre Aufgaben und über Kinderrechte lernen. In dem vierteiligen Seminar beginne man mit einer „Mecker-Phase“, in der man erzähle, was alles nicht läuft. In der Traum-Schul-Phase zeichne man auf große Blätter, „wie unsere Traumschule aussehen soll, in der Ideen-Phase überlegen wir, was wir verbessern können. Und in der Umsetzungsphase präsentieren wir unserer Schulleitung die Ergebnisse und Verbesserungsvorschläge.“ 

Mit den Angeboten der Jugendbildungsstätte „holen wir die Kinder bewusst aus dem Schulalltag heraus“, sagte Christine Reich Geschäftsführerin der Jugendbildungsstätte Kurt Löwenstein e.V. „Um diesen Alltag zu vergessen.“ Man sei als außerschulischer Träger eine langjährige Kooperation mit der Schule eingegangen und arbeite bereits mit Grundschülern zu Themen der politischen Bildung, denke darüber nach, wie Schule besser laufen könne. (ll/15.06.2023)

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